"Was sich kennt, haut sich." Wenn Oleksandr Usyk und Tyson Fury am Samstagabend in Riad erneut den Meister aller Box-Klassen ermitteln, schlägt der Gong zu Runde 13. Bei sport.de erläutert Bernd Bönte, an welchen Stellschrauben die Schwergewichts-Rivalen drehen müssen, um im zweiten Teil erfolgreich zu sein. Der Box-Experte hegt Zweifel, ob Furys Ego die Niederlage vom Mai verkraftet hat. Usyk stellt er in eine Reihe mit den Größten.
"Fury weiß: Usyk kann ihn treffen, kann ihn hart treffen, kann ihn sogar ausknocken", betonte Bönte im exklusiven Interview mit sport.de. Der Ex-Weltmeister habe diese Erfahrung zwar auch gegen Deontay Wilder (2018 und 2021, Anm.d.Red.) schon gemacht. "Aber in dieser Form in bestimmten Runden so dominiert zu werden - das hat es bei Fury noch nicht gegeben", erinnerte Bönte vor allem an die neunte Runde des ersten Duells.
Usyk hatte den 2,06-Meter-Riesen im Hinkampf am 18. Mai mit einer harten Linken erwischt. Fury taumelte danach schwer benommen durch den Ring, stürzte nach einem Trommelfeuer seines Gegners in die Seile und wurde vom Ringrichter angezählt. Danach rettete ihn der Gong. Nach zwölf Runden werteten zwei der drei Punktrichter zugunsten Usyks.
"Wie Fury das auch mental verarbeitet hat, wird man sehen. Er klopft große Sprüche, das kennt man von ihm. Aber wie es in ihm drinnen aussieht, weiß keiner", setzte Bönte ein Fragezeichen hinter Furys Psyche.
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Fury habe den ersten Kampf stellenweise "deutlich dominiert", rekapitulierte der Box-Experte. "Usyk hat allerdings auch die härtesten Schläge, wie einen brutalen Uppercut in der sechsten Runde, weggesteckt. Auch das geht in Furys Kopf vor. Er wird sich denken: 'Wow, was muss ich hier denn noch machen?'"
Fury gegen Usyk 2: "Er muss seinen Rhythmus brechen"
Bönte rechnet damit, dass Fury im zweiten Teil versuchen wird, "noch mehr Druck zu machen, noch mehr Schläge von außen zu setzen, um den Kampf womöglich vorzeitig zu entscheiden. Das wäre aus seiner Sicht der richtige Plan." Der "Gypsy King" müsse "seinen Jab verbessern und versuchen, Usyks Rhythmus zu brechen. Denn wenn dieser Mann einmal drin ist - das hat man auch gegen Anthony Joshua gesehen -, ist er nur ganz schwer zu bremsen."
Für Fury sei es entscheidend, mit der Führhand die richtige Distanz zu finden "und aus dieser Distanz deutlich effektiver zu arbeiten und das vor allem über längere Zeit. Im ersten Kampf hat er sich phasenweise zurückgezogen, hat reagiert, statt zu agieren. Wenn man Usyk den Raum gibt, nimmt er sich diesen Raum", so der Faustkampf-Fachmann.
Furys Rechnung, lediglich "etwas fokussierter" boxen zu müssen, um zu gewinnen, greift aus Böntes Sicht zu kurz. "Er muss ja irgendeine Erklärung finden, warum er diesen ersten Kampf verloren hat. Fury muss einiges ändern, vor allem die Distanz."
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Usyk sei ein "Jahrhundert-Boxer", adelte der langjährige Manager der Klitschko-Brüder den Weltmeister. "Wann immer Plan A oder B nicht funktioniert, findet er noch Plan C oder D. Er fühlt sich im Ring pudelwohl", sagte Bönte.
Oleksandr Usyk wie einst Robinson und Mayweather
Der Ukrainer habe stets Alternativen und könne sich zwischen den Seilen jeder Situation anpassen. "Da fallen mir sonst nur die ganz Großen ein, die das konnten: Sugar Ray Robinson, Sugar Ray Leonard, Roy Jones, Floyd Mayweather - Leute, die im Kampf, wenn es nicht so lief, wie sie es sich vorgestellt haben, ganz tief in sich gehen konnten", stellte Bönte den ungeschlagenen Usyk in eine Legenden-Reihe. Der 37-Jährige gehöre für ihn zu den "Top 10" der besten Boxer der Geschichte.
Dank seiner einmaligen Gabe habe sich Usyk im ersten Kampf gegen Fury auch aus einer ernsten Krise befreit, erläuterte der Experte, der das Duell am Samstag erneut für "DAZN" kommentiert.
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"Usyk hat die Distanz geändert, das war entscheidend. Er hat gemerkt, dass er diese Distanz ändern muss, die Fury aufgebaut hatte und aus der er diese brutalen Haken und Uppercuts geschlagen hat, die Usyk schwer getroffen haben. Er hat Fury immer wieder gelockt, der dann seine Deckung runtergezogen hat und dann hat immer wieder der linke Haken getroffen."
Viele Beobachter hätten Usyks Schlagkraft vor dem ersten Duell mit Fury "negiert", sagte Bönte: "Die Power kommt bei ihm daher, dass er jemand ist, der so schnell und überraschend aus bestimmten Winkeln schlägt, dass man die Schläge nicht sieht. Und das ist eine alte Boxweisheit: Die Schläge, die man nicht sieht, sind die gefährlichsten. Auch der Niederschlag in Runden neun kam so: Usyk hat unten angetäuscht und oben geschlagen. Das hat Fury nicht gesehen, deswegen fiel er in die Seile."
"Wie sehr hat der erste Kampf an beiden gezehrt?"
Bei der Revanche sei trotz Usyks Ausnahme-Stellung "alles denkbar, auch jeder Ausgang. Es wird sicher ein mega-spannender Kampf: technisch, taktisch, garantiert auf höchstem Level", versicherte Bönte: "Ich denke, dass viele Phasen ähnlich ablaufen wie beim ersten Mal, dass beide bestimmte Phasen dominieren. Beide wissen jetzt, wie der andere vorgehen wird."
Ein Fragezeichen hänge letztlich aber über den Kämpfern, gibt der 69-Jährige zu bedenken. "Wie sehr hat der erste Kampf an beiden gezehrt?"
Usyk wird im Februar 38, Fury hat 36 Lenze auf dem Buckel. Ein altes Boxer-Sprichwort besagt: "They age over night." (Sie altern über Nacht). Samstagnacht ist die Box-Welt schlauer.



