Er hat die Verantwortung für den prestigeträchtigsten deutschen Lauf. Race Director Mark Milde erklärt im exklusiven Interview mit sport.de, was die größten Herausforderungen des Berlin-Marathons (29. September, ab 8.30 Uhr LIVE bei RTL und auf RTL+) sind, was er von dem internationalen und nationalen Elite-Feld erwartet und warum 2024 wohl eine krasse Rekord-Serie reißen wird.
Herr Milde, nehmen Sie uns mal mit: Was genau ist Ihre Aufgabe als Race Director?
Mark Milde: Es ist kein Beruf von der Stange. Jeder größere internationale Lauf hat diese Bezeichnung des Race Directors. Für die Veranstaltung ist man dann als eine Art Eventmanager verantwortlich. Es hat aber einen sportlichen Bezug. In unserem Fall bin ich auch für die Spitzensportler zuständig. Es geht zudem um die Konzeption der Strecke, das Programm für die Läufer. Das mache ich natürlich nicht alles selbst. Es ist meine Aufgabe, den Gesamtblick darüber zu behalten. Die Genehmigungen bei der Stadt einholen, Austausch mit den Behörden, Verkehrsmanagement, die Zusammenarbeit mit der Polizei, Feuerwehr und BVG.
Wie froh sind Sie eigentlich, dass im kommenden Jahr nicht zeitgleich die Bundestagswahl ist? Damals hieß es, es sei zu Verzögerungen bei der Nachlieferung der Wahlzettel gekommen.
Es hilft uns ein bisschen. Wir hatten schon mehrere Wahlen zeitgleich. Da ist nie etwas passiert. Letztes Mal, 2021, ist dann etwas passiert. Mir konnte noch nie jemand sagen, dass es wirklich an uns lag. Wir hätten kein Problem mit der Bundestagswahl gehabt. So ist es für alle entspannter, weil Wahlhelfer auch unsere Ehrenamtlichen sind und umgekehrt.
Wie viele Leute arbeiten für den Berlin-Marathon?
Wir haben insgesamt 6.500 Menschen, die am Veranstaltungstag unterstützen und 90 Vollzeitkräfte. Im erweiterten Führungskreis sind 60 Ressortleiter die zum Beispiel für die Kleiderablage zuständig sind.
Mehr dazu:
Wie läuft die Vorbereitung – in den Wochen davor und am Renntag selbst?
In den Wochen zuvor sind letzten Abstimmungen nötig - intern und extern. Unsere Leute sind dann auf der Strecke unterwegs und bemerken dann zum Beispiel, dass noch irgendwo eine Baustelle aufgetaucht oder eine Demo angemeldet ist. Dann gilt es, das alles hinzubeigen, so dass wir uns nicht gegenseitig behindern.
Vor ein paar Jahren kam mal der Papst, da mussten wir mit unseren Aufbauarbeiten zurückstecken. Jedes Jahr ist es etwas anders, das uns vor Herausforderungen stellt. In allen Jahren haben wir es aber gut hinbekommen. Man weiß nie zu 100 Prozent, was auf einen zukommt.
In der Woche vor dem Lauf freut man sich auf die ganzen Läufer, die hierherkommen. In meinem Fall habe ich einen engen Draht zu den Top-Athleten. Wir sind viel in der Stadt unterwegs und bekommen die Freude und Sorgen der Teilnehmer mit.
Als einmal die Medaillen einfach nicht kamen ...
Wie und wo verbringen sie den Renntag – und sind Sie nervös?
Mittlerweile bin ich rund 20 Jahre dabei, also nervös bin ich nicht, aber freudige Aufregung ist jedes Mal dabei. Es ist eine Sache, auf die man ein Jahr hinarbeitet. Anfangs bin ich mit dem Scooter bei der Spitzengruppe unterwegs und kann da das Rennen begleiten. Mit dem ersten Läufer bin ich dann auch im Ziel. Nach der PK kann ich auch noch im Zielbereich eine Runde drehen und schauen, wie alles abläuft. Wie zum Beispiel die Finisher auf dem Rasen beim Reichstag liegen.
Sie sind schon lange dabei – was war so die kurioseste Sache, die Sie erlebt haben?
Wir hatten einmal die Situation – es war Freitagnachmittag -, dass die Medaillen nicht kamen. Sie steckten noch im Ziel in den Niederlanden fest. Sie sind dann in einer Hauruck-Aktion am Samstagabend eingetroffen. Weil es dann so eng war, haben wir sind in einen PKW in Rotterdam gepackt und nach Berlin gebracht. Die Skater, die am Samstag starten, mussten dann die Medaillen in einem Fahrzeug an einer Kreuzung im Zielgebiet abholen. Das war ein großes Hallo, als die Skater da angekommen sind.
Das Thema Sicherheit spielt bei Ihnen eine große Rolle. Im vergangenen Jahr schrieb die "Letzte Generation" mit einer Protest-Aktion Schlagzeilen. Welchen Raum nimmt das Thema in diesem Jahr ein?
Wir haben seit den Anschlägen auf den Boston-Marathon 2013 ein ziemlich ausgefeiltes Sicherheitskonzept, das situationsbedingt angepasst wird. Wir fühlen uns gut aufgestellt und sind mit der Polizei und den Behörden im engen Austausch.

Die Gründe für die schnelle Strecke
Berlin hat 13 Weltrekorde - warum ist es die schnellste Strecke der Welt?
Da kommen mehrere Faktoren zusammen. Es geht nicht nur um das Höhenprofil der Strecke – sie ist sehr flach – sondern auch wie die Kurven beschaffen sind zum Beispiel, um die Anzahl, dass sie geschwungen und geschmeidig sind. Da sind wir ziemlich gut aufgestellt. Dann haben wir ein begeisterungsfähiges Publikum, das die Läufer nach vorne peitscht.
Ein wichtiger Faktor ist auch das Wetter. Da hatten wir bisher immer Glück. Auch wenn die Temperaturen hintenraus vielleicht einen Tick zu warm geworden sind. Im langjährigen Mittel sind die Temperaturen sehr gut. Organisatorisch tun wir viel dafür, dass die Athleten eine bessere Betreuung haben als anderswo. Zum Beispiel mit Bottle Claus, der die Flaschen anreicht. Das machen nicht alle Rennen.
Haben Sie die Sorge, dass im Zuge des Klimawandels und höheren Temperaturen der Start bald verschoben werden muss?
Da müssen wir einfach bewerten, wie sich das in den nächsten Jahren entwickelt. Momentan sehen wir keinen Anlass, etwas zu machen. In den vergangenen Jahren war auch am Mittag die Temperatur noch nicht so, dass man unbedingt reagieren muss. Ausschließen kann man es aber nicht.
Wie stolz sind Sie auf die Rekorde?
Schon sehr. Es ist immer auch eine Auszeichnung und Genugtuung. Von den großen Läufen will das natürlich jeder haben. Wir haben das in den vergangenen Jahren auch in unser Marketing aufgenommen. Leichtathletik wird immer noch viel von "Höher, schneller, weiter" getrieben. Wir haben keinen Anspruch zu sagen, wir sind der allerbeste Marathon, aber Champions League schon.
Ihr Lauf gilt als einer der prestigeträchtigsten der Welt - wo gibt es noch Verbesserungspotenzial?
Es gibt Maßnahmen, die man durch größere Budgets besser umsetzen kann. Der London-Marathon hat für seine Sponsoren einen tollen Auftritt im Gewand der Strecke und mehr Möglichkeiten, Sachen anzubringen, es bunter und farbiger zu gestalten. Andere Läufe haben Möglichkeiten, ihre Strecke länger zu sperren. Und ermöglichen so Menschen die Teilnahme, die nicht so schnell sind. Das sind noch kleine Stellschrauben, die man drehen könnte.
Gucken Sie sich Sachen ab von anderen Rennen?
Auf jeden Fall. Wir sind in gutem Austausch und arbeiten partnerschaftlich zusammen. Wir orientieren uns an den anderen Majors und haben eine wöchentliche Telefonkonferenz.
Was ist Ihr Lieblingsmarathon neben dem Berlin-Marathon?
Ich finde den London-Marathon ziemlich gut. Auch wenn ich ihn noch nicht gelaufen bin.
Magische Marke könnte schon bald fallen
Blicken wir auf das aktuelle Starterfeld. Wie schätzen Sie es ein?
Es sind Athleten am Start, die international noch nicht den ganz großen Namen haben. Das ist in einem Olympischen Jahr immer schwierig. Da waren wir in den letzten Jahren verwöhnt mit den Lauf-Legenden Kipchoge und Bekele.
Jetzt haben wir neue frische Gesichter. Kibiwott Kandie zum Beispiel, der Ex-Halbmarathon-Weltrekordler. Er war auf dieser Distanz zwei Minuten schneller als Kipchoge und Bekele. Wenn er sein Potenzial auf den Marathon bringt, kann er tolle Ergebnisse erzielen. Bisher ist er "nur" eine 2:04 gelaufen. Aber man muss den Marathon auch erst mal "lernen". In diesem Jahr haben wir keinen Weltrekord im Plan. Ich denke aber, dass das Elite-Feld mit guten Zeiten reüssieren kann.
Bei den Frauen haben wir mit Tigist Ketema eine Debüt-Weltrekordlerin dabei. In Dubai ist sie in diesem Jahr so schnell gelaufen wie noch nie zuvor eine Frau beim ersten Lauf. Das ist sehr vielversprechend. Wir freuen uns, dass mit Melat Kejeta eine deutsche Olympiastarterin kommt. In Paris hatte sie starke Magenprobleme, deswegen ist sie dort ausgestiegen. Danach hat sie sich bei uns gemeldet.
Bei den deutschen Männern sind wir auch gut besetzt. Alle, die nicht bei Olympia laufen konnten, sind hier. Wir denken, dass Hendrik Pfeiffer, Filimon Abraham, Haftom Weldey, Sebastian Hendel und Johannes Motschmann den anderen die Plätze für große Meisterschaft streitig machen können. Bei den Frauen und Männern sind wir in Deutschland gut aufgestellt. Leider fehlen bei den Frauen Fabienne Königstein und Deborah Schöneborn, weil sie sich verletzt haben.
Ich habe rausgehört, dass es wohl keinen Weltrekord-Angriff geben wird. Welche Zeit ist drin?
Ich hoffe auf eine hohe 2:02:00, 2:02:30, vielleicht einen Tick langsamer. Bei den Frauen auf eine 2:15:00. Ohne Weltrekord würde übrigens eine unglaubliche Serie reißen. Seit der 25. Auflage haben wir bei Jubiläen immer einen Weltrekord aufgestellt.
Apropos Rekorde. Glauben Sie, dass die magische 2-Stunden-Marke schon bald fällt? Vielleicht dann in Berlin?
Ich glaube, dass wir da nicht mehr weit von entfernt sind. Bestimmt wird es in den kommenden fünf Jahren passieren. Neben Kandie kommen noch weitere Läufer, die eine hohe Grundschnelligkeit haben. Zum Beispiel Joshua Cheptegai oder Tadese Takele.
Neuer Lauf-Boom erkennbar
Beim Jubiläumslauf 2024 sind 50.000 Läufer dabei – gibt es nach oben ein Limit?
Wir werden in diesem Jahr einiges zulegen im Vergleich zu vergangenem Jahr. Dann müssen wir sehen, wie wir das verkraften und davon abhängig machen, ob wir noch wachsen können oder ans Limit herangekommen sind. Unsere Berechnungen deuten darauf hin, dass wir mit der angestrebten Zahl Herr werden. Wir müssen schauen, wie das in der Realität umsetzbar ist oder wir reagieren müssen.
Man kann auf jeden Fall von einem neuen Boom sprechen?
Ja, auf jeden Fall. Das kann ich bestätigen. Nach Corona hat es eine Weile gedauert. Aber aktuell sieht es ziemlich gut aus.
Wann ist für Sie ein Berlin-Marathon ein gelungener Berlin-Marathon?
Ein gelungener Marathon ist es, wenn wir alle Leute nach Hause gebracht haben – also erstmal ins Ziel. Auch wenn das natürlich nicht geht. Es werden immer Leute wegen Verletzungen aussteigen. Aber dass keine schlimmeren Verletzungen, Unfälle oder Zwischenfälle passieren. Das ist das Kriterium. Ein Rekord ist dann das i-Tüpfelchen.
Herr Milde, vielen Dank für das Gespräch!
*Wir arbeiten in diesem Beitrag mit Affiliate-Links. Wenn Sie über diese Links ein Produkt kaufen, erhalten wir vom Anbieter eine Provision. Für Sie entstehen dabei keine Mehrkosten. Wo und wann Sie ein Produkt kaufen, bleibt natürlich Ihnen überlassen.



