Die saudi-arabische Liga öffnet den Geldbeutel – und immer mehr Stars erliegen der Versuchung. Bedroht die gigantische Transfer-Offensive den europäischen Fußball?
Als Cristiano Ronaldo im vergangenen Winter, an Silvester, seinen Wechsel nach Saudi-Arabien bekanntgab, wurde er noch von vielen belächelt. Inzwischen lacht keiner mehr über Transfers in die Wüste. Denn der Trend, den der Portugiese quasi mit Anbruch des neuen Jahres lostrat, hat den Fußball-Sommer fest im Griff.
Las man früher im täglichen Transfer-Tiki-Taka eher von Juventus, Manchester United oder Real Madrid, so geistern heute noch häufiger die Namen Al-Hilal, Al-Ahli, Al-Nassr oder Al-Ettifaq durch die Fußball-Medien. Sie sind im Fußball-Vokabular angekommen.
Am Geld scheitert es schon mal nicht
Denn die saudische Liga, der saudische Fußball greift mit dicker Finanzhilfe vom Staat nach dem Fußball bzw. einfacher gesagt: kauft den Fußball. An zwei Dingen mangelt es den Verantwortlichen nicht: Erstens am Geld, zweitens am Willen, dieses auf Spieler aus europäischen Topligen zu werfen.
Und man muss sagen: Unerfolgreich sind sie damit nicht.
Die Liste an Spielern, die in die saudi-arabische Pro League wechseln, wird täglich länger. Die Summen erreichen teilweise astronomische Bereiche, die vor Jahren niemand für möglich gehalten hätte.
Eine kleine Auswahl: Sadio Mané, 2022 als Weltstar von Liverpool zum FC Bayern wechselt, heuert jetzt beim Ronaldo-Klub Al-Nassr an – für 40 Millionen Euro netto im Jahr. Karim Benzema, Gewinner des Ballon d’Or 2022, spielt bei Al-Ittihad, Champions-League-Sieger Riyad Mahrez steht nun bei Al-Ahli unter Vertrag.
Und die Sache ist so: Inzwischen gehen nicht nur alte Fußball-Männer (siehe oben) in die Wüste, sondern auch Profis im besten Fußballer-Alter. Fabinho (29) zum Beispiel, der Liverpool den Rücken kehrt und für Al-Ittihad spielt, oder Seko Fofana (28), den es von Lens zu Al-Nassr zieht. Auch der Wechsel des deutschen Trainers Matthias Jaissle (35) von Red Bull Salzburg zu Al-Ettifaq sorgte für Aufsehen.
Kurzum: Das Verrückte wird zur Normalität.
Dann eben Victor Osimhen
Nun muss man sagen: Nicht alle Spieler folgen dem Reiz des Geldes vom Golf. Kylian Mbappé, massiv umworbener Stürmer Star von Paris Saint-Germain, wollte trotz kolportierter Weltrekordsumme von 700 Millionen Euro für ein (!) Jahr gar nicht erst mit den Vertretern von Al-Hilal sprechen.
Auch Lionel Messi, seines Zeichens immerhin Werbebotschafter für das Reiseland Saudi-Arabien, zog es lieber nach Florida zu David Beckhams Inter Miami (wo er natürlich ebenfalls unfassbar viel Geld verdient) als zu Al-Hilal in die Wüste. Statt Messi oder Mbappé will Al-Hilal jetzt eben Ex-Bayern-Flirt Victor Osimhen holen – für 140 Millionen Euro. So einfach ist das.
Nun obliegt es jedem Profi selbst, die bekannten Abwägungen bei einem Wechselwunsch nach Saudi-Arabien zu treffen. Jeder hat das Recht zu spielen, wo er will. Die Summen, die jährlich verdient werden können, sind derart hoch, dass man es wohl auch niemandem wirklich vorwerfen kann, darüber nachzudenken. Stichwort: finanzielle Unabhängigkeit. Trotzdem muss man als Profi wissen, worauf man sich einlässt, wessen Geld man empfängt. Anschließend groß für Human Rights einzutreten, wirkt zynisch.
Der langjährige Liverpool-Kapitän Jordan Henderson machte nun diese Erfahrung mit seinem Wechsel zu Al-Ettifaq. Der Brite, der sich früher lautstark für die LGBTQ+-Community einsetzte, musste sich aus naheliegenden Gründen massive Kritik für den Wechsel anhören. Denn: Er spielt nun in einem Land, in dem (nicht nur) die Rechte homosexueller Menschen stark eingeschränkt werden. Menschenrechte und Pressefreiheit sind im Königreich eher ein Fremdwort. Und da wäre noch der Falls des ermordeten und zersägten Journalisten und Kritikers Jamal Kashoggi.
Der Plan geht auf
Und doch scheint der Saudi-Plan bislang aufzugehen. Geld ist genügend da. Aus dem staatlichen Public Investment Fund (PIF) können sich die Klubs reichlich bedienen. Der Topf besteht aus sprudelnden Milliarden der Ölindustrie. Was die finanziellen Ressourcen betrifft, ist die Bundesliga dagegen ein Witz. Groß sind daher die Sorgen, dass die brutal hohen Summen den Markt auf den Kopf stellen. Denn klar ist: Auch ein FC Bayern oder Borussia Dortmund können finanziell nicht mit Al-Nassr oder Al-Hilal mithalten.
Selbst für europäische Schwerewichte aus Spanien und England wird es ab gewissen Summen schwierig. "Der saudische Einfluss ist massiv. Ich weiß nicht, wo das hinführt", staunte Jürgen Klopp, der beim FC Liverpool nicht gerade einen klammen Klub trainiert.
Auch BVB-Sportdirektor Sebastian Kehl zeigte sich angesichts der Transfer-Offensive extrem besorgt. "Diese Summen, die speziell in Saudi-Arabien gezahlt werden, zu erklären, ist schlicht nicht möglich. Sie verändern den Markt und machen es uns noch schwerer, zu agieren", sagte Kehl dem "kicker". "Wenn sich das so fortsetzt, entwickelt sich der Fußball in eine Richtung, die ihm ganz sicher großen Schaden zufügen wird."
Nun zeigen Beispiele wie die chinesische Liga, dass eine Geld-Offensive auch wieder erfolglos verpuffen kann, ein Weg in die Top-5-Ligen nicht unbedingt vorgezeichnet ist. Dass die saudische Wette nicht aufgeht, darauf sollte aber keiner setzen. Sportinvestment ist Teil eines Staatsplans, er steht in einer Reihe mit Sportswashing-Projekten in der Formel 1, Boxen oder Golf.
Die Erfahrung zeigt: Wenn die Saudis rufen, kommen viele Sportler.
Auch profitieren Klubs wie der FC Bayern von den irren Transfers – durch den Mané-Verkauf machen die Bayern wohl sogar einen Gewinn mit dem Angreifer. Auch die Teams aus England machten bisher gerne den Geldbeutel auf, wenn Al-Nassr und Co. anriefen.
Doch die unglaublichen Summen blähen den überhitzen Markt noch weiter auf. Nur Teams, die ebenfalls mit Petrodollar gepäppelt sind (PSG, ManCity oder Newcastle), andere schlagkräftige Investoren haben (Liverpool, Chelsea, ManUnited) oder Einnahme-Könige wie Real Madrid sind, werden wohl künftig um die absoluten Topstars rangeln können. Auf die Financial-Fairplay-Regelung der UEFA, die sich bisher eher als zahnloser Tiger entpuppt hat, sollte man ohnehin nicht vertrauen.
Die Schere zwischen den Teams wird wohl noch größer werden, das ist allerdings schon seit Jahren der Fall. Das Machtgefüge wird möglicherweise in den kommenden Jahren weiter erschüttert, was auch in England Angst und Schrecken verbreitet. Das Transferminus der saudi-arabischen Liga: Minus 409 Millionen Euro - Tendenz: steigend. Der Lockruf des Geldes ist so alt wie der Profifußball selbst. Nur haben jetzt neue Reiche das Sagen.
Der Fußball wird es wohl trotzdem überleben – und sich an weitere saudi-arabische Klubnamen gewöhnen.
Emmanuel Schneider




























