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DSV-Hoffnung im Exklusiv-Interview

Debütant Tittel vor Vierschanzentournee "etwas kaputt"

Adrian Tittel freut sich auf seine erste Vierschanzentournee
Adrian Tittel freut sich auf seine erste Vierschanzentournee
Foto: © IMAGO/Eibner-Pressefoto/Memmler
27. Dezember 2024, 15:10

Im vergangenen Jahr verfolgte Adrian Tittel die Vierschanzentournee noch im TV. Nun gehört er selbst zum erlesenen Kreis der weltbesten Skispringer, die am großen Saison-Highlight teilnehmen werden. Wie er den Weg dorthin gemeistert hat, was die Tournee für ihn bedeutet und was er sich vorgenommen hat, verrät der deutsche Youngster im exklusiven sport.de-Interview.

Seit fünf Wochen darf sich Adrian Tittel Weltcup-Athlet nennen. Doch anders als viele vor ihm führte sein Weg in die Eliteklasse des Skispringens nicht über den zweitklassigen Continental-Cup in eine nationale Gruppe oder durch das Erspringen eines Startplatzes ebendort, sondern durch die Junioren-Weltmeisterschaft.

Als der heute 20-Jährige im Februar in Planica zu Bronze und damit seinem größten Erfolg sprang, wusste er aber noch nicht, dass dieses Ergebnis mehr als eine Medaille Wert sein würde. Denn erst im Frühjahr beschloss der Ski-Weltverband FIS jenen Nationen, deren Athleten eine Medaille holten, einen Weltcup-Startplatz einzuräumen.

Genau diesen hat der Springer der SG Nickelhütte Aue seit Winterstart inne und darf dadurch ab dem 28. Dezember zum ersten Mal an der Vierschanzentournee teilnehmen. Im Exklusiv-Interview mit sport.de verrät der deutsche Youngster wie die Saison bislang für ihn verlief, was die Tournee für ihn bedeutet und was er sich vorgenommen hat.

Die Weihnachtspause ist für einen Skispringer in diesem Jahr besonders kurz, wenn er, wie Sie zur Vierschanzentournee darf. Wie haben Sie die Feiertage verbracht?

Adrian Tittel: Das stimmt, aber die Pause tut trotzdem nach den letzten Wochen gut. Ich habe mich ganz gut erholen können. Die Abläufe an diesen drei Tagen waren wie immer, wir haben als Familie feste Rituale, die jedes Jahr gleich sind.

Wie blicken Sie mit etwas Abstand auf die Tournee-Generalprobe in Engelberg mit Platz 49 und 41 zurück?

Verglichen mit den Stationen davor war Engelberg definitiv ein schwierigeres Wochenende. Einerseits mit dem Wetter, da war zwischen Schnee, Regen und Wind alles dabei. Ich habe aber auch festgestellt, dass die letzten Wochen nicht so spurlos an mir vorübergegangen sind. Ich war etwas kaputt und meine Beine fühlten sich etwas leer an. Dadurch waren meine Sprünge auch nicht auf dem höchsten Niveau. Aber die Tatsache, dass ich zwei Mal die Qualifikation geschafft habe, zeigt mir, dass es prinzipiell weiter funktioniert. Mit einzelnen Sprüngen bin ich ganz zufrieden und, dass es dann im Wettkampf mal nicht klappt, passiert. Aber das Gute ist ja, dass wir viele Wettkämpfe haben und ich schon am nächsten Wochenende wieder zeigen kann, was drin ist.

Die Schanze in Engelberg sind Sie vorher noch nie gesprungen. Wie bereiten Sie sich auf deine ersten Sprünge auf einer unbekannten Anlage vor?

Diese Situation hatte ich jetzt fast jede Woche im Saisonverlauf. Aber das stört mich gar nicht. Ich mag es sogar ganz gerne, neue Schanzen zu erkunden. Da geht man grundsätzlich unvoreingenommen ran und sagt nicht 'Die mag ich nicht' oder 'Die finde ich echt gut'. Grundsätzlich brauche ich auch nur ein, zwei Trainingssprünge und dann habe ich die Anlagen verinnerlicht. Ich komme da schnell rein. Und bis auf Wisła war das im bisherigen Winter auch so.

Also eine eingehende Analyse mit Videos brauchen Sie persönlich gar nicht?

Nicht wirklich, nein. Aber meine Teamkollegen sagen mir auch vorher schon, worauf man achten muss. Und wenn man dann den ersten Trainingssprung gemacht hat, wird einem genau das dann auch bewusst und man versteht, wie die Schanze funktioniert.

Skispringer Tittel: "Muss bei meinen Dingen bleiben"

Auch rein kalendarisch haben Sie jetzt die erste Weltcup-Periode in Ihrer Karriere geschafft. Wie fällt Ihr erstes Zwischenfazit aus?

Insgesamt bin ich zufrieden. Ich hätte vorher nicht gedacht, dass es gleich beim ersten Weltcup mit den Punkten klappt. Wenn ich jetzt zurückblicke, hat genau das auch meine Erwartungen an mich selbst gesteigert. Wenn man im ersten Springen punktet, möchte man das natürlich auch bei jedem weiteren schaffen. Da muss ich aufpassen, dass ich nicht zu ehrgeizig werde und mich nicht vergrabe, wenn ich keine Punkte hole. Meine Trainer sagen immer so schön, dass ich bei meinen Dingen bleiben und einfach Skispringen soll. Der Rest wird dann schon passieren.

Was waren denn der schönste und bisher schwierigste Moment für Sie?

Der schwierigste war definitiv der Sonntagmorgen in Engelberg, wo ich mich schon kurz gefragt habe, wie es denn funktionieren soll. Aber der 30. Platz in der Quali war dann ganz ordentlich. Dass man es dann nicht immer in den Wettkampf bringt, ist nur menschlich. Das Highlight bisher war definitiv der Heim-Weltcup Titisee-Neustadt. Das war ein sehr cooles Erlebnis mit den vielen Fans an der Schanze. Und jetzt bin ich mal gespannt, wie es bei der Vierschanzentournee wird.

Sprechen wir über dieses große erste Saison-Highlight und für Sie ja auch das größte Event der noch jungen Karriere. Was fällt Ihnen denn als erstes ein, wenn Sie an die Tournee denken?

Sehr, sehr viel. Es ist eines dieser Events, das jeder Skispringer gewinnen möchte. Für mich steht es auf einer Stufe mit Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen. Das Spezielle ist natürlich auch der K.o.-Modus, den ich bis jetzt nur aus dem Fernsehen kenne. Vor dem TV fand ich ihn immer als wohltuende Auflockerung, deswegen bin ich umso gespannter, wie er dann als Springer sein wird. Und ich würde mich freuen, wenn mal wieder ein Deutscher gewinnt.

Da sprechen Sie sicher ganz vielen Fans aus der Seele. Ist die Tournee für Sie als Kind auch so prägend gewesen wie für viele Ihrer Mitstreiter?

Absolut! Als Kind habe ich sie immer mit meinen Eltern geschaut und gemeint 'Cool, da will ich auch mal springen'.

Und wie fühlt sich das für Sie an, dass Sie nun sagen können, selbst dabei zu sein?

Also ich persönlich realisiere das immer noch gar nicht so richtig (lacht). Aber meine Eltern haben dieses Bild von mir als kleiner Junge immer noch sehr präsent und finden es richtig klasse, dass ich jetzt dabei sein darf und sie werden auch in Oberstdorf an der Schanze mitfiebern. Für mich ist es halt täglich Brot, Ski zu springen und ob das jetzt im Weltcup oder anderswo ist, habe ich nicht auf die hohe Waage gelegt. Klar denkt man ab zu daran, aber wenn man das zu oft macht, baut man zu viel Nervosität auf.

Für viele ist so etwas wie der letzte deutsche Tourneesieg oder der Grand-Slam die Tournee-Erinnerung schlechthin. Sie waren 2002 noch gar nicht geboren. Was sind Ihre persönlichen Tournee-Erinnerungen?

Mir ist immer noch der Auftaktsieg von Andreas Wellinger letztes Jahr in Oberstdorf sehr präsent. Da dachte man ja auch schon 'Mensch, jetzt könnte es was werden' und dann war es schade, dass es doch nichts geworden ist. An den Grand-Slam von Kamil Stoch und auch an den von Ryoyu Kobayashi erinnere ich mich auch noch gut, wenngleich er dadurch natürlich etwas an Wert verloren hat, weil es jetzt schon drei Springer geschafft haben. Aber ganz ohne jeden Zweifel ist ein Tournee-Sieg etwas, das ganz viele Skispringer schaffen möchten.

Wenn unsere Recherche stimmt, haben Sie auf den Tournee-Schanzen bislang nur in Oberstdorf und Innsbruck Wettkämpfe bestritten. Wie vertraut sind Sie denn mit den Anlagen?

Ja, das stimmt. In Innsbruck hatten wir letzte Saison einen Continental-Cup (zweithöchste Klasse im Skispringen, Anm. d. Red.). Die Wettkämpfe in Oberstdorf sind schon sehr lange her, das war damals ein Alpen-Cup (Nachwuchsserie, Anm. d. Red.), aber an beiden Orten sind wir im Sommer sehr oft gesprungen, wie auch in Garmisch-Partenkirchen. In Bischofshofen bin ich bislang zwei Mal gesprungen, also ist die Schanze zumindest kein komplettes Neuland für mich.

Und wie taugen Ihnen diese vier doch recht unterschiedlichen Schanzen?

Am meisten Spaß hatte ich bislang definitiv in Innsbruck. Garmisch-Partenkirchen war diesen Sommer auch ganz gut für mich. Oberstdorf bin ich schon so oft gesprungen, kenne ich aber bislang noch nicht mit vollem Stadion. In Bischofshofen bin ich bislang nur im Sommer gesprungen, da werde ich also erst noch herausfinden, wie mir diese lange, flache Anlauf im Winter liegt.

Vierschanzentournee: K.o.-Durchgang erreichen "wäre wunderbar"

Diese vollen Stadien lernen Sie auch gerade erst noch so richtig kennen. Was macht es mit Ihnen, wenn der Auslauf voller Fans ist?

In Titisee-Neustadt war ich ehrlicherweise etwas nervös, zumindest im Quali-Sprung am Samstag. Es ist immer noch etwas ungewohnt, wenn man dieses Deutschlandfahnenmeer und diese Menge sieht, die will, dass du ganz weit nach unten springst. Aber ich versuche, bei mir zu bleiben und habe es bislang immer ganz gut hinbekommen, dass ich im Wettkampf immer noch etwas drauflegen kann. So ein bisschen Druck und Wettkampfspannung brauche ich schon, würde ich sagen.

Wenn man Ihnen zuhört, klingt immer noch ein bisschen durch, dass Sie nicht nur als Skispringer, sondern auch als Skisprungfan sprechen. Täuscht dieser Eindruck?

Ich bin voll mit dabei und versuche, die Anderen auch zu pushen. Ich bin zwar Athlet, aber weiterhin auch Skisprungfan, das hat sich seit meiner Kindheit nicht verändert.

Dann fragen wir doch mal den Skisprungfan in Ihnen nach den Tournee-Favoriten. Im bisherigen Saisonverlauf haben Ihre Teamkollegen und die Österreicher die Siege unter sich ausgemacht. Sind die auch die ersten Anwärter auf den Goldenen Adler?

Das ist echt schwierig zu sagen. Irgendwie hat die Tournee ihre eigenen Gesetze, so wie im Fußball der DFB-Pokal (lacht). Letztes Jahr hat uns Ryoyu Kobayashi ja auch überrascht. Der kam eher aus dem Hintergrund und hat sie dann gewonnen, ohne dabei einen Tagessieg zu holen. Ich würde es Pius Paschke sehr wünschen, verdient hätte er es sich auf jeden Fall. Die drei Österreicher, die aktuell vorne mitmischen (Daniel Tschofenig, Jan Hörl und Stefan Kraft, Anm. d. Red.) und auch Gregor Deschwanden aus der Schweiz darf man aber natürlich ebenso wenig vergessen. Ich bin echt gespannt, wer es machen wird.

Was sind denn Ihre persönlichen Erwartungen und Ziele für die Tournee?

Ich möchte einfach gut Ski springen, so wie ich es auch am Saisonbeginn geschafft habe. Die Qualifikationen zu überstehen und im K.o.-Durchgang mit dabei zu sein, wäre wunderbar. Ich werde versuchen alles zu geben und was wird, das wird. Ich könnte mich natürlich hier hinstellen und sagen 'Ich möchte die Tournee gewinnen', das wäre nicht gelogen. Aber mir ist bewusst, dass das nicht realistisch ist, deswegen versuche ich die Erwartungen, niedrig zu halten.

Das Gespräch führte Luis Holuch

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