Obwohl er im letzten Jahr Lewis Hamilton hinter sich ließ und obwohl er sich aktuell anschickt, Max Verstappen als ersten Verfolger der dominanten McLaren abzulösen, könnte George Russell seinen Platz im Silberpfeil nach der aktuellen Formel-1-Saison verlieren. Ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, an dem Mercedes mutmaßlich wieder zum Top-Anwärter auf den WM-Titel aufsteigt. sport.de beleuchtet Russells verzwickte Lage.
Erleben wir gerade den besten George Russell aller Zeiten? Mit 146 WM-Punkten nach elf Rennen befindet sich der Brite in der Formel 1 auf Kurs, seinen persönlichen Bestwert aus der Saison 2022 zu knacken. 275 Punkte fuhr Russell damals in seinem Debüt-Jahr bei den Silberpfeilen ein, vom Stand weg mehr als Routinier Lewis Hamilton.
Nach einer kleinen Delle 2023 lag der 27-Jährige auch im letzten Jahr nicht nur punktemäßig vor Hamilton (245 zu 223), sondern distanzierte den Rekordweltmeister zudem deutlich in den direkten Qualifying-Duellen (19 zu 5). Nachdem Hamilton mittlerweile bei Ferrari sein Glück versucht - mehr schlecht als recht - hat Russell bei Mercedes nun Youngster Kimi Antonelli voll im Griff, landete in jedem Rennen vor dem hochveranlagten Italiener. Keine Frage, der Brite hat sich zu einem fertigen Fahrer gemausert.
Was Russell noch fehlt: Ein WM-Titel! 2025 ist dieses Ansinnen gegen die ultra-dominanten McLaren aussichtslos, doch 2026 könnte Mercedes dem Vernehmen nach zu alter Stärke zurückkehren. Schon länger heißt es, dass der Rennstall des deutschen Autobauers beim Motor für das neue Technische Reglement einen Vorsprung hat und damit eine neue dominante Ära starten könnte. Doch ob Russell vom mutmaßlichen Top-Antrieb profitieren können wird, ist ungewiss.
Denn aktuell deutet einiges darauf hin, dass Mercedes tatsächlich Max Verstappen verpflichten könnte. "Sky Italia" heizte die ohnehin seit Monaten kursierenden Gerüchte jüngst nochmal an, schrieb gar von einer Einigung zwischen zwischen Teamchef Toto Wolff und dem Vierfach-Weltmeister. Mit Folgen für Russell: Denn dieser soll laut dem italienischen TV-Sender fortan raus sein. "Auto Motor und Sport" schrieb derweil "nur" von Gesprächen mit der Verstappen-Seite, die einen Wechsel aber wohl nicht mehr ausschließt.
Russell bestätigt Anfragen - will aber eigentlich bleiben
So oder so: Russells Vertrag läuft nur bis Saisonende. Heißt: Einer der besten aktuellen Fahrer muss sich möglicherweise schon bald nach einem neuen Team umschauen. Oder tut er das sogar schon?
"Es gab Anfragen anderer Teams, aber ich habe allen gesagt, dass Mercedes meine erste Wahl ist", wiegelte er Spekulationen über einen Wechsel jüngst in einer Medienrunde ab. Gleichzeitig räumte er jedoch ein, dass er sich durchaus bewusst sei, dass Verstappen naturgemäß auch bei Mercedes ganz oben auf der Liste stehen muss, wenn sich die Chance für eine Verpflichtung ergibt.
Wie Russell ist auch Antonelli nur bis Ende 2025 gebunden. Dass Wolff den hochtalentierten Youngster allerdings schon nach einem Jahr wieder fallen lässt, ist für viele Beobachter ausgeschlossen. Zudem erscheint es angesichts der angespannten Dynamik zwischen Russell und Verstappen kaum vorstellbar, dass beide in einem Team harmonieren könnten.
Zu unterschiedlich sind die Persönlichkeiten, aber auch die Fahrstile, zu viele Zwischenfälle gab es allein in dieser Saison: Auf der Strecke, wie bei Verstappens Ramm-Aktion in Barcelona, taktischen Nickligkeiten wie vor Kurzem in Kanada, oder bei verbalen Scharmützeln abseits des Asphalts.
Russell wartet ab
Wolff beteuerte zwar, er sei auch mit den Hitzköpfen Hamilton und Nico Rosberg klargekommen, aber ob sich der Mercedes-Boss eine solch hochexplosive Lage erneut antut, dazu noch zum Start in ein neues Technisches Reglement mit etlichen anderen Nebenschauplätzen, ist fraglich.

Russell wird sich also zumindest schon einmal auf einen Wechsel vorbereiten müssen. Als erste Option sticht der frei werdende Platz bei Red Bull Racing ins Auge. Ein erstes rein informelles Treffen mit Teamchef Christian Horner soll es laut "Reuters" und "Sun" sogar schon gegeben haben. sport.de-Kolumnist Felix Görner schrieb jüngst von einem drohenden Dominoeffekt und dass die Roten Bullen Russell ein Angebot machen könnten im Fall der Fälle.
Auch das aufstrebende Aston-Martin-Team, das sich mit frischem Personal und einer neuen Fabrik für 2026 neu aufgestellt hat, wäre eine Option für Russell. Laut "Motorsport.com" gilt der 27-Jährige gar als Wunschfahrer für das kommende Jahr. Allein: A-Optionen sind sowohl Red Bull als auch Aston Martin in 2026 allem Anschein nach nicht.
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Kein Wunder, dass Russells Ziel eine Verlängerung bei Mercedes bleibt - jedenfalls so lang, bis es noch ernster wird mit Verstappen und Mercedes.
"Ich möchte hier weitermachen. Das war schon immer klar. Ich bin Mercedes gegenüber loyal. Sie haben mir die Chance gegeben, in die Formel 1 zu kommen", bestätigte er zuletzt in ähnlicher Form immer wieder.
Spätestens in der vierwöchigen Sommerpause im August will Mercedes Klarheit schaffen. "Ich will ja nicht sadistisch sein und einen Fahrer unnötig warten lassen, wenn eine Entscheidung getroffen werden sollte", beteuerte Wolff kürzlich.
Russell machte derweil deutlich, dass er um seine Fähigkeiten und seinen Marktwert weiß. "Ich mache mir keine Sorgen um das nächste Jahr", betonte er: "Ich weiß, dass ich nächstes Jahr in der Startaufstellung stehen werde."
Mit Pech allerdings erneut in einem Auto, mit dem er - persönliche Top-Leistungen hin oder her - am Ende nicht mit um den WM-Titel fahren kann.



