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Vor S04-PAOK: "Wir sind keine Schwerverbrecher"

Vor dreieinhalb Jahren gab es heftige Kritik an Polizei-Einsatzleiter Klaus Sitzer
Vor dreieinhalb Jahren gab es heftige Kritik an Polizei-Einsatzleiter Klaus Sitzer
22. Februar 2017, 09:52
sport.de
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Die sportliche Relevanz des Europa-League-Rückspiels zwischen Schalke 04 und PAOK Saloniki ist aufgrund des 3:0-Vorsprungs der Knappen überschaubar, aber aufgrund drei Jahre alter Vorkommnisse wird das Spiel zur Hochrisikopartie. 

Seit August 2013 verbindet die Anhängerschaft von Schalke 04 und PAOK Saloniki eine ganz besondere Rivalität. Während des Champions-League-Qualifikationsspiels zwischen beiden Teams kam es zu einem Polizeieinsatz in der Schalker Fankurve, bei dem mehrere Dutzend Fans – aber auch Erste Hilfe leistende Sanitäter – durch Tränengas- und Schlagstockeinsatz verletzt worden waren. Ausgangspunkt der Polizeiaktion war eine mazedonische Flagge, die Gästefans aus Griechenland als Provokation auffassten und mit dem Sturm des Spielfeldes drohten. Doch anstatt den Drohungen der PAOK-Anhänger entgegenzutreten, stürmten die Einsatzkräfte die Schalker Nordkurve, um die Fahne zu entfernen.

Die Wut vieler Schalkefans über das ihrer Ansicht nach ungerechtfertigte und übertrieben ruppige Vorgehen der Polizei lässt für das Spiel am Mittwochabend eine riskante Gemengelage befürchten. sport.de hat vor dem Duell mit der Schalke-Insiderin und Bloggerin 'Susanne Blondundblau' von fankultur.com über die aktuelle Stimmungslage unter den Schalke-Fans gesprochen.

Liebe Susanne Blondundblau, schon im Hinspiel vor einer Woche gab es einige unschöne Szenen und Provokationen. Wie haben Sie die Lage vor Ort in Thessaloniki erlebt?  

Susanne Blondundblau: Weil es vorher eine detaillierte Info der Abteilung Fanbelange gab, sind wir schon mit einem etwas mulmigen Gefühl nach Griechenland gefahren. Man sollte auf das Tragen von Fanutensilien verzichten, sich nicht in größeren Gruppen bewegen. Außerdem war die Anreise zum Stadion nur auf ganz bestimmten Wegen per Shuttle-Bus möglich. Individual-Anreise war völlig verboten.

Wir sind schon am Dienstag, also zwei Tage vor dem Spiel, geflogen und wurden schon am Flughafen aufgrund unserer S04-Schals von zwei griechischen Zivilpolizisten – freundlich, aber nachdrücklich – darauf hingewiesen, dass es keine gute Idee sei, damit durch die Stadt zu laufen.

"Sie haben uns an die Genitalien gegriffen"

Gegen halb Sieben begann am Donnerstag der Buskonvoi, der die friedlich wartenden Schalker zum Stadion bringen sollte, und damit auch eine Art Viehtrieb. Die rund 1400 Fans wurden durch einen engen Spalt getrieben, der zwischen zwei Bussen gebildet wurde und dahinter wurden wir gleich vierfach gefilzt. Seit 1997 bin ich regelmäßig auf Auswärtsfahrten dabei, aber so etwas habe ich weder vorher noch hinterher erlebt: Sie haben uns an die Genitalien gegriffen, weibliche Beamte haben den Frauen an und unter die Brüste gefasst und gecheckt, ob wir etwas da drunter versteckt haben. Da hatten viele Schalker eine richtige Krawatte. Wir sind doch keine Schwerverbrecher.

Vor dem Stadion mussten wir dann noch 50 Minuten in den überheizten Bussen ausharren. Denn dort durfte man nur einzeln aussteigen, mit erhobenen Händen: Die Karte in der einen, den Ausweis in der anderen Hand. Dann wurden uns noch die Geldmünzen abgenommen, sogar aus dem Portemonnaie. Im Stadion gab es eine Laufbahn, ein Fangnetz: Ich weiß nicht, was wir mit den Münzen hätten machen sollen. Deswegen hatten die meisten Schalker einen ziemlichen Hals, als sie im Stadion ankamen.

Der Schalke-Fan-Block im Hinspie
Der Schalke-Fan-Block im Hinspie

Dann gab es ja noch etliche Transparente: "Fuck Nazi" mit Angela Merkel mit Hitlerbärtchen und "Macedonia is one and only and it's here". Daran haben die Schalker im Block sich relativ wenig gestört. Es war eher Unverständnis zu spüren, warum sich die griechischen Fans bei uns auf Schalke so über ein mazedonisches Fähnchen aufregen und selbst solche Provokationen nötig haben.

Vor dem Gästebereich stand ein Tanker mit Tränengas. Die Polizei bei uns im Block, die zu Beginn noch Kampfmontur an- und Gasmasken aufhatte, ist im Laufe des Spiels aufgetaut und hat sich zeitweise mit einigen Schalkern unterhalten. Die hatten wohl ursprünglich mit 1400 bis an die Zähne bewaffneten Hooligans gerechnet. Dabei ist die Schalker Auswärtsfahr-Szene so heterogen, dass das sehr unverständlich ist.

Mit welchen Gegen-Aktionen der Schalke-Fans rechnen Sie im Rückspiel? 

Wenn es Aktionen gibt, werden diese sich vor allem auf die Vorkommnisse von 2013 beziehen. Das Gefühl der totalen Ungerechtigkeit sitzt bei den Fans, die damals dabei waren, noch sehr tief. Es hat ja noch so viele Nachwehen dazu gegeben: Eine Landtagsanhörung, Strafverfahren gegen Polizeibeamte, die eingestellt wurde, weil gesagt wurde, dass es ein rechtmäßiger Polizeieinsatz gewesen sei und die Beamten daher so brutal vorgehen durften. Es gab zudem Geldstrafen wegen Landfriedensbruch und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Und zuletzt gab es ja eine Pressekonferenz, auf der mitgeteilt wurde, dass die mazedonische Flagge legal gewesen sei. Trotzdem folgte aber sofort die Warnung, man solle bloß nichts zeigen, was provozieren könnte.

Die Schalker haben einfach das Gefühl, dass – egal was passiert und egal wie andere über die Stränge schlagen – man selbst die Arschkarte hat. Deswegen gehe ich davon aus, dass es mazedonische Flaggen in der Nordkurve geben wird. Alles andere würde mich wundern.

Ist es nicht merkwürdig, dass die Polizei vor drei Jahren ausgerechnet den Schalke-Block stürmte (um eine legale Fahne zu entfernen), weil man davon ausging, dass sonst der Gästeblock überkocht, anstatt die Beamten vor den Auswärtsfans aufzustellen?

Die Arena auf Schalke ist jetzt seit 16 Jahren in Gebrauch. Es hat noch nie einen Platzsturm gegeben. Damals war Griechenland voll in der Krise. Es waren vielleicht 1000 Gästefans da. Und selbst wenn unter diesen dann 100 – 200 Fans waren, die sich über die Fahne im Schalke-Block aufgeregt haben, hätten eigentlich die drei Hundertschaften der Gelsenkirchener Polizei damit klarkommen können, jedenfalls einfacher, als 18.000 Mann in der Nordkurve einzunebeln.

Aber vor allem in der Landtagsanhörung wurde das Ganze noch stark verteidigt, weil man damals davon ausgegangen sei, die Fahne wäre volksverhetzend. Solch eine Fehleinschätzung kann ja im Eifer des Gefechts sogar mal passieren, aber spätestens im Nachhinein hätte man zugeben müssen, dass es ein Fehler war.

Wie verhält sich der Verein Schalke 04 in der Sache?

Insgesamt sind sie extrem bemüht, kein Öl ins Feuer zu gießen. Dafür habe ich bis zu einem bestimmten Punkt noch Verständnis. Damals war die erste spontane Reaktion noch richtig gut, weil man deutlich machte, dass die Aktion der Polizei völlig überzogen und nicht abgesprochen war, aber leider ruderte man dann nach und nach immer weiter zurück. Dabei hatten auch Sicherheits- und Fanbeauftragte in der Landtagsanhörung ausgesagt, dass man der Polizei davon abgeraten habe, in den Block zu gehen.

Schalke hingegen hat sich dann komplett rausgehalten: In den Verfahren gegen die Polizeibeamten hat der Verein nichts gesagt und die Fans in den Strafverfahren wurden auch alleine gelassen. Dafür hat sich dann mehr oder weniger die Königsblaue Hilfe gegründet.

"Von der Vereinsführung kommt sehr wenig"

Ansonsten ist es ein wenig zwiegespalten: Thomas Kirschner, der Fanbetreuer und seine Jungs, bemühen sich total, tun was sie können. Sie haben in Thessaloniki gute Tipps gegeben, haben versucht zu deeskalieren, haben die Leute in den Bussen beruhigt. Aber von der Vereinsführung kommt doch sehr wenig. Am Montag hat ja der Vorstand ein Appell veröffentlicht. In dem es unter anderem hieß, dass alles, was zur Provokation verwendet wird, abgenommen werden kann. Das ist ja auch ein klarer Hinweis, dass mazedonische Fahnen entfernt werden könnten.

Das finden viele Schalker schlecht, weil sie sich eigentlich ein Signal erhofft haben: Erstens, dass die Behandlung von uns Schalkern in Griechenland thematisiert wird gegenüber der UEFA und zweitens, dass klargemacht wird, dass der Verein auch zuhause hinter den eigenen Fans steht, so lange sich im Rahmen der Legalität bewegt wird.

Ein kleines bisschen mehr Rückendeckung für die eigenen Fans, von denen die ganz ganz ganz überwiegende Mehrheit gar nichts gemacht hat – im Gegenteil: sie wurden einfach nur schlecht behandelt – würde ich mir wünschen.

Welche Erwartungen haben Sie an das Auftreten der Polizei am Mittwoch?

Ich erwarte auf jeden Fall, dass es ein großes Polizeiaufgebot geben wird, um von beiden Seiten Gewalt zu verhindern. Ansonsten hoffe ich aber, dass es mehr Fingerspitzengefühl geben wird, falls es zu Provokationen kommt und nicht, dass wegen jeder einzelnen Fahne wieder auf die Schalker draufgegangen wird.

Und sollte es eine legale Fahne oder ein Spruchband geben, dann hoffe ich, dass das mit Zähneknirschen hingenommen wird und dass man lieber die Griechen in Zaum hält, falls es überhaupt so weit kommt.

Das Gespräch führten Chris Rohdenburg und Ralf Amshove

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