Martin Schindler absolviert die bislang erfolgreichste Saison seiner Karriere. Der 28-Jährige reist nach zwei Turniersiegen auf der European Tour mit jeder Menge Selbstvertrauen zur Machineseeker European Darts Championship 2024, der Darts-EM, nach Dortmund (24. bis 27. Oktober).
Im exklusiven Interview mit sport.de beantwortet Schindler die Favoritenfrage zum anstehenden Major-Turnier des Profi-Verbands PDC Europe. Zudem erklärt "The Wall" seine starke Form, verrät seine persönlichen Ziele und nennt die Eigenschaften, die jeder Darts-Profi mitbringen sollte.
Herr Schindler, mit der European Darts Championship steht ein Highlight des Darts-Jahres kurz bevor. Wie besonders ist es für Sie, ein Major-Turnier in Deutschland zu spielen? Inwiefern unterscheidet es sich für Sie zu den Events in Großbritannien?
Martin Schindler: Für mich unterscheidet es sich allein stimmungstechnisch. Die Unterstützung in Dortmund für mich wird wahrscheinlich richtig groß sein. Die Stimmung ist echt phänomenal. Obwohl ich generell sagen muss, dass die Stimmung in England auch sehr gut ist, nur halt nicht in dem favor für mich. Ich freue mich schon auf Dortmund. Der Terminkalender ist momentan sehr eng getaktet. Es ist aktuell viel los und man versucht, für sich das Beste herauszuholen.
Inwiefern können die Fans in Dortmund Sie letztlich tragen?
Die Stimmung kann mich natürlich positiv beeinflussen, wenn ich diese Emotionalität, diese Welle der positiven Gefühle, mitnehmen und auch in mein Spiel einbringen kann. Die Fans können das Spiel natürlich auch soweit beeinflussen, dass der Gegner eventuell ein wenig struggled, wenn sie mehr für mich sind als für ihn. Ausgenommen sind Pfiffe oder Buhrufe, weil sich das natürlich nicht gehört. Mir geht es viel mehr um die Positivität, dass ich einfach gut spielen, meine Momente genießen, bejubeln und mich selbst pushen kann.
Sie gehen als Nummer eins der European Tour Order of Merit in die Darts-EM, konnten in dieser Saison zwei Turniere auf der European Tour gewinnen. Sehen Sie sich deshalb selbst automatisch als Teil des Favoritenkreises an?
Ich glaube, es wäre ein wenig zu tief gestapelt, wenn ich jetzt sagen würde, dass ich in Dortmund keine Chance hätte. Ich habe definitiv die spielerische Möglichkeit, dieses Major-Turnier zu gewinnen. Der Weg ist schwierig. Man kann Ergebnisse schwer garantieren. Ab der ersten Runde muss man kämpfen. Es wird einem nichts geschenkt. In den Top 32 der European Tour sind halt wirklich nur die Besten der Besten - ähnlich wie beim World Grand Prix oder World Matchplay. Dementsprechend wird es schwierig, aber ich traue es mir auch zu.
Es gibt im Darts derzeit viele unterschiedliche Sieger und immer wieder sind Überraschungen dabei. Wer sind die Top-Favoriten für Dortmund?
Ich denke, man kann mehr oder weniger jeden der 32 Spieler irgendwo mit einbeziehen. Jeder hat die Möglichkeit, das Turnier zu gewinnen. Im engen Favoritenkreis, wenn man anhand der Statistiken und letzten Turniere geht, sind definitiv Luke Humphries, Luke Littler und Michael van Gerwen das Non plus ultra. Wer dann in der zweiten Reihe folgt, ist schwierig zu sagen - vielleicht ein Ross Smith, vielleicht ein Ryan Searle, vielleicht ein Martin Schindler - man weiß es nicht.
Tickets zur European Darts Championship 2024 gibt es über die PDC Europe
Mike De Decker hat zuletzt als Nummer 36 der Welt den World Grand Prix gewonnen. Mit Andew Gilding oder Ross Smith gab es in der jüngeren Zeit weitere Überraschungssieger bei Majors. Als wie realistisch schätzen Sie es ein, dass es in den kommenden Monaten auch erstmals einen deutschen Major-Sieger geben wird?
Ich halte es schon für realistisch. Auf der einen Seite sind es die Dinge, die man selbst aufbringen muss: Eine Mischung aus Konstanz, Momentum und dem Willen zum Gewinnen. Aber man braucht manchmal auch einfach dieses Quäntchen Glück auf der eigenen Seite. Aber ich denke schon, dass es realistisch ist, auch in der nächsten Zeit. Man kann es allerdings nicht versprechen oder garantieren.
Was macht Spieler wie De Decker, die in der Weltrangliste zwischen Platz 20 und 40 stehen, für die Top Guns mittlerweile so gefährlich?
Ich würde es damit vergleichen, dass ich es in Deutschland mittlerweile selbst merke, wie sich das Mindset von Spielern in den letzten Jahren komplett geändert hat. Wenn ich früher hierzulande auf Turnieren gespielt habe, besonders auch gegen jüngere Spieler, waren die allein nur vom Namen sehr eingeschüchtert und hatten auf gut Deutsch gesagt einfach Angst davor, gegen mich zu spielen. In den letzten Jahren hat es sich in eine Richtung geändert, sodass man sagen muss: Die sind richtig scharf darauf, gegen dich zu spielen. Die wollen dieses Spiel auf Teufel komm raus gewinnen. Sie haben inzwischen einen ganz anderen Anreiz, eine ganz andere Motivation, einen ganz anderen Hunger gegenüber des Spiels.
Sie selbst spielen Ihre bislang stärkste Saison auf der PDC-Tour. Dabei mussten Sie sich 2021 zunächst Ihre Tour Card in der Q-School zurückholen. Was ist seitdem passiert, dass es aktuell so läuft?
Ich habe schon eine Menge verändert, allein vom Training her in den Corona-Jahren 2020 und 2021. Mit am meisten hat sich über die Zeit auch mein eigenes Mindset verändert. Ich glaube, was mit der größte entscheidende Punkt für diesen Erfolg ist, ist emotionale Reife, die da mit eingeflossen ist. Ich bin Vater geworden. Ich habe mittlerweile eine ganz andere Verantwortung. Ich glaube, es tut mir insgesamt schon ganz gut, einfach im Leben durch ein Kind auf eine ganz andere Art und Weise gefordert zu werden. Ich denke, das ist ein wichtiger Faktor des Erfolgs.
Sie stehen in der Weltrangliste mittlerweile auf der 21. Position - vor Namen wie Gary Anderson, Raymond van Barneveld oder Daryl Gurney. Fühlt es sich für Sie inzwischen schon normal an, in dieser Riege zu sein?
Man muss natürlich sagen: der Gary Anderson, den es jetzt gibt, ist lange nicht mehr der Gary Anderson, der er mal war, als zweifacher Weltmeister und mit diesen ganzen anderen Major-Erfolgen wie dem Sieg beim World Matchplay, World Cup of Darts und, und, und ... Es ist natürlich schon cool und etwas Tolles zu sagen: "Ich stehe vor Raymond van Barneveld. Ich stehe vor Gary Anderson." Aber sie spielen in der Darts-Welt nicht mehr die Rolle, die sie halt mal vor knapp zehn Jahren gespielt haben, da muss man natürlich auch so ehrlich sein. Aber ich orientiere mich weiterhin nach oben und möchte irgendwann gerne auch die jetzigen Major-Sieger in der Rangliste überholen.
Sind die Top 16 der Weltrangliste der nächste logische Schritt? Welche Ziele haben Sie sich persönlich für die kommenden Monate gesetzt?
Ich denke, der Schritt mit den Top 16 kann sowieso schnell von allein passieren, wenn ich bei den Majors einfach gute Ergebnisse einfahre. Ich weiß, dass ich vor zwei Jahren bei den Major-Turnieren keine tiefen Runs hatte. Sollte ich bei der Weltmeisterschaft, dem Grand Slam of Darts oder bei der European Darts Championship einen tiefen Run hinlegen, dann kann das durchaus ganz schnell gehen, dass ich in die Top 16 vorstoße oder vielleicht noch weiter in Richtung Top 10.
Was ist aktuell die größte Stärke in Ihrem Spiel?
Ich habe einige Stärken, aber auch definitiv einige Schwächen. Was ich eigentlich immer konstant gut hinbekomme, ist, vom Anfang bis zum Ende komplett durchzuspielen, ohne jemals das Gefühl zu haben, dass ich unterwegs etwas an Konzentration oder Fokus verliere.
Wenn Sie sich den perfekten Darts-Profi aus Spielern der PDC-Tour bauen könnten, was Eigenschaften wie Timing, Scoring Power oder mentaler Stärke angeht, wie würde dieser Profi dann aussehen?
Das ist schwierig zu sagen. Es gibt einige positive Aspekte von Michael van Gerwen, die man nehmen kann - aber auch von Phil Taylor. Ich denke, jeder hatte irgendetwas, was ihn in knappen Situationen gut dastehen lassen hat. Bezüglich van Gerwen weiß ich, dass er unglaublich viele Decider mit einer 180 angefangen hat. Taylor hatte eine unglaubliche Gnadenlosigkeit in seinem Spiel. Es gibt so viele verschiedene Aspekte im Spiel, die man benötigt. Man kann natürlich immer schauen, wie es die anderen Profis händeln, aber man muss im Endeffekt seinen eigenen Weg finden.
Welche drei Eigenschaften muss ein Darts-Profi mitbringen, um sich in der Weltrangliste vorne festzuspielen?
Es benötigt auf jeden Fall Durchhaltevermögen, das ist mit das A und O. Leider muss ich sagen, es braucht immer noch definitiv ein gewisses finanzielles Polster. Die Tour ist teuer, sie muss finanziert werden, man muss neben der Tour leben. Das ist alles schwer zu verbinden, allein auch mit der Arbeit. Mentalität spielt ebenfalls eine große Rolle, dass man selbst wenn die Dinge gegen einen laufen, das Beste daraus macht und das Positive für sich herauszieht.
Die Darts-Saison befindet sich in ihrer heißen Phase. Wie gehen sie diese Wochen an, gibt es Anpassungen beim Trainingsplan?
Da ist eigentlich gar nicht so viel zu machen, weil der Terminkalender ist ab September vollbestückt mit Turnieren. Es ist ja auch nicht so, dass man nur am Samstag und Sonntag das Turnier spielt, sondern man muss am Freitag zum Austragungsort fahren, am Montagabend wieder zurück. Damit ist die Hälfte der Woche schon voll. In der restlichen Zeit geht es darum, die Motorik aufrechtzuhalten. Das ist mehr oder weniger das Training, weil man durch die ganzen Turniere eh so viel spielt. Im Hinblick auf die WM ist es nochmal etwas anderes, weil die zwei, drei Wochen zuvor Ruhe ist. Aber jetzt vor der European Darts Championship, dem Grand Slam of Darts oder den Players Championship Finals ist nicht wirklich Zeit zum Justieren.
Wie sehr fiebern Sie nun der anstehenden Darts-EM entgegen? Worauf freuen Sie sich am meisten in der Westfalenhalle?
Ich freue mich am meisten auf das Meer an Menschen, welches von der Bühne aus gut zu sehen ist. Die Westfalenhalle ist meiner Meinung nach eine sehr schöne Halle. Dementsprechend bin ich auf eine tolle Stimmung eingestellt. Ich bin mir sicher, die Stimmung wird wieder grandios sein. Ich hoffe, dass ich dem Ganzen dann auch gerecht werden kann.