Woche 8 der NFL sah wieder einige überraschende und verrückte Ergebnisse. Die Browns stürzten die Ravens vom Thron der AFC East, bei den Jets herrscht die Dunkelheit und wir müssen über einen Problem-Quarterback reden.
sport.de-Redakteur Marcus Blumberg liefert jeden Montag seine Erkenntnisse der NFL-Woche.
Auch für Ravens wachsen die Bäume nicht in den Himmel
Erst am vergangenen Montag hatten die Ravens einen überzeugenden Auswärtssieg in Tampa Bay gefeiert und damit ihren fünften Sieg am Stück eingefahren. Sie sahen aus wie eines der heißesten Teams der NFL und Lamar Jackson wurde schon vorsorglich zum MVP-Favoriten ernannt. In Woche 8 jedoch folgte ein für sie sicherlich schockierender Rückschlag.
Bei den ersatzgeschwächten Cleveland Browns, die spätestens mit ihrem Trade von Amari Cooper nach Buffalo den Rebuild eingeleitet haben, setzte es eine Last-Minute-Pleite gegen Backup-Quarterback Jameis Winston - der in seinem ersten Start jegliche Leistungen von Deshaun Watson für die Browns pulverisiert hat - und Second-Year-Receiver Cedric Tillman, der Kreise um die Secondary gelaufen ist.
Dieser Sieg der nun 2-6-Browns hat zudem zur Folge, dass die Pittsburgh Steelers (!) mit einem halben Spiel Vorsprung an der Spitze der AFC North stehen - ein Sieg im Monday Night Game über die New York Giants würde diesen auf ein ganzes Spiel ausbauen.
Ich will nun gar nicht die Browns für dieses Freak-Spiel über den grünen Klee loben oder den Ravens eine neuerliche Krise einreden. Beides wäre übertrieben. Vielmehr ist dieses Spiel eine deutliche Erinnerung an den simplen Fakt, dass diese Liga einfach unglaublich ausgeglichen ist. Hier kann wahrlich (nahezu) jeder jeden schlagen. Und selbst die Ravens, die zuletzt so dominant aussahen, haben in Wahrheit auch erst zwei Spiele absolviert, die nicht durch einen Score entschieden wurden. In diesen sind sie immerhin 2-0, doch in One-Score-Games stehen sie nun bei 3-3.
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Kleinigkeiten entscheiden Spiel in Cleveland
Das heißt: auch sie, die eigentlich prädestiniert dazu wären, Spiele zu kontrollieren durch ihr elitäres Run Game, sind darauf angewiesen, fehlerfrei zu spielen, um nicht Gefahr zu laufen, durch Freak-Momente ins Hintertreffen zu geraten. Und solche gab es im Dawg Pound zur Genüge.
Die Defense etwa hätte mindestens zwei Interceptions gegen die wandelnde Wundertüte Winston fangen können oder gar müssen. Im ersten Viertel warf er in eine Vollversammlung in die Endzone und im vierten hatte er mächtig Glück, dass Kyle Hamilton einen sicheren Pick, der die Partie wohl entschieden hätte, fallen ließ.
Offensiv wiederum ließ Rashod Bateman einen Deep Shot, bei dem er sehr viel grün vor sich gehabt hätte, weit offen von seinem Gesichtsgitter abprallen, weil er von der Sonne geblendet wurde. Das wäre ein Big Play und vermutlich ein Touchdown gewesen. Zudem bekam der erfahrene Eddie Jackson besagten Tillman im Slot nicht in den Griff. Jener erzielte zwei Touchdowns.
Überdies war man nur 2/10 und 0/2 bei 3rd respektive 4th Down, was einfach zu schlecht ist und unterstreicht, wie unrund diese Offense in Wahrheit agierte.
Unterm Strich waren das zu viele Fehler. Die Ravens ließen die Tür für die Browns offen und Winston ging mit einem Geniestreich - ein 38-Yard-Touchdown-Pass auf Tillman (!) hindurch. Und so kann es nahezu jedem Team inklusive der Ravens in jeder Woche ergehen, weil eben diese Liga so ausgeglichen und nah beieinander ist. Für die Ravens allerdings ist das besonders bitter, denn zum einen setzt man sich so in der eigenen Division unter Druck, zum anderen ist der Top-Seed in den AFC-Playoffs damit schon weg - die Chiefs haben schon jetzt 2,5 Spiele Vorsprung und den Tie-Breaker auf ihrer Seite.
Soll es also erstmals mit dem Super Bowl klappen, wird man wohl erneut durch Kansas City gehen müssen.
Jayden Daniels is the Real Deal!
Mir wurde vorgeworfen, zu negativ zu sein. Okay, dann eben jetzt mal positiv: Jayden Daniels ist der Rookie of the Year! Und zwar sowohl in der Offense als auch insgesamt! Schon jetzt. Sein Game-Winning Drive gegen die Bears mit dem Last-Second-Hail-Mary-Touchdown war das finale Ausrufezeichen.
Er spielte mit einer Rippenverletzung aus der Vorwoche, stand bis wenige Stunden vor dem Spiel auf der Kippe und stellte dann als zweiter Pick insgesamt im Draft den First-Overall-Pick Caleb Williams komplett in den Schatten. Es war ein insgesamt zähes Spiel, doch Daniels zeigte seine Nervenstärke und Nehmerqualitäten. Er sah 22 Pressures im Spiel laut "PFF" und dennoch nur zwei Sacks, obwohl er den Ball im Schnitt 3,49 Sekunden hielt. Er hat sieben Scrambles und sorgte für insgesamt 17 1st Downs.
Er hatte drei Big Time Throws und ließ sich selbst von drei Drops nicht aus der Ruhe bringen. Und er blieb eben in der aussichtslosen Lage in den Schlusssekunden total cool, hatte sogar noch die Aufmerksamkeit, vor dem Hail Mary eine kurze Completion zu McLaurin zu werfen, um sich für einen Hail Mary überhaupt erst in Position zu bringen. Und dann erkaufte er sich mit seinen Füßen auch noch rund 13 Sekunden vor dem Wurf zum (abgefälschten) Touchdown. Glück gehörte auch dazu, denn die eine oder andere mögliche Holding-Strafe beim Play wurde übersehen.
Aber letztlich bestätigte Daniels den guten Eindruck der ersten Wochen und setzte ein gehöriges Ausrufezeichen. Diesen Pick werden die Commanders vermutlich nicht bereuen.
Wir müssen über Anthony Richardson reden
Wer nur das Ergebnis betrachtet, wird sagen: Die Colts haben knapp mit 20:23 bei den Houston Texans verloren und erneut bis ganz zum Schluss mitgehalten. Schaut man dann aber genauer hin, dann muss man konstatieren, dass Quarterback Anthony Richardson eine abenteuerliche Leistung hingelegt hat.
Richardson warf für 175 Yards, einen Touchdown und eine Interception. Aber: Er brachte gerade mal 31,3 Prozent seiner Pässe an (10/32). In der ersten Hälfte war er zwischenzeitlich mal bei 2/13 und hatte dennoch 81 Yards auf dem Konto. Am Ende der ersten Halbzeit hatte er gerade mal 13,3 Prozent seiner Pässe an den Mann gebracht, was mit mindestens 15 Passversuchen die niedrigste Passquote der NFL seit über 30 Jahren bedeutete. Am Ende waren es 31,3 Prozent.
Wie schlecht das ist? Nun, Tim Tebow hatte am Ende der Saison 2011 mal ein Spiel mit einer Passquote von 27,27 Prozent abgeschlossen und blieb in jenem Jahr insgesamt sieben Mal unter 50 Prozent als Starter. Richardson bewegt sich also in Tebows Sphären. Und den jüngeren Lesern hier sei gesagt: das sind keine Sphären, in denen man sich bewegen will.
Um diese Freak-Vorstellung von Richardson noch ein wenig mehr zu beleuchten, sei erwähnt, dass er auch dieses Mal wieder sein enormes Potenzial zeigte. Laut den vorläufigen Daten von "PFF" brachte er es trotz dieses Chaos auf vier Big Time Throws und nur einen Pass, der einen Turnover verdient hatte. Und das dürfte seine abenteuerliche Interception tief in der eigenen Hälfte am Ende der ersten Halbzeit gewesen sein, die den Texans noch schnell einen leichten Touchdown bescherte.
Zeit für Joe Flacco?
Er hielt den Ball ewig (3,08 Sekunden), sah 17 Pressures und kassierte 5 Sacks. Er lief für 45 Yards und fumbelte zweimal, einen davon verlor er. Unterm Strich kam er auf ein Passer Rating von unterirdischen 48,3 (maximal möglich: 158,3) und von 23,2 (max.: 100,0).
Wenn man nun keine Alternative hätte, wäre die Lösung wohl, auf die Zähne zu beißen und die Probleme des jungen Quarterbacks auszusitzen. Fairerweise muss man eben erwähnen, dass dies technisch noch seine Rookie-Zeit ist, nachdem seine tatsächliche Rookie-Saison früh mit der Schulterverletzung beendet war. Doch die Colts haben eigentlich andere Ansprüche als in einer schwachen AFC South vor sich hin zu dümpeln. Im aktuellen Playoff Picture sind sie sogar in Reichweite der Wild-Card-Plätze!
Und es lief eben klar besser mit Joe Flacco als Quarterback, der allein schon durch seine Erfahrung und Routine dem Team mehr Ruhe, mehr Balance und mehr Sicherheit gibt. Und damit ultimativ auch eine bessere Chance, erfolgreich zu sein.
Die Zukunft könnte immer noch Richardson gehören, doch glaube ich derzeit nicht, dass man ihm einen Gefallen damit tut, ihn derzeit Woche für Woche ins Feuer zu werfen, wenn er so eindeutig nicht bereit für diese Aufgabe scheint?
Jets und die Dunkelheit
Interimscoach Jeff Ulbrich sprach von einem "Moment der Dunkelheit" für die Jets, nachdem sie in letzter Minute den bisweilen desolaten New England Patriots unterlagen und damit ihr viertes Spiel in Serie verloren. Die Patriots spielten zu dem Zeitpunkt nur noch mit Backup-Quarterback Jacoby Brissett, nachdem Drake Maye mit einer Gehirnerschütterung vor der Pause raus musste. Und jener Brissett und seine Offense legten am Ende einen furiosen Touchdown-Drive hin, um das Comeback perfekt zu machen.
Jets-Quarterback Aaron Rodgers hatte auf eine Nachfrage zum Dunkelheits-Statement Ulbrichs eine Reaktion: "Ich war in der Dunkelheit. Du musst da reingehen und deinen Frieden damit schließen." Natürlich hatte Rodgers etwas dazu zu sagen, schließlich hat er immer etwas zu sagen. So auch vor Saisonstart, als er vollmundig erklärte, dass es in jedem Jahr "acht bis zwölf Teams" gäbe, die "tatsächlich den Super Bowl gewinnen können. Wir sind eines dieser acht bis zwölf Teams".
Dass das nicht gut gealtert ist, dürfte spätestens jetzt, da man bei 2-6 - gleichauf mit New England! - in die Saison gestartet ist und damit am Ende der AFC East steht, klar sein. Die Jets blamierten sich einmal mehr auf ganzer Linie und dieses Mal sogar ohne, dass man den Ball verlor. Rodgers warf zur Abwechslung keine Interception und man hatte weniger Penaltys als sonst. Und dennoch reichte es nicht, um einen eigentlich unterlegenen Gegner zu schlagen.
Man hielt die Patriots bei 247 Yards und wurde damit zum ersten Team seit 2012, das den Ball nicht verlor, den Gegner bei weniger als 250 Yards hielt und trotzdem verlor. Das letzte Team, dem dies passierte, waren die Packers mit Rodgers im damaligen Fail-Mary-Spiel in Seattle. Seither waren Teams, die diese Kriterien erfüllten, 220-0 laut "ESPN".
Abgesehen davon muss man nun schon konstatieren, dass die Trainerentlassung vor zwei Wochen nicht den gewünschten neuen Schwung rein brachte. Ebenso wenig die Verpflichtung von Davante Adams, der blass blieb. Dessen so inspirierende Rede - laut Rodgers - nach der Pleite in der Vorwoche in Pittsburgh hatte somit auch nicht den gewünschten Effekt. Die Jets sind einfach erneut die Jets und stehen irgendwie noch schlechter da als im Vorjahr, als man ohne Rodgers durch die Saison gehen musste.
Zu allem Überfluss folgt als nächstes ein Duell mit den Houston Texans nach kurzer Woche im Thursday Night Game von Woche 9. Jene sind zwar auch gerade nicht in Topverfassung, sind jedoch ein deutlich anspruchsvollerer Gegner als die Patriots auf dem Papier.
Für manche ist die Jets-Saison nach dieser Niederlage schon gelaufen, doch spätestens mit einer weiteren Pleite am Donnerstag könnte man wohl auch endgültig die Segel streichen.

Rams melden sich zurück
Die Los Angeles Rams gingen mit einer 2-4-Bilanz in Woche 8 und es kursierten ziemlich laute Trade-Gerüchte um Cooper Kupp, dem eigentlich besten Receiver des Teams. Mehr noch: es gab sogar schon Stimmen, die suggerierten, dass man, wenn man schon Kupp abgäbe, man ja auch Matthew Stafford gleich hinterher schicken könnte.
Dann jedoch drehten die Rams kräftig auf und schlugen die Minnesota Vikings, die eine Woche zuvor ungeschlagen waren und nun ihre letzten beiden Spiele in Serie verloren. So schnell kann's gehen in der NFL.
Doch warum genau kam es zu diesem schnellen Turnaround? Nachdem man den Sieg in Woche 7 noch vor allem aufs bessere Coaching von McVay und Co. und den schwachen Gegner - die Las Vegas Raiders - schieben konnte, waren es in Woche 8 vor allem die Rückkehrer. Die Rams bekamen nicht nur Cooper Kupp zurück, überraschend meldete sich auch Puka Nacua wieder zurück. Und beide zeigten, was den Rams lange fehlte.
Nacua drehte gleich so richtig auf und kam auf sieben Receptions für 106 Yards. Cooper Kupp brachte es auf fünf Receptions für 51 Yards und einen Touchdown. Was sie aber darüber hinaus gemacht haben, war, Stafford im Passspiel wieder eine andere Ebene zu eröffnen. Die übrigen Receiver im Team haben alle ihre spezifische Rolle. Demarcus Robinson, der zwei Touchdowns fing, ist so etwas wie der Deep Threat des Teams und hat über die Saison eine durchschnittliche Target-Tiefe von fast 18 Yards. Und da bewegte er sich auch gegen die Vikings.
Neues Level für Stafford
Sonderlich effektiv war Stafford bei Deep Passes (20+ Air Yards) in dieser Saison aber meist nicht, ebenso wenig über die mittleren Distanzen (10-19 Air Air Yards). Während Kupp eher die kurzen Distanzen abdeckte (6,5 aDoT) beackerte, lebte Nacua in den mittleren Distanzen (11,5 aDoT). Und das war der Schlüssel, um das Passspiel zu Beleben.
Stafford hatte in diesem Jahr über mittlere Distanzen ein Passer Rating von 76,4 und tief kam er auf 67,9. Mit den zwei Top-Receivern zurück an Bord hingegen schnellten diese Werte deutlich hoch! Über mittlere Distanzen lag er gegen die Vikings bei 118,8 mit zwei Touchdowns (INT) und über die tiefen Distanzen waren es 104,2 und ein weiterer Touchdown.
Unterm Strich sind die Rams nun 3-4 und treten in der kommenden Woche bei den Seattle Seahawks an. Und mit dieser Bilanz sind sie nur ein halbes Spiel hinter der Spitze in der NFC West. Damit dürften auch die Trade-Gerüchte erstmal ein Ende habe, denn selbst bei einer Niederlage in der kommenden Woche wäre man immer noch mittendrin in einer Division, die offener als gedacht ist in dieser Saison.