Malaika Mihambo spricht im "SID"-Interview vor der Hallen-EM über ihre Titel-Lücke, Reformen in der Leichtathletik und die Politik.
SID: "Frau Mihambo, Sie haben ja eigentlich schon alles gewonnen, was man gewinnen kann. Aber ein Titel in der Halle fehlt Ihnen tatsächlich noch. Salopp gefragt: Wie kann das sein?"
Malaika Mihambo: "Ich habe eigentlich immer eine gute Beziehung zur Halle gehabt, auch wenn es nicht immer so lief, wie ich mir das vorgestellt habe. Ich kann mich an zwei, drei internationale Meisterschaften erinnern, bei denen ich definitiv nicht mein Potenzial ausschöpfen konnte. Aber das lag an Verletzungen, äußeren Umständen, familiären Umständen und so weiter und hat nichts mit der Halle an sich zu tun. Es wäre schön, wenn es jetzt klappen könnte, und ich werde mein Bestes geben. Aber ich freue mich eher darauf, ein Potenzial zu entfalten, als zu sagen: 'Naja, mir fehlt noch irgendwas'."
Wo steht Malaika Mihambo?
SID: "Wie schätzen Sie Ihre Form vor Apeldoorn ein?"
Mihambo: "Ich bin in einer sehr guten Verfassung dieses Jahr. Das liegt sicherlich auch daran, dass ich die Vorsaison nach den Olympischen Spielen wegen des Postcovids so früh abgebrochen habe und danach eine Pause einlegen konnte. Trotzdem konnte ich danach relativ früh wieder mit Grundlagentraining beginnen - das hat mir gutgetan. Ich freue mich einfach, dass ich schon wieder ein so hohes Niveau habe. Die Hallen-EM wird der erste und einzige Wettkampf, den ich nicht aus dem Training heraus gestalte, sondern explizit vorbereite. Ich werde alles reinlegen, um einen guten Wettkampf zeigen zu können. Dazu gehört, technisch alles richtig zu machen. Aber es geht auch immer um die Motivation, um die mentale Stärke, um diese nichtkörperliche Komponente."
SID: "In Karlsruhe sind Sie auf 7,07 m gesegelt, nie sind Sie in der Halle weiter gesprungen. Wie viel Potenzial schlummert denn da in Ihnen?"
Wie findet Mihambo die späte WM?
Mihambo: "Der Infekt, den ich hatte, hat mich schon ein bisschen rausgebracht. Daher waren die deutschen Meisterschaften gut, um wieder das richtige Feeling zu entwickeln. Aber ich glaube, dass ich die wichtigen Bausteine schon verinnerlicht habe. Darauf kann ich aufbauen, damit kann ich im Wettkampf arbeiten, damit kann ich spielen. Jetzt geht es darum, die ganzen Puzzleteile, die ich in dieser Saison gesammelt habe, nochmal richtig zusammenzulegen - gerade was den Anlauf betrifft. Das gehe ich jetzt im Vorhinein schon mental an. Aber letztendlich muss ich es auch vor Ort im Wettkampf umsetzen. Im Training springe ich nicht aus meinem vollen Anlauf, weil ich dort eben nicht so schnell bin, nicht so heiß, sag ich mal. Es geht um nichts, da fehlt diese Anspannung eines Wettkampfs. Ich weiß aber, dass es mir gelingen kann, an dem Tag alles zusammenzusetzen."
SID: "Der ganz große Höhepunkt des Jahres steigt aber erst im Sommer, die WM in Tokio findet relativ spät statt. Ist das ein Vor- oder Nachteil für Sie?"
Mihambo: "Mir kommt das gelegen. Je länger ich trainieren kann, desto besser komme ich einfach in Form. Wenn ich gesund und verletzungsfrei bleibe, bin ich zuversichtlich, dass ich auf diesem tollen und hohen Niveau, das ich mir in der Halle schon erarbeitet habe, noch weiter aufbauen kann. Und das ist natürlich auch der Schlüssel zu herausragenden Leistungen oder auch zu so einer Saison, wie ich sie etwa 2019 mit dem WM-Sieg in Doha hatte. Und ich freue mich einfach auf diesen Prozess, weil ich weiß, dass mir das liegt und mir das guttut."
SID: "Richtig gut geht es der Leichtathletik in Gänze nicht, Weltverbands-Präsident Sebastian Coe fürchtet einen Bedeutungsverlust der Sportart und will neue Wege gehen, um attraktiv für die Fans zu bleiben. Sehen Sie auch diesen Reformbedarf?"
Mihambo: "Ich glaube, dass es immer wichtig ist, zu schauen, wie kann man den Sport spannend gestalten für die Menschen, wie kann man schauen, dass mehr Menschen die Sportart machen und sich dahingehend Konzepte überlegt. Zum einen könnte es helfen, das Angebot zu erhöhen, die Leichtathletik zugänglicher zu machen und ohne Pay-TV einen sehr zugänglichen Rahmen dafür zu setzen. Aber natürlich muss man auch über die Formate nachdenken. Ich glaube schon, dass es Spaß macht, auch für längere Zeit im Stadion zu sein, viele kennen das einfach aus ihrer Kindheit und Jugend. Aber natürlich geht es auch um das Publikum, das selbst nie Leichtathletik gemacht hat. Und wie sieht es mit den Menschen vor dem Fernseher aus? Wie kann die Regie die Bilder noch interessanter zusammenschneiden und gleichzeitig mehr vom Sport transportieren, mehr von den Emotionen? Wie kann man vielleicht noch mehr Geschichten erzählen, denn letztendlich sind ja Menschen auch begeistert von den Geschichten. Ich denke, man muss da einfach offen sein."
Welchen Stellenwert hat Olympia-Gold?
SID: "Im Weitsprung wurde jetzt die Take-off-Zone getestet, Sie waren dabei."
Mihambo: "Ich finde, von einem Versuch kann man eigentlich nur lernen. Man kann es mögen, man kann es schlecht finden. Ich finde, man sollte es auf jeden Fall mal probieren, bevor man sich eine abschließende Meinung bildet. Und ich muss sagen, ich habe viel gelernt durch dieses Pilotprojekt. Zum einen, dass der Unterschied marginal ist. Man läuft an, man springt ab, es wird gemessen. Aber mir ist auch klar geworden, dass nur das Treffen des Bretts noch lange nichts darüber aussagt, ob der Sprung gut wird oder nicht. Der Sprung hängt von so vielen Faktoren ab. Von einem schnellen Anlauf, von der optimalen Absprungvorbereitung, von einem schnellen Schwungbein, der guten Flug- und Landephase. Es sind diese technischen Elemente, die den Weitsprung ausmachen. Über all diese Elemente gewinnt oder verliert man einen Wettkampf - aber in der Regel nicht nur über das Brett. Ich bin für eine sachliche, nicht so emotionale Debatte über die Absprungzone: Wird es dadurch besser oder nicht? Wir sollten es testen, anschauen, durchdenken, auswerten, Zuschauer befragen, Athleten befragen. Wenn man alle Antworten hat, kann man guten Gewissens auch neue Lösungen eingehen, vorausgesetzt man kommt zu dem Schluss, dass das Gesamtpaket mit dem neuen Format besser als das alte sein sollte."
SID: "Wenn wir noch einmal auf den Sport im Allgemeinen schauen. Der ehemalige Schwimm-Star Michael Groß hat unlängst gesagt, dass Olympiasieger eigentlich oft nur noch Helden für einen Tag sind, dass Olympia-Gold an Stellenwert eingebüßt hat. Teilen Sie die Meinung?"
Mihambo: "Da hat sich sicherlich etwas verändert. Und gleichzeitig muss man ja auch sagen, dass sich alles verändern darf. Wir müssen uns nur fragen, ob wir als Gesellschaft damit zufrieden sind oder wir eine Sportnation sein wollen? Dann müssen wir aber auch besser fördern, effizienter fördern, mehr fördern. Dann müssen wir mehr dafür tun, dass wir eine Sportnation bleiben können, damit die Erfolge auch größer werden. Und damit meine ich nicht nur die Anzahl der Medaillen. Aber das ist ja immer eine gesamtgesellschaftliche Entscheidung. Und da kann sich jeder, der sich davon angesprochen fühlt, auch einbringen, damit der Sport wieder mehr Ansehen erlangt - seien es Politiker, Wirtschaftsunternehmen, Trainer, die Medien oder auch Lehrer. Ich glaube, das ist eine Aufgabe, die von der Gesamtgesellschaft getragen werden muss."
SID: "Glauben Sie, dass sich die Politik nach den Bundestagswahlen vor dem Hintergrund der Krisen in der Welt dieser Aufgabe annehmen wird?"
Mihambo: "Der Sport ist ein sehr wichtiges Thema, weil über den Sport so viele andere Werte getragen und gestärkt werden. Ob das Fairplay ist, Toleranz, sich selbst verbessern zu wollen, also ein gesunder Leistungsgedanke. Das Wir-Gefühl. Im Sport stecken so viele Dinge, die wir in der Gesellschaft gerade jetzt brauchen. Und wenn wir mehr von diesen Werten in uns tragen würden und sie präsenter wären, würden sicherlich viele gesellschaftliche Debatten auch auf einem ganz anderen Niveau ablaufen können und wären vielleicht weniger emotional, sondern an einer sachlichen und friedlichen Lösung orientiert. Letztendlich müssen Kompromisse gefunden werden, dafür brauchen wir gemeinsame Werte, mit denen eine Debatte geleitet und geführt werden kann. Ich finde, Angst sollte da keinen Platz haben, in dem Sinne, dass es uns davon abhält, ruhig, langfristig und nachhaltig über Themen nachzudenken."