Er war die individuelle Geschichte des Drafts 2025: Shedeur Sanders wurde nicht, wie anfangs vermutet, in den ersten beiden Runden gepickt. Erst in Runde 5 wählten die Cleveland Browns den umstrittenen Quarterback. Wie kam es dazu? Und bekommt er in Cleveland überhaupt eine Chance, seine Kritiker von sich zu überzeugen?
Als Shedeur Sanders nach seinem unerwartet langen und ausführlich diskutierten Draft-Prozess schließlich seinen Pressetermin als frisch gebackener Cleveland Brown wahrnahm, war er stark bemüht, jede Form der Enttäuschung zu verbergen.
Es gebe „"Talent überall im Draft", stellte Sanders klar. "Es geht einfach nur darum, gepickt zu werden und darum, wer deinen Wert sieht. Ich habe meine Gelegenheit bekommen, als viele Leute mir keine Gelegenheit geben wollten. Ich weiß, dass ich perfekt reinpassen werde."
Nun ist Sanders es gewohnt, im medialen Rampenlicht zu stehen. Und nicht zuletzt sein berühmter Vater wird ihn im Laufe der sicher quälenden Draft-Stunden darauf vorbereitet haben, die richtigen Dinge zu sagen, wenn er dann ausgewählt wird und wenn er sich erstmals öffentlich äußert.
Sanders‘ Aussagen wirkten trotzdem wie ein Schritt in die richtige Richtung. Denn auch wenn wir dem jungen Quarterback eine gewisse Maske in seinem Auftreten attestieren, so gibt es auch eine andere Seite in der Betrachtung: Sanders verstand den Moment. Er verstand seine Rolle und er verstand, wie er mit der Situation umgehen sollte.
Hätte das auf seinen gesamten Draft-Prozess zugetroffen, wäre er vermutlich nicht erst in der fünften Runde vom Board gegangen.
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Shedeur Sanders: Draft-Status gnadenlos überschätzt
Teams sind nie so ehrlich mit uns, wie im Draft. Hier zeigen sie uns, wie sie bestimmte Teile ihres Teams einschätzen, was sie priorisieren, worauf sie achten, welche Risiken sie gewillt sind, einzugehen. Im Fall von Sanders hat uns die Liga ganz klar vermittelt, dass sie ihn nicht als Erstrunden-Talent sieht - was sich in dem Fall mit meiner eigenen Analyse komplett deckt.
Hier beginnt schon diese enorme Diskrepanz zwischen der allgemeinen Wahrnehmung, vor und während des Drafts, von Shedeur Sanders und der Realität, die alle drei Draft-Tage geprägt hat. Hätte die Liga Sanders als Erstrunden-Talent eingestuft, hätte mindestens ein Team alle Fragen abseits des Platzes an irgendeinem Punkt ignoriert und Sanders zumindest Top 50 gepickt. Doch das war nicht der Fall - auch wenn Sanders zweifellos davon ausgegangen ist.
Zumindest lässt sich seine Herangehensweise an diesen Draft-Prozess nicht anders erklären. Er verzichtete sowohl beim Senior Bowl als auch beim Shrine Bowl und bei der Combine darauf, sich vor Scouts und insbesondere vor Coaches auf dem Feld zu zeigen. Nur im kontrollierten Umfeld seines Pro Days war er auf dem Platz. Das ist eine Strategie, die wir in aller Regel nur von sicheren Blue-Chip-Talenten sehen. Etwas, das Sanders nie war. Aber so hat er sich im Pre-Draft-Prozess gegeben.
Das in Kombination mit den sehr lautstarken Berichten, wonach er in den Interviews keinen guten Eindruck hinterlassen hat, teilweise nicht gut vorbereitet wirkte oder auf Kritik nicht gut reagiert hat, zeichnet folgendes Bild: Ein Quarterback-Prospect, welches die Liga als Low-Level-Starter einschätzt, dessen Selbstbild nicht nur nicht dazu passte, sondern der zusätzlich keine Anstalten machte, um seine Draft-Aktien zu kämpfen.
Dass das nicht gut ankommt, kann niemanden überraschen. Und erst recht nicht auf der Quarterback-Position, wo man umso mehr der Anführer sein und den Locker Room hinter sich vereinen muss.
Wenn Teams daran bei Sanders Zweifel hatten, und vielleicht noch größere Zweifel daran hatten, dass er als Backup um einen Startplatz kämpfen wird - warum sollte ihn dann ein Team an den ersten beiden Tagen draften? Und da sprechen wir noch gar nicht von all den Ablenkungen, die Shedeur Sanders mitbringen könnte.
Sanders will "ein guter Draft-Pick" sein
Von alldem wollte Sanders am Samstag nichts wissen. "Nichts hat sich verändert. Ich liebe das Spiel genauso, wie davor. Ich weiß, dass ich einige Dinge in meinem Spiel verbessern muss, daran arbeite ich Stück für Stück in jeder Offseason", führte er weiter aus. "Der wichtigste Punkt ist, Coach Stefanski und (GM Andrew) Berry zu beweisen, dass sie die richtige Entscheidung getroffen haben. Darum geht es. Dass ich ein guter Draft-Pick für sie bin."
Auch hier sagte Sanders die richtigen Dinge, eine Frage muss hier allerdings diskutiert werden: Inwieweit war er überhaupt der Pick des Head Coaches und des GMs?
Sanders selbst betonte nach dem Draft, dass er "ein großartiges Interview" mit den Browns hatte.
Berry gab nach dem Pick zu Protokoll: "Er ist sehr akkurat, spielt gut aus der Pocket. Er hatte eine sehr produktive College-Karriere. Es war nicht unbedingt unser Plan, zwei Quarterbacks in diesem Draft zu picken, aber wir glauben daran, den besten verfügbaren Spieler auszuwählen. Und wir glauben an Positional Value. Wir hatten nicht erwartet, dass er in der fünften Runde noch da sein würde, aber wir wollen immer auf jeder Position einen Wettbewerb haben."
Shedeur Sanders und die Browns: Es ist kompliziert
Es gibt hier zwei Interpretationsansätze. Entweder, Berry sagte das, was er sagen muss, um den Pick nach außen zu verkaufen. Aber die Ansage, Sanders in der fünften Runde - mit Uptrade! - zu picken, kam in dem Moment vom Owner.
Oder aber, Berry sagt die Wahrheit. Das würde dann konsequenterweise aber auch bedeuten, dass sie Dillon Gabriel - den Cleveland an 94 Overall zum Ende der dritten Runde ausgewählt hatte - nicht nur 50 Spots höher eingestuft haben als Sanders (5. Runde/144 Overall). Sondern auch, dass Gabriel die klare Priorität auf ihrem Board war. Was er damit auch erst einmal in ihrer Depth Chart sein sollte.
Das ist relevant mit Blick auf Sanders‘ Chance in diesem Team. Denn wenn wir Sanders als das sehen, als was er uns von Berry in diesem Moment verkauft wird, dann ist er ein echter Tag-3-Quarterback. Und Tag-3-Quarterbacks müssen sich ihren Kaderplatz verdienen. Das ist mal leichter, mal schwieriger: Manche Teams haben gar keinen Backup-Quarterback und draften hier spezifisch einen Backup; so hatte ich Gabriel vor dem Draft eingeschätzt.
Die Browns aber haben einen sehr vollen Quarterback Room. Und hier ragt mit Joe Flacco, Kenny Pickett, Dillon Gabriel und Shedeur Sanders - Watson nach seiner erneuten Verletzung kann man hier für 2025 vermutlich getrost ausklammern - zwar niemand heraus. Aber für einen Tag-3-Quarterback und den zweiten Rookie der Klasse, geht es erst einmal darum, sich überhaupt Reps im Training zu verdienen.
Sanders übt sich in Selbstkritik
Die Strategie der Browns in diesem Draft legt nahe: Das Front Office peilt 2026 als das Jahr an, in dem man versuchen wird, seinen Quarterback zu finden. Das erklärt den ertragreichen Trade mit den Jaguars in Runde 1, welcher Cleveland einen Erstrunden-Pick im kommenden Jahr einbrachte. Potenzielle Munition, um, wenn nötig, für einen Quarterback hoch zu gehen.
Vermutlich sahen die Browns dieses Jahr nur Cam Ward, wenn überhaupt, als möglichen Franchise-Quarterback und erhoffen sich in einem Jahr größere Chancen. Dann könnte auch die Trennung von Deshaun Watson anstehen und man startet generell ein neues Kapitel.
Flacco und Pickett zu verpflichten, sowie Gabriel Ende der dritten Runde zu draften, komplettiert dieses Bild: Man hat den Gunslinger-Veteran in Flacco, der Woche 1 starten könnte. Irgendwann hat man Pickett, den man reinwerfen kann, wenn Flacco nicht mehr tragbar ist. Und dann spät in der Saison bekommt Gabriel seine Chance, und man hat noch mal einen interessanten Rookie für die letzten Wochen, während Browns-Fans bereits mit Mock Drafts beschäftigt sind.
Das ist rein spekulativ und sehr oberflächlich zusammengefasst, aber nach dem zweiten Draft-Tag schien das für mich eine realistische Prognose zu sein. Beziehungsweise, sie ist es immer noch - nur dass jetzt eben mit Sanders noch eine Variable reinkommt, die, ob gerechtfertigt oder nicht, eine größere Strahlkraft hat als die anderen drei Namen. Es wird eindeutig die spannendste Quarterback-Situation für das kommende Training Camp und die Preseason.
Qualitativ muss sich Shedeur Sanders hier vor niemandem verstecken. Er ist für mich ein besseres Prospect, als Pickett es damals war und ich hatte ihn in dieser Klasse deutlich über Gabriel einsortiert. Das war natürlich rein anhand des Tapes, also die reine sportliche Analyse.
Das Draft-Wochenende dürfte eine Erfahrung gewesen sein, die selbst Sanders ein wenig geerdet hat. So zumindest lässt sich auch diese Aussage vom Samstag interpretieren: "Ich denke, es gibt immer Dinge, die ich besser machen kann. Es gibt verschiedene Bereiche, in denen ich mich bessern kann. Und manche Dinge, die in dem jeweiligen Augenblick richtig gewirkt haben, hätte ich anders angehen können."
Er sagte es in dem Moment nicht direkt, aber das lässt sich klar als Selbstkritik am eigenen Umgang mit dem Draft-Prozess deuten.
Die gute Nachricht für Sanders? Jetzt ist all das egal. Jetzt kann er zeigen, dass er die richtigen Schlüsse aus den letzten Tagen gezogen hat. Und dass er eine Chance verdient hat.
"Ich bin hier, um zu arbeiten", erklärte Sanders weiter, "damit sie mein wahres Ich verstehen können. Deshalb bin ich wirklich dankbar für diese Gelegenheit. Damit die Leute mein wahres Ich sehen können."











































