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Mehr Fairness?

Das steckt hinter der Material-Revolution im Skispringen

Skispringer wie Marius Lindvik müssen nun mit den Anzügen haushalten
Skispringer wie Marius Lindvik müssen nun mit den Anzügen haushalten
Foto: © IMAGO/Johannes Schmidt
01. November 2024, 18:04

Der Ski-Weltverband FIS strebt nach mehr Chancengleichheit und Fairness im Materialsektor. Ab Start der Weltcup-Saison 2024/2025 im Skispringen wird die Anzahl der Sprunganzüge limitiert und streng kontrolliert. Wie das funktionieren soll und was es für die Athleten bedeutet.

Eine neue Skisprung-Saison wäre keine neue Skisprung-Saison ohne Regeländerungen. Jedes Jahr im Frühjahr beschließt der Ski-Weltverband FIS nach eingehender Analyse Anpassungen im Reglement für das nächste Jahr. Skispringerinnen und Skispringer sind somit einiges gewohnt, vor allem im Materialbereich.

Doch das, was im nun startenden Winter auf sie zukommt, hat eine neue Ebene erreicht – zumindest, wenn man Halvor Egner Granerud glaubt. "Was die Organisation einer Weltcup-Saison betrifft, ist dies die größte Veränderung in meinem Leben", sagte der zweifache Gesamtweltcupsieger dem norwegischen Rundfunk "NRK".

Was Granerud meint? Die neuen FIS-Vorschriften hinsichtlich der Sprunganzüge, die er und seine Mitstreiter ab dem Weltcup-Auftakt in Lillehammer (22. bis 24. November) verwenden dürfen. Ab sofort gelten nämlich Limitierungen in der Anzahl der verwendeten Anzüge, die seitens des Verbandes streng kontrolliert werden.

Skispringen: Nur noch maximal zehn Anzüge pro Saison pro Athlet

Die Weltcup-Saison 2024/2025 der Männer ist in fünf Perioden eingeteilt, in der jeder Springer einen neuen Anzug verwenden darf. Hinzu kommen maximal drei weitere Anzüge zu Saisonbeginn, sowie zwei weitere für die Nordische Ski-WM in Trondheim (25. Februar bis 9. März 2025). Somit dürfen Granerud und Co. am Ende des Winters maximal zehn Anzüge benutzt haben.

Bei Olympischen Spielen 2026, dürfen drei weitere Anzüge verwendet werden, da dort keine Sponsorenlogos zu sehen sein dürfen, wodurch die Weltcup-Anzüge gar nicht erst in Frage kommen. In Wintern mit Skiflug-WMs, wie dem zurückliegenden, käme dagegen lediglich ein weiterer hinzu. Obendrein ist es nicht mehr erlaubt, den Anzug am Wettkampftag auszutauschen, sofern kein Materialdefekt vorliegt.

Graneruds Teamkollege und Olympiasieger von Peking 2022, Marius Lindvik, bekundete bei "NRK": "Letzte Saison habe ich etwa 20 Anzüge benutzt. Ich hätte gerne mehr, aber es ist für alle gleich." Und genau in letzterem Wort liegt der Kerngedanke der FIS: Mehr Chancengleichheit und Fairness. Große Skisprungnationen haben ohnehin einen Entwicklungsvorteil in Sachen Material, sodass sie durch die neuen Regeln zumindest beim Kontingent näher an die schwächeren Nationen gebracht werden sollen.

Etwa 600 Euro kostet ein maßangefertigter Sprunganzug, was für Springer aus Skisprung-Entwicklungsländern oder kriselnder ehemaliger Top-Nationen eine große Summe Geld ist. Entsprechend weniger Anzüge können sich die betroffenen Athleten leisten.

Lindviks Worte lassen dagegen erahnen, dass die stärkeren Nationen in diesem Bereich mehr Spielräume hatten. FIS-Renndirektor Sandro Pertile berichtete beim Forum Nordicum in Lenzerheide jüngst sogar von "einigen unserer Top-Stars, die im letzten Winter zwischen 40 und 50 Anzüge genutzt haben" – das wird es so nun nicht mehr geben.

Material und Kosten werden eingespart

Der Skisprung-Zirkus wird durch die Anpassungen somit sowohl finanziell als auch ökologisch nachhaltiger, da weniger Material produziert und verbraucht wird. Obendrein ist es dadurch für die Materialkontrolleure zukünftig einfacher, die Anzüge genau im Blick zu behalten.  

Neben der Limitierung wurde auch ein neues Kontrollverfahren im Sommer-Grand-Prix getestet und eingeführt. Jeder Anzug muss vor der ersten Verwendung zu einer Vorabkontrolle abgegeben werden, bei der insgesamt sieben Mikrochips (vier davon an den Beinen) mit einer Thermopresse an der Innenseite der Anzüge angebracht werden.

Die Daten dieser Chips werden an eine Software übermittelt und dann bei jeder folgenden Kontrolle abgeglichen. Dadurch soll auch überwacht werden, wie viele Einzelteile verwendet und gegebenenfalls hin und her getauscht werden.

"Dadurch, dass wir mehr Technologie in unser Kontrollsystem integrieren, werden diese automatisch subjektiver. Wir können den Raum für Spekulationen verkleinern, weil wir die Anzüge im Vorhinein markieren", erläuterte Pertile, der in seinen bisherigen vier Saisons im Amt immer wieder unangenehme Fragen zu möglichen Schummeleien im Anzug-Sektor beantworten musste.

Neue Anzüge als taktische Elemente im Skispringen?

Die Athleten müssen neben ihrer körperlichen und mentalen Gesundheit und der Sprungform nun auch ihr verwendetes Material noch genauer im Auge behalten. Die Verwendung eines neuen Anzugs will nun wohl überlegt sein und ist gewissermaßen ein neues taktisches Element im Skispringen.

Lindvik, der den letzten Härtetest vor dem Weltcup-Start beim Sommer-Grand-Prix in Klingenthal gewonnen hatte, stellte sich bei "NRK" etwa die Frage: "Sollte man sich etwas für die Weltmeisterschaften aufsparen, oder soll man einen zusätzlichen Anzug für die Vierschanzentournee haben?"

Auch Granerud wurde darauf angesprochen, hatte sich aber bereits einen ersten Plan zurechtgelegt: "Ich denke, ich werde versuchen, mit meiner Ausrüstung in Lillehammer so gut wie möglich zurechtzukommen. Im Idealfall kann ich die gesamte erste Periode in diesem Anzug springen" – was bedeuten würde, dass er erst zur Vierschanzentournee einen neuen Anzug auspacken würde.

Nicht ausgeschlossen ist dagegen, dass der Erfahrungsaustausch in der Szene noch weiter zunimmt, schließlich gelten dieselben Regeln auch für die Skispringerinnen, mit denen die Männer zukünftig noch häufiger und ab 2026/2027 immer an denselben Orten springen sollen.

Auch die Nordische Kombination wird die Limitierung übernehmen, allerdings in anderem Umfang, da der Weltcup-Kalender anders strukturiert ist: Dort dürfen die Athletinnen und Athleten bis zum Jahreswechsel drei Anzüge verwenden und in den beiden weiteren Perioden je einen weiteren. Wie viel größer der Faktor Fairness dann tatsächlich ist, wird die weiße Jahreszeit zeigen.

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