Am Donnerstag wird in München über die Schadensersatz-Ansprüche von Eisschnelllauf-Olympiasiegerin Claudia Pechstein gegen den Weltverband ISU verhandelt. Im Interview mit dem "Sport-Informations-Dienst" bewertet der Düsseldorfer Sportrechtler Paul Lambertz den Fall.
SID: "Herr Lambertz, seit mittlerweile 15 Jahren kämpft Claudia Pechstein gegen die Internationale Eislaufunion um Schadensersatz, am Donnerstag steht vor dem Oberlandesgericht in München ein weiterer Verhandlungstermin an. Was ist das Besondere an dem Fall?"
Paul Lambertz (Fachanwalt für Sportrecht): "Vor allem die Länge. Und die Beharrlichkeit von Frau Pechstein. Auf ihrem Weg hat sie viele Dinge angestoßen, eines ihrer Ziele, mit denen sie meines Erachtens damals angetreten war, hat sie aber nicht erreicht - die Zwangsschiedsgerichtsbarkeit im Sport zu stürzen. Ich würde sogar sagen, das Gegenteil ist eingetreten. Letztlich geht die Schiedsgerichtsbarkeit im Sport gestärkt daraus hervor."
SID: "Wie meinen Sie das?"
Lambertz: "Im Fall Pechstein muss man aus meiner Sicht zwei juristische Stränge unterscheiden. Der erste Strang befasst sich mit der Frage der Rechtmäßigkeit der zwangsweisen Unterwerfung unter das Sportschiedsgerichtssystem. Für den internationalen Sport ist der Internationale Sportgerichtshof (CAS) in der Schweiz zuständig. Nur wenn ich mich diesem unterwerfe, kann ich als Athlet international bei Meisterschaften starten. Dieses System hat Pechstein infrage gestellt, unter anderem mit dem Vorwurf, dass das Verfahren vor dem CAS rechtswidrig sei, weil es keine öffentliche Verhandlung gab und die Richter des CAS nicht neutral seien. Man kann sicherlich sagen, dass sie damit beim CAS Reformen angestoßen hat, denn mittlerweile ist es etwa möglich, dass öffentlich verhandelt werden kann. Es ist ihr aber nicht gelungen, das große Ganze zu kippen. Denn der Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und zuletzt das Bundesverfassungsgericht kamen zu dem Schluss, dass die zwangsweise Unterwerfung unter eine Sportschiedsordnung grundsätzlich in Ordnung ist."
SID: "Sie gehen also nicht davon aus, dass von München ausgehend große Umwälzungen im Sportrechtssystem hervorgerufen werden? Selbst wenn Frau Pechstein gewinnen sollte?"
Lambertz: "Das glaube ich tatsächlich nicht. Und zwar deswegen, weil ich davon ausgehe, dass am Oberlandesgericht 'nur' noch über ihren Schadensersatzanspruch gesprochen werden wird. Das ist der zweite große Strang, das Zivilverfahren."
SID: "Wie schätzen Sie ihre Chancen ein?"
Lambertz: "Zum ersten Mal wird vor einem deutschen Gericht die Frage beantwortet werden, ob Pechstein ein Schadensersatz- und Schmerzensgeldanspruch gegen den internationalen Eisschnelllaufverband zusteht. Bei dieser materiellen Prüfung steht die Frage im Mittelpunkt: Welchen konkreten Vorwurf kann man der ISU eigentlich machen? Waren die Regeln, die damals gegolten und zur Sperre von Frau Pechstein geführt haben, vielleicht so grob rechtswidrig, dass man sich hätte gar nicht darauf berufen dürfen? Es wird aber auch die Frage geklärt werden müssen, ob Pechstein tatsächlich, wie sie stets behauptet, tatsächlich nicht gedopt hat. Denn überhaupt nur dann kann ihr ein Schadensersatzanspruch zustehen. Sollte es soweit kommen und diese Frage müsste gerichtlich geklärt werden, dürfen wir uns auf ein aufwendiges Beweisverfahren einstellen, dessen Ergebnis ich nicht vorhersehen mag. 'Durch' ist der Rechtsstreit damit für Pechstein meines Erachtens noch lange nicht."
SID: "Welche Rechtsmittel bleiben der unterlegenen Partei?"
Lambertz: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass bereits am Donnerstag ein Urteil gesprochen wird. Denkbar ist aber, dass sich die Parteien sofort vergleichen. Kommt es aber zu keinem Vergleich und muss das Gericht das Verfahren ausurteilen, steht der unterlegenden Partei grundsätzlich das Rechtsmittel der Revision zur Verfügung. Das Verfahren könnte damit abermals vor dem Bundesgerichtshof landen."
