Neben dem Gesamtweltcupführenden Pius Paschke ist in diesem Skisprung-Winter Gregor Deschwanden die größte Überraschung in der Weltspitze. Im Gespräch mit sport.de verriet der Schweizer, wie sich seine Top-Form auf das Interesse an seiner Person auswirkt, woher sie eigentlich kommt und warum die Weltspitze immer älter wird.
33 Jahre musste Gregor Deschwanden erst alt werden, um endlich die Form seines Lebens zu erreichen. Mit zwei zweiten Plätzen in Wisła, Titisee-Neustadt und einem dritten Rang bei seinem Heim-Weltcup in Engelberg hat er im aktuellen Winter bereits mehr Podiumsplatzierungen erzielt als in seiner gesamten Laufbahn zuvor. Im Gesamtweltcup steht er auf Platz fünf, auch auf den Titel bei der Vierschanzentournee - was bis heute noch keinem Schweizer gelungen ist - hat er als Sechster vor dem Neujahrsspringen durchaus Chancen.
Im Gespräch mit sport.de in Garmisch-Partenkirchen verrät der Schweizer, wie er zu seiner Top-Form gekommen ist, wie sich diese auf das Interesse an seiner Person auswirkt und warum die Skisprung-Weltspitze insgesamt älter wird.
Herr Deschwanden, im Kreise der aktuellen Tournee-Anwärter haben Sie vermeintlich die wenigsten Medien-Anfragen zu bewältigen. Täuscht dieser Eindruck?
Gregor Deschwanden: Ich sage es mal so: Es sind zwei, drei Interviews mehr für internationale Medien als ich das gewohnt bin. In der Schweiz ist es sehr überschaubar, die haben immerhin einen Fernsehreporter geschickt. Aber alleine das ist schon eine schöne Wertschätzung, weil es bedeutet, dass durch meine Leistungen das Springen überhaupt im TV übertragen wird. Sonst würde es wohl nur im Livestream oder gar nicht laufen. Ich nehme es so wahr, dass sich die Schweizer freuen, dass einer von ihnen gegen die ganzen Österreicher springt.
Sie haben in der Vorsaison immer wieder angedeutet, dass sie vorne mitspringen können, wenn bei Ihnen alles passt. Jetzt sind sie beständig vorne zu finden und haben jetzt schon mehr Podestplätze als in der Vergangenheit zusammen. Woher kommt diese Kontinuität bei Ihnen?
Letzte Saison hatte ich einen guten Start und dann zwischen Tournee und Februar viel zu kämpfen. Und diesen Sommer hatte ich exakt das gleiche Problem und dann aber die Lösung gefunden. Mein größter Fehler war, dass ich in der Anfahrtsposition immer wieder den Schwerpunkt zu weit hinten hatte und dann mit dem Oberkörper beim Absprung nach vorne gefallen. Und jetzt habe ich eine Lösung gefunden, die auch fast immer klappt. Und wenn du diese Ahnung erstmal hast, dann funktioniert es viel besser.
Sind Sie also der lebende Beweis dafür, dass gute Skisprünge de facto von einer funktionierenden Anfahrtsposition leben?
Nicht immer. Das Selbstvertrauen kommt durch die Top-Ten-Platzierungen und mit diesem Vertrauen springst du viel aktiver und marschierst oben am Schanzentisch raus. Das ist ein großer Faktor, den man nicht unterschätzen darf. Jeder Skispringer hat einen Hauptfehler, den er ausmerzen muss. Aber wenn du für den die Lösung hast und ihn zu 90 bis 95 Prozent vermeiden kannst, verleiht dir das automatisch mehr Konstanz. Und du hast nicht in jedem Sprung andere Baustellen.
Sie tragen mit ihren 33 Jahren ja auch dazu bei, dass das Alter in der Skispringer-Weltspitze weiter gestiegen ist. Wie ist es zu erklären, dass die Top-Athleten im Altersdurchschnitt immer älter werden?
Ein Teil dessen ist, dass die, die aktuell vorne sind, auch schon in den letzten fünf Jahren vorne dabei waren. Mit ihnen ist die Weltspitze älter geworden, das ist ein Reifeprozess. Dazu kommen jetzt aber auch die Springer, die in der Vergangenheit nicht die großen Erfolge hatten, aber dadurch noch ein bisschen hungriger sind und bleiben. Pius Paschke und ich sind ja nur zwei Beispiele. Er hat jetzt sogar Siege gefeiert und dadurch gemerkt, dass er das auch alleine kann und gar nicht ein Teamspringen dafür braucht.
Deschwanden gesteht: "Gab diesen Punkt, an dem ich nicht mehr an mich geglaubt habe"
Die Strukturen zwischen Deutschland und der Schweiz zu vergleichen, ist sicher schwierig. Aber Sie beide profitieren auch davon, dass der jeweilige Verband an Ihnen festgehalten hat, nicht wahr?
In der Schweiz hat man sicherlich zwischendurch junge Athleten nicht so gefördert, wie sie es gebraucht hätten. Deswegen war zwischen der erfolgreichen Ära von Simon Ammann und Andreas Küttel zehn Jahre lang ein Erfolgsloch. Simon ist zehn Jahre älter als ich und zwischen uns beiden gab es Springer, aus denen etwas hätte werden können. An denen hat man aber nicht so festgehalten, wie sie es gebraucht hätten, weil sie eben nicht mit 18 schon durchgestartet sind.
Für mich persönlich kann ich aber nur sagen, dass ich immer das Gefühl hatte, dass die Trainer an mich geglaubt haben. Mehr sogar als ich an mich selbst. Es gab diesen Punkt, wo ich nicht mehr an mich selbst geglaubt habe. Aber das ist auch normal, wenn du immer alles reinlegst und am Ende doch das Gefühl hast, dass es nicht so klappt.
Kam in diesem Sinne der Personalwechsel zur richtigen Zeit für Sie?
Das würde ich so nicht sagen, auch unter Ronny Hornschuh lief es schon ganz gut. Aber mit Rune Velta und dem neuen Disziplinchef Joel Biri wurden viele Sachen proaktiv und mutig entschieden. Am Anfang war das Budget für unseren Anzugchef nicht das, was es heute ist. Aber dann wurde gesagt, dass man investiert und nicht mehr gesagt 'Das haben wir immer so gemacht, dabei bleiben wir.' Manchmal braucht es solche Entscheidungen, um andere Dinge in Gang zu setzen. Man muss auch am richtigen Ort investieren.
Beim Thema Investition ist eines auffällig: Bislang hat offenbar noch niemand in die Werbefläche auf Ihrem Helm investiert, obwohl sie der aktuell fünftbeste Skispringer der Welt sind. Wie kann das sein?
Es gibt schon Angebote, deswegen habe ich auch die Hoffnungen, dass es noch während oder eben nach der Tournee noch etwas wird. Ich lege aber auch Wert darauf, dass es dann jemand wird, der da längerfristig investiert und nicht nur jetzt, weil es gerade mal sehr gut läuft.


