Keine Personalie wird vor dem 2025er Draft so heiß diskutiert wie Shedeur Sanders. Sanders polarisiert, teils aufgrund selbstbewusster Ansagen, teils aufgrund seines Vaters - und teils aufgrund der simplen Frage: Wer draftet den jungen Quarterback? Und wann? Was jedoch nicht polarisieren sollte, ist sein Tape. Denn das lässt eine vergleichsweise klare Schlussfolgerung zu.
Eine - zugegebenermaßen sehr simple - Art und Weise, um Quarterbacks zu kategorisieren, liegt in der Beantwortung dieser Frage: Was ist ihre Superkraft?
Patrick Mahomes hat eine außergewöhnliche räumliche Wahrnehmung und einen sensationellen Arm. Josh Allen hat einen vielleicht noch besseren Arm, und ist eine Naturgewalt als Runner. Lamar Jackson ist der dynamischste Athlet auf der Position. Justin Herbert hat einen Elite-Arm und ist herausragend, wenn es darum geht, die Pocket zu managen und schnell Dinge Post-Snap zu verarbeiten.
Es ist eine sehr vereinfachte Betrachtung, und doch verrät sie uns, wenn man seine Analyse richtig kalibriert, viel. Eine Quarterback-Superkraft ist das, was den Quarterback abhebt. Jeder Quarterback, den ich in eine Top 5 bis Top 8 setzen würde, hat eine solche Qualität, die heraussticht. Die seinem Spiel eine Dimension gibt, die andere Quarterbacks nicht haben, und die zum Lösen von Problemen sowie vom Kreieren von Offense beiträgt.
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Im Umkehrschluss ist eine Superkraft nicht zwangsläufig das, was man bei jedem Play sieht. All die Basics wie Accuracy, Touch, Spielverständnis und Pocket-Verhalten müssen immer zumindest auf ausreichend gute Art und Weise gegeben sein, damit ein Quarterback eine Chance darauf hat, in die Top 10 auf der Position zu klettern. Das ist die Grundlage.
Und es gibt auch Abstufungen, nicht jede Superkraft ist gleichwertig. Tua Tagovailoa etwa spielt sehr schnell, und in gewisser Weise trägt auch das zum Lösen von Problemen bei. Aber ist es auch qualitativ so ein außergewöhnliches Tool, dass es Tuas Spiel robuster macht? Oder macht es ihn nicht einfach nur mehr zu einem Scheme-Fit für bestimmte Offenses?
Der Punkt ist dieser: Jedes Team sucht einen Quarterback mit einer Superkraft, der dadurch Schwachstellen überspielen und dann im letzten Schritt auch in den Playoffs einen Unterschied machen kann. Das ist das ultimative Ziel. Ein Ziel, das für viele Teams jedoch aus verschiedenen Gründen auf Sicht unerreichbar ist.
An diesem Punkt beginnt die Suche nach einer Alternative; nach einem Quarterback, mit dem man gewinnen kann, auch wenn es nicht in erster Linie wegen dieses Quarterbacks passiert.
Und hier kommt Shedeur Sanders ins Spiel.
Ist Shedeur Sanders ein besseres Prospect als Bo Nix?
Ich hatte mir im Laufe seiner Analyse die Frage gestellt, was genau Shedeur Sanders zu einem besseren Prospect als Bo Nix macht. Nix war vor dem Draft im Vorjahr ein Quarterback, den ich als High-Floor-Low-Ceiling-Prospect für die zweite Runde mochte. Ein Prospect mit einem relativ stabilen Skillset, ohne aber realistisches Top-10-Potenzial.
Hier ist eine gute Abstufung mit den oben genannten Qualitäten möglich. Denn der Draft im Vorjahr hatte Quarterbacks mit Qualitäten, die ich als „Superpower“ einstufen würde. Caleb Williams, Drake Maye, Jayden Daniels allen voran. Bei Nix habe ich eine solche Qualität nicht gesehen, genau wie ich sie bei Sanders auch nicht sehe.
Gleichzeitig hat Nix‘ Rookie-Saison in Denver unterstrichen, dass man mit einem solchen Quarterback sehr wohl gewinnen kann. Wenn der richtige Play-Caller ihn richtig einsetzt, wenn er keine Wunderdinge vollbringen muss, wenn er insbesondere als Passer wenig selbst kreieren muss, sondern sich an engen Parametern orientieren und festhalten kann.
Es ist insofern ein Stück weit ironisch, dass Sanders nur zu gerne davon spricht, dass er ideal für ein Franchise sei, das sich verändern will - mit ihm als treibender Kraft, versteht sich. Dabei ist er vermutlich abhängiger davon, wo er landet, als andere Quarterbacks.
Shedeur Sanders: Was sind seine Stärken?
Denn Sanders‘ ideale Rolle ist schnell erkennbar: Er ist ein Underneath-Ballverteiler.
Sein Spiel ist hier in jeder Facette mit Abstand am konstantesten. Kurze Dropbacks, designtes Quick Game, da ist seine Beinarbeit in der Regel gut, da ist seine Accuracy verlässlich, da sind seine Reads und Entscheidungen konstant. Hier sieht man, wie er auch vor dem Snap schon erkennt, wo er mit dem Ball hingehen wird und es gab definitiv Phasen in manchen Spielen, in denen Sanders Defenses aus der Pocket zerlegte.
Sein Touch als Passer ist generell gut. Sanders kann Bälle zwischen das zweite und dritte Level der Defense legen, er trifft Seam-Routes, er kann mit Touch und Antizipation sogar tiefe Holeshots - also der vertikale Pass hinter einen Outside Corner und vor einen Split-Field-Safety - treffen.
Wenn ich eine Superkraft in Sanders‘ Spiel nennen müsste, dann wäre es seine Toughness in der Pocket. Bei Colorado hat er hinter einer schwachen Offensive Line gespielt, welche Sanders in einem längst berüchtigten Interview nach der Niederlage gegen Nebraska öffentlich vor den sprichwörtlichen Bus warf.
Wahr ist aber, dass er viele Hits einstecken und viel unter Druck agieren musste. Sanders zeigte dabei in Ansätzen gutes Pocket-Verhalten, vor allem aber zeigte er die Toughness, auch gegen Druck und gegen den unmittelbar bevorstehenden Hit den Ball noch zu werfen.
Das beste Play, das ich von ihm in dieser Hinsicht gesehen habe, war dieser Shot gegen Oklahoma State.
Der Quarterback, an den ich bei dieser spezifischen Qualität immer denken muss, ist Ryan Tannehill. Tannehill war furchtlos in der Pocket, und in seinen besten Jahren bei den Titans hat das regelmäßig dazu geführt, dass er den Sekundenbruchteil länger in der Pocket bliebt, wohl wissend, dass er gleich einen harten Hit einstecken würde, was es aber dem Receiver auf dem tiefen Crosser erlaubte, die entscheidende Separation zu kreieren. Es ist keine „Superkraft“, die flexibel anwendbar ist. Aber sie macht die Offense gefährlicher.
Shedeur Sanders: Das sind seine Schwächen
Um das auf den Bo-Nix-Punkt zurückzuführen: Einen Quarterback mit einem guten, aber keinem Elite-Skillset zu hoch zu draften, erhöht die Chance, dass dieser Quarterback als Bust endet. Denn damit einher geht meist auch, dass der Quarterback zu einem zumindest in Teilen eher schlechten Team mit einer schwierigen Timeline kommt. Erfolg wird schnell erwartet, die Umstände sind nicht gut und instabil. Kenny Pickett und Mac Jones sind gute Beispiele dafür; Bo Nix ist eher die Ausnahme dieser Regel.
Diese Quarterbacks sind limitiert; sowohl in ihrem College-Tape, als auch in dem, was realistisch als Prognose denkbar ist. Und das trifft definitiv auch auf Sanders zu.
Sanders‘ Arm ist in Ordnung, aber nicht mehr als Mittelmaß, gemessen an NFL-Starter-Qualität. Er kriegt den Ball Downfield, aber wenn er Off-Platform agieren muss, bekommt er schnell Probleme. Hier sieht man, dass ihm Armstärke und Core-Strength fehlen, auch bei Scrambles aus der Pocket raus und dann dem Wurf aus der Bewegung. Seine Accuracy litt merklich, wenn er aus einer unsauberen Pocket spielen musste.
Sanders kann ein wenig als Scrambler kreieren, aber er ist kein Top-Tier-Athlet. Er kann weder mit Power, noch mit Agilität schnell auf eine sich verändernde Situation reagieren. Ihm fehlen schlicht sowohl als Passer, als auch als Runner die physischen und athletischen Tools, um verlässlich auf NFL-Level zu kreieren. Bei tiefen Pässen wird er von Ball-Winnern abhängig sein, denn viele seiner tiefen Pässe sind entweder ungenau oder enden als Contested Jump Ball, den der Receiver gewinnen muss.
Und für das Profil, das sich dann daraus ergibt, muss Sanders noch konstanter und sicherer Down für Down als Passer werden. Sein Dropback und seine Beinarbeit insgesamt waren häufiger noch ungenau, sodass der Dropback improvisiert wirkte oder er seine Füße nicht synchron mit seiner Progression bewegte. Wenn er von einer wackligen Base wirft, haben seine Würfe die Tendenz, hoch zu segeln.
Zu häufig hing er am ersten Read, wurde dann träge in der Pocket und warf entweder zu spät noch Bälle, die er nicht mehr werfen darf, oder kassierte Sacks, die er hätte vermeiden können. Das ist eine direkte Verbindung: Sanders hat nicht die Superkraft - in dem Fall entweder den Top-Tier-Arm oder die spektakuläre Mobilität -, um es sich leisten zu können, mit seinen Reads zu spät oder mit seiner Technik unsauber zu sein.
Draft-Prognose: Wer draftet Shedeur Sanders?
Sanders ist, auch wenn der Vater es nicht vermuten lassen würde, schlicht kein dynamischer Spieler. Und die besten Quarterbacks in der NFL, aber auch die besten Quarterback-Prospects im Draft, sind dynamische Spieler.
Cam Ward in diesem Jahr hat komplett andere Möglichkeiten mit seinem Arm. Jalen Milroe ist als Passer mehrere Stufen unter dem, wo Sanders steht, aber Milroe hat eine enorme Upside durch die Athletik und durch den Arm. Die hat Sanders nicht, dafür aber bringt er einen gewissen Floor mit. Es gehört nicht viel Vorstellungskraft dazu, um sich auszumalen, in welcher Rolle Sanders in der NFL ein solider, vielleicht sogar ein guter Quarterback werden kann.
Die spannende Frage lautet dann: Welches Team könnte das realistisch sein?
Die Browns und die Giants sind die ersten logischen Kandidaten, die mit Sanders in Verbindung gebracht werden. Cleveland hat den Nummer-2-Overall-Pick, die Giants picken danach an 3. Beide brauchen einen Quarterback, beide haben vermutlich keine Chance auf Cam Ward, davon ausgehend, dass den die Titans draften.
In beiden Fällen gibt es offensiv einige Bausteine, mit denen man arbeiten kann. Beide Teams sind aber auch noch ein gutes Stück weit davon entfernt, einen Quarterback, der genau das bräuchte, ins gemachte Nest zu setzen. Die Saints mit dem Nummer-9-Pick werden mittlerweile vermehrt als mögliches Sanders-Team gehandelt, hier wäre die spannende Dynamik, dass Derek Carr als Starter noch mehr als ein Russell Wilson in New York etwa für 2025 feststeht, und Sanders nicht sofort ins kalte Wasser geworfen wird.
Wendet man all die jetzt herausgearbeiteten Parameter an, wäre Pittsburgh der beste Spot für Shedeur Sanders. Hinter einer jungen, aufstrebenden Offensive Line, in einem Quarterback-freundlichen Scheme, mit zwei exzellenten Ball-Winnern auf Wide Receiver und einer Defense, die Shootouts zumindest meistens verhindern kann.
Die Steelers picken an 21. Und während wir einerseits wissen, dass der große Quarterback-Need und die Angst davor, am Ende des Drafts ohne eine vielversprechende Option dazustehen, Teams zu überstürzten Picks verleiten kann, haben wir auch das Gegenteil in der jüngeren Vergangenheit gesehen.
Im Draft 2022 gingen weder Malik Willis noch Matt Corral oder Desmond Ridder in Runde 1 oder Runde 2 vom Board. Teams bewiesen Geduld. Nur ein Team schlug damals in der ersten Runde zu, nachdem man abgewartet hatte: Die Pittsburgh Steelers, die Kenny Pickett mit dem 20. Pick auswählten.












































