Wenn die Spurs in Dortmund zum Europa-League-Gipfel antreten, treffen nicht nur zwei der formstärksten Mannschaften Europas aufeinander, sondern auch außergewöhnliche Trainertypen. Wie ticken die Coaches? Wo liegen die Unterschiede in der Spielanlage? Wie kann der BVB seinem Gegner weh tun? Taktik-Experte Martin Rafelt von "spielverlagerung.de" gibt für sport.de eine Einschätzung ab.
Treffender als Facebook-Nutzer Rafa Diaz hätte man die Stimmungslage rund um die White Hart Lane wohl kaum auf den Punkt bringen können. "Wollten wir nicht Champions League spielen? Solche Spiele werden uns dort in Zukunft ständig erwarten", schrieb der Spurs-Fan wenige Minuten, nachdem der Klub aus dem Norden Londons das Hammer-Los Borussia Dortmund in der Europa League gezogen hatte. Überraschen dürfte das neue Selbstverständnis beim Hauptstadtklub nicht mehr, gehört Tottenham in der laufenden Spielzeit doch zu den Spitzenteams der Premier League.
Grund genug, den kommenden Gegner der Borussen ein wenig genauer unter die Lupe zu nehmen. Der sportliche Aufschwung der Spurs ist freilich eng mit einem Namen verbunden: Mauricio Pochettino. In seiner zweiten Saison in Tottenham hat der Argentinier eine funktionierende Einheit geformt, die den taktisch modernsten Fußball Englands spielt.
BVB als Model für Tottenhams Umschaltspiel
Martin Rafelt schätzt den BVB-Gegner gefährlich ein: "Für englische Verhältnisse basiert der Stil der Spurs ungewohnt stark auf intensivem Pressing. Die Offensivspieler laufen die gegnerischen Aufbauspieler konsequent und aggressiv an und erzwingen riskante Pässe, besonders die Flügelspieler verschieben sehr kompakt zum Ball". Ein laufintensiver Ansatz, der an den überfallartigen Fußball erinnert, mit dem ausgerechnet die Dortmunder vor einigen Jahren für Furore sorgten.
Dennoch sind Unterschiede in der Spielanlage der beiden Tabellenzweiten zu erkennen. "Tuchel ist bekannt dafür, seine Mannschaften sehr gegnerorientiert aufzustellen. Er liebt es, sein funktionierendes Gerüst so anzupassen, dass es perfekt auf die Stärken und Schwächen des Gegners eingestellt ist", beschreibt Rafelt den Fokus der Schwarz-Gelben. Die Engländer ticken da ein wenig anders: "Pochettino hingegen setzt konsequent auf die gleiche Grundordnung im 4-2-3-1 System. Schon in Southampton ließ er ähnlich spielen und hat seine Idee nach einiger Anpassungszeit im Vorjahr nun auch in Tottenham etabliert."
Viel Tempo und ein Knipser
Auffallend ist das enorme Tempo, mit dem die Spurs ihre Kontrahenten regelmäßig überrumpeln. Rafelt dazu: "Von den aktuellen Bundesligisten kommt Mainz 05 diesem Stil am nächsten. Mit dem Unterschied, dass Tottenham viel mehr individuelle Klasse besitzt". Das Prunkstück der Mannschaft ist das zentrale Mittelfeld mit Shootingstar Dele Alli, dem womöglich größten Talent Englands, und Spielmacher Christian Eriksen, der Rafelt zufolge "der perfekte Zehner für das System ist". Sämtliche Standards sind dank des dänischen Zauberfußes eine echte Waffe. Lassen die Dortmunder den dynamischen Spurs-Kickern zu viel Raum, könnte das Tuchel-Team ein böses Erwachen erleben.
Auf den Flügeln wirbeln bewegliche Winger wie Erik Lamela, Nacer Chadli und der Ex-Leverkusener Heung-Min Son. Und dann wäre da ja noch Harry Kane, der englische Hoffnungsträger vor dem EM in Frankreich, der mit unglaublicher Kaltschnäuzigkeit und Spielwitz glänzt. Auch wenn der 22-Jährige ein grundlegend anderer Stürmertyp als Dortmunds Goalgetter Pierre-Emerick Aubameyang ist, steht er dem Gabuner in puncto Torgefahr in nichts nach.
Lücken auf den Außenbahnen
Basis des Erfolgs ist gleichwohl die defensive Stabilität. Mit 24 Gegentoren in 29 Ligapartien stellen die Spurs derzeit die beste Abwehr der Premier League. Eine belgische Achse aus Toby Alderweireld, Jan Vertonghen und Moussa Dembélé macht das Zentrum konsequent dicht - umso schmerzhafter, dass Vertonghen aktuell verletzt fehlt.
Danny Rose und Kyle Walker schalten sich als vorwärtsorientierte Außenverteidiger oft ins Angriffsspiel ein, wodurch hin und wieder Risiko für die eigene Hintermannschaft entsteht. Für Mkhitaryan, Reus und Co. möglicherweise gefundenes Fressen.
Zuletzt verbindet die beiden Klubs auch die konsequente Einbeziehung von taktisch gut ausgebildeten Talenten. Hier Weigl, Passlack und Pulisic, dort Dier, Mason und Alli. Tottenham wird für den Mut, mit dem jüngsten Kader der Premier League an den Start zu gehen, belohnt. Ob's auch für den BVB reicht?














































