In der NFL kommt es zunächst in der Preseason nach über 100 Jahren zu einer Revolution, was die Frage nach einem neuen First Down angeht. Doch das neue elektronische Trackingsystem ist nicht so umfangreich, wie man denken mag.
Vor wenigen Monaten haben die Teameigner der NFL beschlossen, in der anstehenden Preseason ein neues optisches Trackingsystem öffentlich zu testen, das dabei helfen soll, zu entscheiden, ob ein Team mit einem Spielzug ein neues First Down erreicht hat. Es soll die traditionelle und antiquierte Chain Crew ablösen, wenn auch nicht obsolet machen. Vielmehr wird das neue System aber vorerst nicht tun, was durchaus überrascht.
Wer sich ein Spiel der NFL anschaut und ein wenig tiefer in die Materie eintaucht, weiß, wie modern dieser Sport mittlerweile aufgestellt ist. In den Schulterpads sowie im Ball befinden sich etwa GPS-Chips, um jederzeit die Position der Spieler während des Spiels bestimmen zu können. Mit der Hilfe von speziellen Kameras sind dann über das System "NFL Next Gen Stats" auch Messungen wie die Geschwindigkeit der Spieler und deren Abstand zueinander genauestens messbar. Es lässt sich sogar sagen, wie lange ein Pass-Rusher braucht, bis er zum Quarterback durchgedrungen ist. Selbst die Geschwindigkeit des Balls oder wie viele Air Yards dieser beim Pass zurücklegt, sind kein Geheimnis mehr.
Umso kurioser mutete es seit Jahren an, dass trotz all dieser Technologie ein zentraler Punkt immer noch so war wie vor 100 Jahren, als die Liga ihre Anfänge hatte. Die Messung, ob ein Team bei einem Spielzug genügend Yards für ein neues First Down zurückgelegt hat. Der Modus operandi war es, dass nach dem Spielzug der Ball an einer bestimmten Stelle platziert wird, an dem der Spielzug zu Ende gegangen war. Anschließend bestimmte ein Schiedsrichter per Augenmaß, ob die zu erreichende Linie auch erreicht wurde.
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Informationen auch für die Zuschauer
In besonders engen Fällen kam dann die Chain Gang oder Chain Crew zum Einsatz, die während des Spiels die Seitenlinie patrouilliert und mit ihren Stöckern und der Kette dazwischen aufs Feld marschiert und anhand dieser wenig wissenschaftlicher Hilfsmittel bei der Down-and-Distance-Erkennung zur Hilfe kommt. Kratzt der Ball dann wenigstens den vorderen Stock, dann war das neue First Down erreicht.
Dass das absurd anmutet, wo doch sonst alles modern ist, war sicherlich allen klar. Doch was war die Alternative? Die Antwort nun lautet ein durch Kamera gestütztes System, das dem Hawk-Eye ähnelt, welches in vielen anderen Sportarten genutzt wird. Mithilfe von diversen Kameras wird nun automatisch bestimmt, ob der Ball die nötigen 10 Yards zurückgelegt hat oder eben nicht. Schiedsrichter bekommen nun in Bruchteilen von Sekunden eine Info auf die Uhr, wenn ein neues First Down erreicht wurde. Kurz darauf wird das Ganze dann auch grafisch aufbereitet auf den Videowänden im Stadion sowie an die TV-Sender gesendet.
Ein System, dass die NFL bereits im Hintergrund unter anderem in Las Vegas im Vorjahr getestet hat. Und eines, das in ähnlicher Form bereits in der Frühjahrs-Liga UFL erfolgreich zum Einsatz kam. Letzteres dürfte auch der Hauptgrund sein, warum sich die NFL nun endlich dazu entschloss, das System tatsächlich zu implementieren, denn man kann sich schließlich nicht von einer so kleinen Liga wie der UFL vorführen lassen.
Zunächst wird in der Preseason getestet. Sollte das Ergebnis positiv ausfallen, dann stünde einem Einsatz in der Regular Season nichts mehr im Wege.
So spannend und hilfreich das ganze Konzept auf den ersten Blick anmutet, muss man aber dennoch betonen, dass diese scheinbare Revolution gar nicht mal so umfassend ist, wie man das auf den ersten Blick denken mag.
Das System hat klare Grenzen
Das größte Manko am System - und das ist wirklich mehr eine Frage der Erwartung - ist sicherlich, wofür es tatsächlich gedacht ist. Wer an Hawk-Eye denkt, denkt an Torlinientechnik im Fußball oder an die Frage, ob ein Ball beim Tennis im Feld war oder eben nicht. Das jedoch soll das von der NFL genehmigte "Optimal Tracking"-System gar nicht leisten.
Optimal Tracking bewertet lediglich die Position des Balls, nachdem der jeweilige Schiedsrichter diesen auf dem Boden platziert hat. Das System verkürzt also nur den Prozess des Nachmessens, der sonst der Chain Gang oblag. Die Schiedsrichter sind also weiterhin diejenigen, die entscheiden, wo genau der Ball platziert werden sollte.
Und was die Chain Gang an sich betrifft, wird es diese weiterhin geben. Sie fungiert als Backup, falls das System mal ausfällt. Und sie wird als optischer Indikator für die Line to Gain fungieren, damit Spieler, Coaches und natürlich die Zuschauer im Stadion sehen, wo der Marker ist.
Das alles mag ernüchternd klingen, doch das Ende der Fahnenstange für Tracking-Technologie und generell technische Hilfsmittel in der NFL ist damit noch nicht erreicht. Wie "ESPN" jüngst berichtete, wird nämlich schon in dieser Preseason ein weiteres System, dieses Mal von der Firma "Hawk-Eye Innovations", zumindest im Hintergrund getestet und verspricht deutlich größere Möglichkeiten, um den Faktor Mensch im Schiedsrichterwesen zu minimieren.
Die Rede ist von einem "Skeletal Tracking System", das ebenfalls mit Hilfe von Kameras Spieler, Schiedsrichter und den Ball selbst verfolgen kann. Ein erster praktischer Ansatz dafür wird in der Preseason sein, dass Back Judges Smartwatches erhalten, die grundlegende Informationen übermitteln. Unter anderem sollen die Uhren vibrieren, wenn es zu einem Delay of Game kommt.
Ausblick
Das langfristige Ziel dürfte jedoch sein, ein System zu haben, dass selbst bestimmen kann, wann ein First Down - oder sogar ein Touchdown - erzielt wird. In der UFL etwa kam die sogenannte TruLine Technology der Firma "Bolt6" zum Einsatz, um die Position des Balles in einer Video Review zu bestimmen. Dieser Vorgang dauerte in der Regel 45 Sekunden, also deutlich kürzer als vergleichbare Reviews in der NFL.
Zudem ist es schon heute mit den GPS-Chips und RFID-Chips im Ball von "Next Gen Stats" möglich, die Position des Balles mit einer Fehlertoleranz von sechs Zoll zu bestimmen. Das ist allerdings zu viel, um das System auch außerhalb von analytischen Zwecken einzusetzen. Das Problem ist hier vor allem noch, dass man für RFID 20 bis 30 Receiver pro Stadion bräuchte und der Empfang dadurch gestört werden kann, dass keine klare Sichtlinie zwischen Chip und Receiver zustande kommt, wenn eine Menschentraube um ihn herum ist, was beim Football und dem Ball durchaus häufig vorkommt.
Unterm Strich werden die Zebras in der NFL also in absehbarer Zeit weiterhin eine zentrale Rolle im Spiel spielen, einer ihrer entscheidenden Prozesse könnte aber schon ab dieser Saison durch moderne Technologie deutlich vereinfacht und präziser gestaltet werden. Alles darüber hinaus jedoch wird noch einige Zeit auf sich warten lassen.
Marcus Blumberg




































