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sport.de-Kolumne von Florian Regelmann

So sieht die Tennis-Weltrangliste in fünf Jahren aus

Jannik Sinner und Carlos Alcaraz werden die Tenniswelt über viele Jahre dominieren
Jannik Sinner und Carlos Alcaraz werden die Tenniswelt über viele Jahre dominieren
Foto: © IMAGO/Juergen Hasenkopf
26. Oktober 2024, 19:38
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In seiner sport.de-Kolumne beleuchtet Florian Regelmann Themen, die ihn umtreiben, begeistern oder aufregen. Diesmal geht es um die Frage, wie die Tennis-Weltrangliste der Herren in fünf Jahren aussehen könnte.

Als ich mir vor einiger Zeit die Weltrangliste bei den Männern angeschaut habe, ist mir eine Frage gekommen: Wie sieht die Top 10 wohl in fünf Jahren aus? Aus einem kurzen Gedanken ist im Laufe der vergangenen Wochen ein größeres Gedankenexperiment geworden. Mit dem Ergebnis, dass ich einfach mal eine Prognose für die Top 10 im Jahr 2029 aufgestellt habe. Eine Prognose, die natürlich falsch sein wird, aber Spaß hat es trotzdem gemacht. Und dann schauen wir doch einfach mal in fünf Jahren, wie es sich so entwickelt hat.

Da ich mir aber nicht alles alleine überlegen und dumm dastehen wollte, habe ich mir einen Partner gesucht und in Sascha Bajin gefunden. Bajin ist unter anderem der Ex-Coach von Naomi Osaka, die in dieser Zeit zwei Grand Slams (Australian Open, US Open) gewann und die Nummer eins der Welt wurde. Bajin war außerdem langjähriger Hitting Partner von Serena Williams, in diesem Jahr war er auch als Experte bei Amazon in Wimbledon im Einsatz. Kurzum: Ich hätte keinen besseren Partner für die Aufgabe finden können. 

Bevor Sascha Bajin und ich jeweils getrennt voneinander unsere Top 10 aufgestellt haben, bin ich ein bisschen in die Recherche gegangen. Ich habe mir die Weltrangliste in den vergangenen 30 Jahren genau angeschaut und da vor allem die Veränderungen innerhalb der Top 10 in 5-Jahres-Zyklen unter die Lupe genommen.

Top 10 der Welt: Es verändert sich viel

Das Ergebnis: Es verändert sich doch ziemlich viel, irgendwie mehr, als es meine Vermutung gewesen wäre. Zwischen 1994 und 2024, also in insgesamt sechs 5-Jahres-Abschnitten, lag am Jahresende die Anzahl der neuen Spieler in den Top 10 zwischen 6 (niedrigster Wert) und 9 (höchster Wert). 

Ende 2019 standen vier Spieler in den Top 10, die auch Ende 2014 schon dabei waren. Völlig überraschend hören drei der vier auf die Namen Novak Djokovic, Rafael Nadal und Roger Federer. Der Vierte im Bunde war Kei Nishikori. Da erinnert man sich im Übrigen auch mal wieder daran, wie gut der Japaner in seiner Blütezeit war. Es gab aber auch Perioden wie zwischen 1999 und 2004, da schaffte es als Einziger Andre Agassi, sich in den Top 10 zu halten.  

Und wenn wir uns den jüngsten Zyklus ansehen, stellen wir fest, dass Ende 2024 - wenn alles normal läuft - nur drei Spieler in den Top 10 stehen werden, die das auch schon 2019 taten: Djokovic, Daniil Medvedev und Alexander Zverev. Vielleicht werden es noch vier, wenn Stefanos Tsitsipas das Jahr stark beendet.

Was heißt das jetzt für das Gedankenspiel? Ich habe mich bei meiner Prognose zumindest ein bisschen daran gehalten, dass es relativ viele Veränderungen geben muss. 

Prognose der Top 10 in 5 Jahren von Florian Regelmann: 

1 Carlos Alcaraz (aktuell Nr. 2)

2 Jannik Sinner (aktuell Nr. 1)

3 Jack Draper (NEU - aktuell Nr. 18)

4 Ben Shelton (NEU - aktuell Nr. 23)

5 Alexander Zverev (aktuell Nr. 3)

6 Arthur Fils (NEU - aktuell Nr. 20) 

7 Holger Rune (NEU - aktuell Nr. 14)

8 Joao Fonseca (NEU - aktuell Nr. 154)

9 Jakub Mensik (NEU - aktuell Nr. 51)

10 Daniil Medvedev (aktuell Nr. 5)

Und hier kommt die Prognose der Top 10 von Sascha Bajin:

1 Jannik Sinner (aktuell Nr. 1)

2 Carlos Alcaraz (aktuell Nr. 2)

3 Jack Draper (NEU - aktuell Nr. 18)

4 Alexander Zverev (aktuell Nr. 3)

5 Arthur Fils (NEU - aktuell Nr. 20) 

6 Ben Shelton (NEU - aktuell Nr. 23)

7 Lorenzo Musetti (NEU - aktuell Nr. 17)

8 Taylor Fritz (aktuell Nr. 6)

9 Felix Auger-Aliassime (NEU - aktuell Nr. 19)

10 Andrey Rublev (aktuell Nr. 7)

Sascha Bajin hat fünf neue Namen in den Top 10, ich sechs - und ich glaube ganz ehrlich nicht, dass das zu konservativ ist. Wir haben mit Sinner, Alcaraz und Zverev im Endeffekt drei Spieler, die total gesetzt sind, wenn keine Verletzungen oder andere unvorhersehbare Entwicklungen eintreten. Insofern wäre sieben die höchste Zahl an potenziellen neuen Namen.

Interessant: Sascha und ich haben - wie gesagt getrennt voneinander - die gleichen sechs Namen in den Top 6, bevor es auf den Rängen 7-10 auseinander geht. Das ist nicht komplett überraschend, da die Namen alle irgendwo "erwartbar" sind, aber trotzdem ist es auffällig.

Aber gehen wir es nacheinander einmal durch.

Dass die Nummer eins und die Nummer zwei der Welt in fünf Jahren immer noch Sinner (dann 28 Jahre alt) und Alcaraz (dann 26) heißen werden, ist im Grunde unstrittig. Es würde mich interessieren, ob es jemanden gibt, der das anders sieht.  

"Die beiden werden sich das ganz große Duell um die nächste dominante Nummer eins liefern. Ich hoffe, die beiden bleiben verletzungsfrei, dann werden sie sich ganz sicher abwechseln und gegenseitig pushen", sagt Bajin. Sascha hat Sinner auf der Eins, ich habe mich für Alcaraz entschieden, weil ich das Gefühl habe, dass der Spanier einen Tick mehr Grand Slams gewinnen wird - aber wir hätten auch würfeln können.

Alexander Zverev spielt weiter oben mit

Spannend wird es dahinter, sowohl Sascha als auch ich haben als ersten Herausforderer auf der Position drei Jack Draper auf der Liste. Der Brite hat mit seinem Halbfinal-Run bei den US Open aufhorchen lassen und ist vom Potenzial vielleicht derjenige, der Sinner und Alcaraz am ehesten angreifen kann. 

Brutaler (Linkshänder-) Aufschlag, brutale Power und Explosivität von der Grundlinie: Er hat alles, um Matches aus eigener Stärke heraus für sich zu entscheiden - und jetzt kommt auch der Punkt Fitness dazu. Bajin gefällt außerdem die Gelassenheit, die er auf dem Platz ausstrahlt. Und er hat den britischen Tennisverband hinter sich. In fünf Jahren wird Draper 27 Jahre alt sein - es würde uns beide schon sehr überraschen, wenn er dann nicht ganz weit oben mit dabei ist.     

Wir haben beide auch den dann 32-jährigen Zverev noch in den Top 5 der Welt. Wie gesagt, auch das war ein No-Brainer, es gibt keinen Grund, warum der Deutsche nicht auch in seinen 30ern noch zur absoluten Spitze gehören wird.

"Zverev hat große Waffen, die er hoffentlich im höheren Alter noch besser anzuwenden weiß. Er arbeitet so hart, auch abseits des Platzes, ich glaube, dass er plant, noch sehr lange oben mitzuspielen. Er will das Maximum aus sich und seiner Karriere rausholen", erklärt Bajin seine Gedanken. 

Das einzige Fragezeichen für mich ist der Punkt des fehlenden Grand-Slam-Titels. Für mich persönlich ist es keine Frage der Zeit, bis Zverev seinen ersehnten ersten ganz großen Titel holt. Er hat einfach das Problem, dass er ein überragender Spieler ist, aber dass es Best-of-five ein paar Jungs gibt, die einen Tick über ihm stehen. Und dann drücken die nächsten Jungs auch von hinten nach. Es wird nicht einfacher. 

Deshalb: Es ist gut möglich, dass er diesen Grand-Slam-Erfolg eben nicht feiert und je länger das so sein wird, desto mehr wird es an seinem Selbstverständnis nagen. Zverev wird ohne diesen großen Grand-Slam-Triumph nicht ganz mit seiner Karriere zufrieden sein können, so tickt er einfach, was auch total löblich ist. Aber es wird es nicht einfacher machen, im späteren Verlauf der Karriere immer weiter oben dranzubleiben und diesem Ziel immer weiter hinterherzurennen.     

Arthur Fils: Ein Grand-Slam-Champion der Zukunft

Der fünfte Name, der bei uns beiden einen Sprung zum absoluten Star machen wird, ist Arthur Fils. Der 20-jährige Franzose hat nicht nur das Spiel zum Star, er hat auch das Charisma. "Unglaublich furchtlos, er bewegt sich auch unglaublich gut", sind die ersten Attribute, die Bajin aufzählt. 

Bei Fils wird es nicht mehr lange dauern, bis er bei Grand Slams zum ersten Mal tiefe Runs hinlegt, das kann definitiv auch im nächsten Jahr schon passieren. Stand jetzt ist Fils neben Draper, Holger Rune und Ben Shelton der Spieler der jungen Generation außerhalb der Sinner-Alcaraz-Sphäre, dem ich Grand-Slam-Titel in der Zukunft zutraue. Er hat die entsprechende Aura.

Der letzte Spieler, der in beiden Top-10-Rankings der Zukunft zu finden ist, heißt Ben Shelton. Sascha hat mit Taylor Fritz sogar noch einen weiteren Amerikaner auf seiner Liste. "Shelton, Fritz, Tiafoe - ich glaube einfach, dass sich die US-Boys so hart gegenseitig pushen werden, dass wir zumindest zwei von ihnen auch in den Top 10 sehen werden."

Top 10 der Zukunft: Ab Rang 7 wird es richtig spannend 

Ab Platz sieben gehen unsere Meinungen wie schon erwähnt auseinander. Sascha hat neben Fritz noch Lorenzo Musetti, Felix Auger-Aliassime und Andrey Rublev auf dem Schirm. Drei Namen, die mich zumindest leicht überrascht haben. 

"Musetti hat mir bei seinem großartigen Wimbledon-Run sehr gut gefallen, da hat er definitiv an Selbstvertrauen gewonnen. Er hat gesehen, dass er ganz vorne mitspielen kann. Und er ist immer noch erst 22. Seine Spielweise erfordert auch ein bisschen Erfahrung, wenn du mich fragst. Bei Rublev hoffe ich, dass er mit dem Alter ein bisschen ruhiger wird und dann sein bestes Tennis spielen wird. Und bei Felix Auger-Aliassime bin ich auch davon überzeugt, dass wir seine beste Version noch nicht gesehen haben. Er wird seinen Weg nochmal finden und richtig gut spielen, auch weil er physisch sehr begabt ist und sein Spiel immer besser verstehen wird. Und in fünf Jahren ist er auch erst 29", erklärt Bajin die Gründe für seine Wahl. Und ich muss sagen: ergibt natürlich alles Sinn!

Dennoch habe ich im hinteren Teil des Rankings andere Namen aufgeschrieben. Der eine alte Name, den ich auch in fünf Jahren noch vorne dabei sehe, ist Daniil Medvedev. Für mich ist er da in einer ähnlichen Kategorie wie Zverev, er wird den Drive nicht verlieren und in seinen 30ern plötzlich weit abrutschen oder früh aufhören. Nach dem Motto: "I'm 33 now, but I am still a hard-court specialist!" 

Bei Holger Rune weigere ich mich auch, ihn nach den ersten schwierigeren Phasen seiner Karriere "aufzugeben". Der Däne war schon mal die Nummer vier der Welt, er wird sich da wieder oben hinarbeiten. Auch bei ihm gilt: Rune ist immer noch erst 21 Jahre alt. Er ist immer noch so jung und war schon dreimal in einem Grand-Slam-Viertelfinale, er hat schon einen Masters-Titel eingefahren. Rune hat für mich nach wie vor alles, um ein Großer zu werden.

Mir hat es auch in der Netflix-Doku "Break Point" gefallen, als man Rune sagen hört: "Ich will nicht mehr am Wimbledon-Sonntag auf der Couch liegen, ich will da spielen." Rune hat das Mindset, dass er auf einem Level mit Sinner und Alcaraz sein will. Ich glaube nicht, dass er das ganz schaffen wird, aber er wird noch viel erreichen, ganz klar.

Was ist mit Justin Engel?

Und dann wären wir zum Schluss bei meinen beiden "Überraschungskandidaten": Jakub Mensik und Joao Fonseca. Generell habe ich mir natürlich über die ganz Jungen Gedanken gemacht - die Jungs, die jetzt 17, 18 oder 19 sind. Da würde zum Beispiel auch Deutschlands Top-Talent Justin Engel reinfallen. 

Aber ich habe ihn jetzt beim Turnier in Almaty zum ersten Mal wirklich spielen sehen. Das war beeindruckend, die Interviews sind auch beeindruckend, aber wer weiß, wo der Junge mit 22 steht? Ich kann es überhaupt nicht einschätzen und wir sollten ihm auch nicht zu früh zu viel Druck machen.

Insofern: Sehr schön, dass da so ein Talent heranwächst und sehr spannend, wie schnell er sich nach oben spielen wird, aber dabei belassen wir es auch. Ein ähnlicher Fall ist Nicolai Budkov Kjaer, ein 18-jähriger Norweger, der aktuell die Nummer eins der Junioren ist. Kann sein, dass er komplett durchstartet, aber es ist aktuell noch nicht greifbar.

Es gibt so viele spannende junge Spieler, die in verschiedenen Stadien ihrer Entwicklung stecken: Ich denke an Learner Tien aus den USA, der sich mit 18 jetzt schon in die Top 125 vorgespielt hat. Alex Michelsen, noch ein US-Boy, ist 20 und wird immer besser. Der Chinese Juncheng Shang ist erst 19 und hat vor kurzem sein erstes ATP-Turnier gewonnen. Das sind alles Kandidaten, die enormes Potenzial haben. Flavio Cobolli oder Jiri Lehecka sind mit 22 schon ein bisschen weiter, ihnen traue ich auch viel zu. 

Mensik und Fonseca: Aufgepasst auf diese beiden Namen! 

Ich habe mich aber jetzt für Mensik und Fonseca entschieden. Mensik beobachte ich seit einiger Zeit genauer, der Tscheche ist erst im September 19 geworden und steht (wie Shang übrigens auch) im Live-Ranking so jung schon in den Top 50 der Welt. Wenn du Mensik in Shanghai hast spielen sehen, Siege unter anderem über Rublev und Dimitrov, Dreisatz-Niederlage gegen Djokovic im Viertelfinale, dann siehst du meiner Meinung nach ohne jeden Zweifel einen zukünftigen Top-10-Spieler. Quasi den nächsten Tomas Berdych.   

Natürlich weil er die Anlagen dafür hat, er ist 1,93 Meter groß, er hat einen super Aufschlag und ein sehr solides Spiel von der Baseline. Mensik ist aber vor allem mental schon in ganz jungen Jahren extrem stark. "Mensik ist ein guter Pick, ich hatte ihn auch auf der Liste und habe über ihn nachgedacht, mich dann aber für Felix entschieden", sagt Bajin. 

Und dann wären wir bei Fonseca. Der Brasilianer ist Jahrgang 2006, er ist erst im August überhaupt 18 geworden und steht jetzt schon im Live-Ranking in den Top 150 der Welt. Zum ersten Mal so richtig gesehen habe ich ihn in Rio im Februar, da hat er unter anderem Arthur Fils vom Platz gefegt.

Es gibt Spieler, da brauchst du gar nicht viel sehen, da merkst du schon: Der hat was Spezielles an sich. So muss es auch Roger Federer gegangen sein. Der Schweizer ist ja bekanntlich Miteigentümer bei einer Schweizer Schuh- und Sportbekleidungsmarke, die unter anderem Iga Swiatek und Ben Shelton unter Vertrag hat. Seit 2023 gehört auch Fonseca dazu.  

Auch witzig: Fonseca gewann in diesem Jahr mit 17 das Challenger-Event in Lexington in Texas, genau fünf Jahre nachdem ein gewisser Jannik Sinner mit 17 in Lexington gewann. Und wo Sinner heute steht, wissen wir ja. Fonseca ist der Typ für große Courts und große Matches, seine Vorhand Inside-In ist überragend, genauso seine Athletik. Ich sehe ihn in fünf Jahren in den Top 10.

Wir holen die Tipps in fünf Jahren wieder aus der Schublade und schauen. Vielleicht ist auch Tsitsipas dann mit 31 auf seinem Höhepunkt, nachdem er seinen Vater wieder als Coach reaktiviert hat? Was ist eigentlich mit Casper Ruud? Der Norweger ist dann auch erst 30, unterschätzen wir ihn schon wieder? Sebastian Korda wäre rein vom Talent eigentlich auch ein Top-Kandidat …  und spielt vielleicht Novak Djokovic mit 42 Jahren immer noch?

"Also ich bin mir sicher, dass wir Novak in fünf Jahren leider nicht mehr auf dem Platz sehen werden", bremst mich Sascha aus. Stimmt: Ich kann mir zwar viel vorstellen, aber einen 42-jährigen Djokovic in den Top 10 dann doch nicht, da stimme ich zu.  

Wann ist endlich 2029? Ich bin auf jeden Fall gespannt, wer in fünf Jahren besser liegt! 

sport.de-Kolumnist Florian Regelmann kann auf viele Jahre als leitender Sportredakteur zurückblicken, seit März ist er als Head of US Sports für HEIM:SPIEL tätig. 

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