Per Günther ist über alle Sportarten hinweg vielleicht Deutschlands bester TV-Experte. Im großen Interview mit sport.de spricht der ehemalige Basketball-Star über sein Jersey-Retirement in Ulm, den WM-Triumph des DBB-Teams und seine Auswirkungen - sowie über eine mögliche Zukunft als Trainer oder Manager.
Außerdem spricht Günther offen über seine Haltung zu einer Sportwelt, in der die Kommerzialisierung immer drastischere Ausmaße annimmt. Der 36-Jährige verrät auch, warum ihm US-Journalisten einmal mehr Ehrfurcht eingejagt haben als Steph Curry und warum er die Entwicklung beim FC Bayern kritisch sieht.
Herr Günther, es ist jetzt über ein halbes Jahr her, dass Deutschland Basketball-Weltmeister geworden ist. Wie normal fühlt es sich inzwischen für Sie an?
Per Günther: Nach wie vor überhaupt nicht normal. Es ist ganz egal, wann man es laut ausspricht, es ist immer noch mit so einer Ungläubigkeit behaftet. Jetzt sind wir in einer Phase, in der wieder alles so vor sich hin plätschert. Alles geht seinen Gang, alle kämpfen wieder ihre kleinen Kämpfe. Und dann kommen diese Momente, bei denen man sich wieder ertappt, dass wir das Weltmeister-Land im Basketball sind. Das ist schon nach wie vor sehr kurios.
Was ist für Sie auch mit etwas Abstand das Unfassbarste am WM-Triumph?
Günther: Das Halbfinale gegen die USA, ganz klar. Ich glaube auch, wenn du mit dem einen oder anderen Spieler sprichst, wird man immer wieder auf dieses Halbfinale zurückkommen. Das wird vielleicht sogar noch länger in Erinnerung bleiben. Dieses Halbfinale steht sinnbildlich für diese Ungläubigkeit, für dieses Staunen. Dass wir mal ein Spiel gegen Serbien gewinnen können, war auch einige Jahre zuvor nicht komplett undenkbar. Natürlich ist es etwas anderes, wenn wir von einem WM-Finale gegen Serbien sprechen, aber wenn wir das Drumherum beiseite schieben, dann kannst du so ein Spiel schon mal gewinnen. Aber du kannst nicht als Deutschland im Basketball-WM-Halbfinale gegen die USA gewinnen. 113:111. Das ist doch absurd.
Und die ganze Welt spricht plötzlich über diesen Andi Obst, der komplett am Rad dreht.
Günther: Das hat die Geschichte für mich persönlich nochmal auf eine weitere Stufe gehoben. Da sehe ich diesen Typen, meinen guten Kumpel, der diesen Weg gegangen ist von Bamberg als Jugendspieler über Gießen und Gotha nach Ulm später. Und dann schweißt dieser Verrückte den Amis 24 Punkte ein und ich höre MVP-Sprechchöre für Andi Obst. Bei der WM. In Asien. Geiler geht’s nicht.
Dieser WM-Titel hat ja für mich in meinem persönlichen Sportsystem einiges zerstört. Man ist aufgewachsen und es gab im Sport so ein paar Sachen, da war klar, die würden nicht eintreten. Dass Deutschland eines Tages Basketball-Weltmeister werden würde, gehörte definitiv dazu.
Günther: Wir dachten alle immer, dass es eine Decke gibt, an die wir nicht herankommen. Wer wüsste das besser als ich, der in den dunklen Jahren in der Nationalmannschaft gespielt hat. Zu den Zeiten, wo wir gegen Großbritannien verloren haben. Bei allem Respekt. Das waren auch für deutsche Spieler in der BBL dunkle Jahre. Da waren wir nicht mal mehr eine etablierte Basketball-Nation und selbst von etabliert bis hin zu einem WM-Titel ist der Sprung nochmal so groß. Da muss so viel passen. Du kannst mehrere Male in Folge eine der zwei oder drei besten Mannschaften sein und trotzdem nie den Titel holen. Insofern zeigt auch das nochmal, wie wahnsinnig das eigentlich ist, dass es tatsächlich geklappt hat.

Zumal man bei der Heim-EM und der Bronzemedaille noch sagen konnte, dass man von der Atmosphäre im eigenen Land gepusht wurde und dass es in Asien vielleicht wieder ein bisschen anders aussehen könnte.
Günther: Das stimmt. Das war nach der EuroBasket die große Frage: Wie gut sind wir wirklich? Können wir das für die WM einfach so 1:1 übersetzen? Sind wir wirklich eins der zwei oder drei besten Teams in Europa? Es gab ja schon Argumente, um zu sagen, dass Deutschland bei der EuroBasket sogar die beste Mannschaft war und den Titel hätte gewinnen können oder sogar müssen. Wir waren alle stolz auf Bronze, aber im Hinterkopf war auch der Gedanke, dass man das Spiel gegen Spanien im Halbfinale nicht hätte verlieren dürfen im letzten Viertel.
Sowohl bei der EuroBasket als auch bei der WM hat sich auch eines gezeigt: Natürlich hatte das Team eine super Mentalität, aber das Team hat vor allem überzeugt, weil es basketballerisch überragend war. Auch das hätte man nicht immer über eine deutsche Mannschaft gesagt. Was hat dieses Team aus Ihrer Sicht so besonders gemacht?
Günther: Das größte Geschenk für diese Mannschaft ist, wie komplementär die Spieler zusammenpassen. Dass du regelmäßig deine fünf besten Spieler auf dem Feld hast und es nicht nur passt, sondern dass sich sogar noch Synergien ergeben. Das hast du wahrlich nicht immer. Ich muss gerade an die Frauen-Nationalmannschaft denken. Ganz tolle Spielerinnen, aber hier und da überschneiden sich Skillsets und du kriegst es nicht so einfach gelöst. Und bei der Weltmeister-Mannschaft musst du ja nur an Dennis Schröder und Franz Wagner denken. Die beiden sind ein Geschenk des Lebens für uns. Du hast zwei Stars, deine beiden besten Spieler und Go-to-Guys, die aber beide Two-Way-Player sind, die beide hervorragend verteidigen. Franz kann zwar auch dein hauptsächlicher Ball Handler sein, er muss es aber nicht. Er kann das Spiel auch beeinflussen, selbst wenn er offensiv nicht seinen besten Tag hat. Wenn du solche zwei Stars hast, die zusammen so gut funktionieren, ist das übertrieben gesagt ja schon die halbe Miete.
DBB Coup bei Olympia? "Bin ich mir nicht sicher, ob sie das nochmal auf die Straße kriegen
Wenn wir uns überlegen, wie es weitergeht: Zwischen den Extremen “Das war ein Jahrhundertereignis und wird nie wieder passieren” und “Deutschland holt jetzt auch Olympia-Gold” - wo stehen Sie da?
Günther: Ich stehe auf keinen Fall an einem der beiden Pole. Ich stehe irgendwo in der Mitte. Ich muss aber zugeben, dass ich schon überrascht wäre, wenn die Mannschaft die WM-Performance einfach so wiederholen kann. Ich wäre überrascht, wenn sie in der Vorbereitung wieder so auftreten, wie sie es vor der WM gemacht haben. Und ich glaube, dass darin ein Schlüssel für den Erfolg lag. Du musst einmal kurz davor gewesen sein und scheitern, bevor der ganz große Triumph kommt. Das ist ein Effekt im Sport, den man immer wieder sieht.
Also dieser EuroBasket-Effekt, der dem Team nochmal einen ganz neuen Push gegeben hat?
Günther: Ja, absolut. Die Jungs wussten, dass sie das Ding hätten gewinnen können, vielleicht müssen, das hat ihnen einen besonderen Drive gegeben. Ich erinnere mich gut, weil ich alle Vorbereitungsspiele gesehen habe und fast schon schockiert war, wie "locked in" die Truppe war. Ich wusste natürlich nicht, wie es ausgeht, aber ich habe mir schon gedacht: Was ist hier los? Die waren gegen China mit 30 vorne, dann machte irgendjemand einen blöden Fehler und sofort wurde in harschem Ton miteinander kommuniziert. Das sind Kleinigkeiten, an denen du erkennen kannst, wie fokussiert ein Team ist. In der gesamten Vorbereitung hatten die Jungs vielleicht drei oder vier laxe Minuten, das war's. Das war beeindruckend. Aber um auf die Frage zurückzukommen: Ich weiß einfach nicht, ob das reproduzierbar ist nach diesem Triumph. Diese Mannschaft hätte es sich theoretisch sogar verdient, zu sagen: Wir genießen die Olympischen Spiele und schauen einfach mal, was passiert. Das werden sie natürlich nie sagen. Sie werden sagen, dass sie weiter hungrig sind. Aber es ist ein großer Unterschied, das zu sagen und tatsächlich nochmal diese Entschlossenheit von der WM zu entwickeln. Da bin ich mir nicht sicher, ob sie das nochmal auf die Straße kriegen.
Rein sportlich kommen im Endeffekt einzelne Superstars dazu im Vergleich zur WM und die USA schicken natürlich diesmal alles, was geht.
Günther: Normalerweise würde man denken: Okay, jetzt schicken die USA die großen Jungs, jetzt legen sich alle ehrfürchtig hin. Aber die Zeiten sind erstens vorbei und zweitens will ich mir das erst einmal anschauen, wie die USA den Spagat schaffen zwischen den LeBrons und Stephs und den Jüngeren im Team. Es ist ein sehr seltsam anmutender Satz, zu sagen, dass die Chancen gegen die USA größer sind, wenn LeBron dabei ist, aber wir wissen einfach nicht, ob und wie sie sich als Team finden. Unschlagbar sind sie über 40 Minuten mit FIBA-Regeln für mich nicht. Genauso wenig sind die anderen Nationen für uns unschlagbar. Wir sind nicht der Favorit, aber wir können das Turnier vom Grundsatz her schon auch wieder gewinnen.
NBA-Star Schröder hat "Mano-a-Mano-Mentalität"
Viel wird natürlich wieder an Dennis Schröder hängen, der im DBB-Trikot ja irgendwie nochmal ein anderer Spieler ist als in der NBA. Woran liegt das?
Günther: Das Verrückte ist, dass er in der Nationalmannschaft gegen absolute Superstars wie Shai Gilgeous-Alexander spielt, die aus der NBA-Perspektive ein oder zwei Level über ihm stehen, und sich da aber auf einem Niveau bewegt oder sie sogar schlägt. Man spürt richtig, wie wohl er sich auf FIBA-Ebene fühlt. Das ist sein Zuhause, das ist sein Spiel, da hat er die Schlüssel in der Hand. Und dann hat er auch die mentale Kapazität, die innere Überzeugung und diese "Mano-a-Mano"-Mentalität, um der beste Dennis Schröder zu sein, der er nur irgendwie sein kann. Weil er aber auch einfach das totale Vertrauen des Trainers spürt und eine unangefochtene Rolle einnimmt, die er in der NBA nicht hat. Das bedeutet so extrem viel für dein Spiel, für das Selbstvertrauen deiner Würfe, für dein ganzes Selbstverständnis.
Sie kennen es ja auch aus eigener Erfahrung sehr gut, wie wichtig die Rolle gerade im Nationalteam ist.
Günther: Bei mir war es genau umgekehrt. Ich hatte diese "Star-Rolle" in meinem Verein, dann bin ich zur Nationalmannschaft gefahren und hatte plötzlich eine ganz andere und viel kleinere Rolle. Mit der Folge, dass ich mich nicht wohlgefühlt habe und auf einmal ganz anders gespielt habe. Die richtige Rolle verändert alles. Dennis hat eine herausragende NBA-Karriere gemacht, aber ich glaube, wenn er nochmal in so eine Atlanta-Situation gekommen wäre, hätte sich sein Spiel auch in der NBA nochmal anders entwickeln können.
Mit den Olympischen Spielen geht ein Drei-Jahres-Zyklus zu Ende. Bricht das Team danach auseinander?
Günther: Dennis hat gesagt, dass er noch lange spielen will. Er wird, denke ich, dabei bleiben, was schon mal super ist, weil er das Zugpferd ist. Natürlich kann es sein, dass er irgendwann an den Punkt kommt, dass er vielleicht eine halbe Sekunde in seinem ersten Schritt verliert. Das könnte einen großen Impact auf sein Spiel haben, aber ich bin sicher, dass er noch einige Jahre auf allerhöchstem Niveau im Tank hat. Was abseits von Dennis passiert, müssen wir abwarten. Die Absprache gilt ja ganz klar bis zu den Olympischen Spielen. Ich kann mir schon vorstellen, dass ein paar Jungs danach eine Pause brauchen. Und ich würde auch darauf tippen, dass Gordon Herbert nach Paris einen Schlussstrich zieht und nicht noch zehn Jahre Bundestrainer bleiben wird. Olympia wäre da einfach ein logisches Ende.
Gordon Herbert: "50 Prozent seines Erfolgs liegen im Handling der Mannschaft"
Herbert ist der Vater des WM-Titels, sein ikonisches Bild, wie er nach dem Triumph auf dem Boden hockt, bleibt für immer unvergessen. Was ist seine größte Gabe?
Günther: Das Personalmanagement. Gerade für einen Nationaltrainer ist das nochmal wichtiger als für einen Vereinstrainer, weil dir die klassischen und einfachen Hebel fehlen. Gerade, um für Disziplin zu sorgen. Du kannst einen Spieler nicht über das Gehalt bestrafen, du kannst auch keinen Spieler vier Wochen ins Dog House stecken und ihm sagen, dass er sich mal ein paar Gedanken über sein Verhalten machen soll. Du musst es im Endeffekt schaffen, dass die Spieler sich auch selbst disziplinieren und das untereinander regeln. Natürlich ist Gordon Herbert ein fachlich guter Basketball-Coach, aber bestimmt 50 Prozent seines Erfolgs liegen im Handling der Mannschaft. Du musst Dennis menschlich kriegen, du musst Franz kriegen, du musst die beiden dazu bringen, dass sie der Mannschaft vorleben, was du von ihnen willst. Du musst die Rollen gut und klar verteilen. Nach dem Motto: Alle sind gleich, aber manche sind gleicher. Du musst Dennis ein bisschen anders behandeln, aber ohne dass die anderen davon genervt sind. Diese Balance ist eine echte Kunst und diese Kunst beherrscht Gordon Herbert extrem gut. Das ist auch das Erste, was dir die Spieler erzählen. Ich wusste genau, wie meine Rolle aussieht. Wir sind gerne hier. Wir haben eine tolle Kultur.
Wie immer, wenn es einen großen Erfolg in einer Sportart gibt, die nicht Fußball heißt, wird danach der große Boom ausgerufen. Meistens ist er aber nach kurzer Zeit schon wieder verpufft. Wie viel Schwung hat der Basketball mitgenommen?
Günther: Ich habe ehrlich gesagt immer ein bisschen gehadert mit dieser Nationalmannschafts-Hype-Geschichte. Die dunklen Jahre, in denen ich dabei war, waren aus Sicht der Nationalmannschaft 2010 bis 2015. Das waren zehn bis 15 Jahre nach der Zeit, in der wir 2002 und 2005 Medaillen gewonnen haben, weil wir den besten deutschen Spieler in unseren Reihen hatten, den wir je haben werden. Und dennoch lag der deutsche Basketball zehn Jahre später am Boden und alles war so schlecht wie nie zuvor. Ich verstehe schon den Gedanken der Nationalmannschaft als Lokomotive für eine Sportart, aber was heißt das? Wir wissen, wir werden keinen besseren Spieler als Dirk bekommen. Okay, jetzt haben wir eine Goldmedaille statt einer Silber- oder Bronzemedaille. Das ist natürlich eine Steigerung, aber ich glaube nicht, dass die BBL nachhaltig davon profitiert. Es hilft vielleicht hier und da, weil bei Sponsoren einmal mehr der Daumen nach oben als nach unten geht. Aber dass die BBL jetzt Abos verkauft und die Leute jetzt Bock auf Ulm gegen Braunschweig haben - das wird nicht passieren. Und ich ticke ja in anderen Sportarten genauso. Ich fiebere auch mit den Handball-Jungs mit und freue mich über Erfolge, aber deshalb schaue ich mir zwei Monate später nicht Lemgo gegen Melsungen an. Für mich ist etwas anderes wichtiger.
Bitte.
Günther: Früher hatten wir "nur" diese Dirk-Nowitzki-Geschichte. Die Geschichte, dass du 2,10 Meter groß und ein totaler Freak sein musst, um im Basketball etwas zu erreichen. So sehr wir Dirk alle lieben, ist es positiv, dass wir jetzt einige erreichbare Ziele für die Kinder und Jugendlichen haben. Die Wagner-Brüder, Bonga, Obst - wir können Geschichten von Sportlern weitererzählen, die nicht kompletter Wahnsinn sind. Das kannst du auch schaffen, du kannst in Deutschland auch mit Basketball Geld verdienen. Dieser Schwung, diese Flut, die wir jetzt erleben und die alle Boote so ein bisschen anhebt, wird spürbar sein. Und das finde ich persönlich wichtiger als das Gerede, wer jetzt hinter dem Fußball auf Platz zwei kommt.
"Ich wollte zeigen, dass ich nicht nur gut Basketball spielen kann"
Generell liegt in Sport-Deutschland vieles im Argen, was sich in Paris auch wieder im Medaillenspiegel ausdrücken könnte. Im Basketball läuft aber auch strukturell vergleichsweise vieles richtig, oder?
Günther: Das würde ich so unterschreiben. Man muss den Hut davor ziehen, was passiert ist. Vielleicht ist der Basketball auch ein gutes Beispiel, was möglich ist, wenn du eine klare Idee und Vision hast. Wenn ich an die JBBL oder NBBL denke, an die Lizenzauflagen von der BBL für die Vereine, was für Arenen entstanden sind, was für Nachwuchszentren wir inzwischen haben - es hat sich vieles in die richtige Richtung entwickelt. Das bedeutet nicht, dass du dann automatisch den WM-Titel gewinnst, aber wenn du diese Schritte nicht machst, hast du einfach gar keine Chance auf so einen Titel. Wenn gut gearbeitet wird und auch die nötige Infrastruktur geschaffen wird, sind Erfolge möglich.
Die WM war nicht nur für die Nationalmannschaft ein großer Erfolg, sondern auch für MagentaSport und für Sie persönlich. Für viele sind Sie Sportarten-übergreifend einer der besten Experten. Wann haben Sie gemerkt, dass Ihnen das liegt?
Günther: Ich war schon als Spieler ein Typ, dem Medienarbeit Spaß gemacht hat. Ich war nie jemand, der gesagt hat: Bleibt mir weg damit, ich wollte das sogar machen. Ich muss ehrlicherweise auch sagen, dass ich natürlich auch die Chance genutzt habe, mich ein bisschen zu profilieren. Ich wollte zeigen, dass ich nicht nur gut Basketball spielen kann. Sondern dass ich auch lustig bin. (lacht) Nein, aber es hat mir einfach Spaß gemacht. Ich bin auch ein riesengroßer Podcast-Fan und habe vor allem die NBA extrem über das Hören von Podcasts verfolgt. Früher bin ich auch nachts aufgestanden, um mir Dirk und die Mavs live reinzuziehen, aber sobald du Kinder hast, geht das nicht mehr so richtig. Ich liebe die erste Runde der Playoffs so sehr, ich würde da gerne mal wieder mehr eintauchen, aber es geht einfach kaum. So hat es sich entwickelt, dass ich praktisch keine NBA-Spiele mehr gesehen habe, aber trotzdem unfassbar gut informiert war und über alles Bescheid wusste. Eben über die Podcasts und die Schreiber und Erzähler. 2019 hatte ich das Glück, über Kontakte für Spiel 6 der Finals akkreditiert zu sein. Warriors vs. Raptors. Das letzte Spiel in der Oracle Arena und Toronto wird Meister. Das war für mich persönlich ein überragender Abend.
Was ist passiert?
Günther: Ich weiß noch, wie ich alibimäßig im Medienraum saß mit meinem Laptop, den ich dabei hatte, obwohl ich gar nichts zu tun hatte. (lacht) Und neben mir saßen die ganzen Journalisten-Größen aus den USA wie Brian Windhorst und Zach Lowe. Und ich war tatsächlich mehr star-struck als später am Abend, als Steph Curry zwei Meter vor mir stand. Weil das die Typen waren, deren Stimmen ich die ganze Zeit gehört hatte. Das war cool. Insofern hatte ich schon immer eine hohe Affinität zu dem ganzen Thema. Dass ich aber dann selbst eine Expertenrolle übernommen habe und dass den Leuten offenbar ganz gut gefällt, da bin ich Stück für Stück mehr oder weniger hineingestolpert.
Hatten Sie auch mal überlegt, etwas ganz anderes zu machen nach der Spielerkarriere?
Günther: Ich habe mir schon Gedanken gemacht, ganz hart auszubrechen. Ich habe Wirtschaftspsychologie studiert und zwischendurch dachte ich, dass ich mich vielleicht in einer ganz anderen Welt beweisen und durchbeißen will. Heiko Schaffartzik ist in die Schauspielerei gegangen, ich kann das gut verstehen, weil man auch nicht mehr nur als Sportler gesehen werden will. Aber dann hat es mich doch wieder zum Basketball zurückgezogen. Ich liebe es, Spiele anders zu genießen als früher, ich komme jedes Mal so gerne in die Halle. Deshalb werde ich das, sofern ich die Möglichkeit dazu habe, auch noch eine Weile machen. Man weiß ja nie, wie sich die Situation mit den Rechten verändert, aber momentan ist das Setup für mich und meine jetzige Lebenssituation perfekt.

Kann es aber sein, dass es Sie früher oder später auch wieder noch tiefer ins Business hineinzieht und wir Sie bei einem Verein erleben werden?
Günther: Es kann schon sein, dass ich irgendwann wieder Lust auf den Wettbewerb und den Thrill bekomme. Das war so ein großer Teil von mir. Das Gewinnen. Die Extreme, in denen du dich bewegst. Die Drucksituationen. Ich habe das lange sehr genossen, dann war es aber auch lange eine wirkliche Belastung und ich war froh, aus dem Geschäft raus zu sein. Aber ich kann mir gut vorstellen, dass es mich eines Tages reizen wird, wieder einzusteigen. Vor allem, wenn es das richtige Projekt ist, das du lenken kannst. Gerade so die strategische Schiene mit dem Thema Kaderplanung interessiert mich sehr.
Per Günther als Trainer? "So kompliziert"
Also eher Manager als Trainer?
Günther: Ich glaube, dass es so hart ist, Trainer zu sein. Es ist so kompliziert, in der BBL überhaupt einen Job zu bekommen und da gibt es auch keine Abkürzung, die du nehmen kannst. Du musst so viel Arbeit reinstecken. Du musst grinden. Du musst 24 Stunden, sieben Tage die Woche Videos anschauen. So bin ich nicht. So war ich auch nie. Ich bin kein kranker Purist. Ich liebe Basketball, aber immer so im Verhältnis 80:20 oder 70:30, ich habe immer noch andere Dinge gehabt, die mir wichtig waren im Leben. Aber als Trainer musst du 100 Prozent reinpacken. Das sind Ultras.
Es gab zuletzt einen sehr besonderen Abend für Sie. Ihr Trikot mit der Nummer 6 wurde in Ulm unters Hallendach gezogen. Blöde Journalisten-Frage: Wie besonders war dieser Abend?
Günther: (lacht) Sehr besonders. Einfach auch deshalb, weil Ulm in der vergangenen Saison die Meisterschaft gewonnen hat. Da denkst du dir natürlich im ersten Moment schon: Ich war 14 Jahre da, dann höre ich auf und Ulm wird zum ersten Mal in der Vereinsgeschichte Meister - das Timing hätte besser sein können. Auf der anderen Seite hätte es eben auch nicht besser sein können, weil ich dann nicht so gut in meine Karriere nach der Karriere hätte starten können. Und mir war immer klar, dass man sich selbst nicht so wichtig nehmen darf. Basketball in Ulm war früher ohne Jeff Gibbs undenkbar, Basketball in Ulm war ohne Mike Taylor als Trainer undenkbar, oder auch ohne John Bryant. Es kommt immer der Nächste, es kommen immer neue Helden.
Aber nicht jeder ist 14 Jahre da.
Günther: Klar. Ich habe eine ganz besondere Beziehung zum Verein, zur Stadt und vor allem auch zu den Fans. Das wurde mir bei meinem Jersey-Retirement nochmal auf wunderschöne Art und Weise vor Augen geführt. Ich habe auch viel an die Anfänge zurückgedacht. Auch an die Leidenszeit und an die Entwicklung in Ulm, bis wir es geschafft haben, dass die Crazyness ausgebrochen ist, wir in die neue Halle gezogen sind und plötzlich alle Spiele ausverkauft waren. Ich war erst kürzlich nochmal in der Halle. Wenn du da dein Trikot hängen siehst, ist das schon ein sehr cooles Gefühl.
Topfavorit auf den Meistertitel ist in dieser Saison wieder der FC Bayern, auch wenn die Münchner eine enttäuschende Euroleague-Saison erlebt haben und insgesamt auf europäischem Parkett stagnieren. Wie bewerten Sie die Entwicklung der Bayern?
Günther: Ich glaube, dass man schon immer zumindest erwähnen muss, dass die deutschen Vereine in der Euroleague finanzielle Nachteile haben, weil sie viel mehr Abgaben haben. Das ist ein großer Faktor. Das vorneweg. Ich habe die Fankultur in dieser Saison als gut empfunden, es war immer voll in München. Es geht vieles in die richtige Richtung, auch wenn wir an die neue Arena denken, die zur neuen Saison eröffnet wird. Und ich war auch davon überzeugt, dass Pablo Laso der genau richtige Trainer ist, der in München sehr ansehnlichen, ästhetischen Basketball spielen lassen wird. So ein bisschen Tiki-Taka-Style. Das schien alles wie gemalt. Aber es ist leider nicht so gekommen, sodass ich Laso inzwischen kritisch sehe. Jeder war begeistert, dass sich ein Trainer wie Laso für die Bayern entscheidet, deshalb hatte man auch viel Geduld. Aber jetzt muss ich sagen, dass wir im April sind und es auf dem Feld nicht so aussieht, wie es aussehen muss. Das Produkt lässt einfach zu wünschen übrig, ich sehe bei den Bayern keinen Fortschritt im Vergleich zum Herbst. Obwohl ich den Kader als gut zusammengestellt ansehe, fehlt mir die sportliche Weiterentwicklung und da sehe ich die Verantwortung ganz klar beim Coach.
Basketball in Saudi-Arabien "abstoßend"
In der nächsten Euroleague-Saison könnten die Bayern tatsächlich auf ein neues Team aus Dubai treffen. Was macht diese Vorstellung mit Ihnen?
Günther: Ich fürchte, dass wir uns im Sport damit anfreunden müssen, dass es nur noch um Grauschattierungen geht. Ich hoffe, wir finden den reinen puren Sport noch bei Olympischen Spielen oder bei Nationalmannschaften, wo ich weiß, dass es hier nicht ums Geld geht. Das sind im besten Fall noch so Inseln der Glückseligkeit. Aber ansonsten setzt die Kommerzialisierung überall ein. Ich tue mich damit sehr schwer. Wenn ich an Dubai denke hinsichtlich einer Euroleague-Teilnahme oder an alle Themen, die Saudi-Arabien betreffen, dann ist meine Meinung erstmal ablehnend, extrem ablehnend. Ich finde es abstoßend. Gerade wenn wir dann auch über Themen wie Menschenrechtsverletzungen sprechen müssen. Aber trotzdem versuche ich, mich selbst zu überprüfen, ob ich nicht noch viel mehr hinterfragen muss im Leben, wenn ich das jetzt komplett verteufle. Es ist schwierig. Wenn mir jemand sagt, dass durch Dubai mehr Geld in die Liga kommt, wäre meine erste Antwort immer: Das juckt mich nicht, ich brauche nicht mehr Geld in der Liga.
Sie sind in Gießen geboren und kommen aus Hagen, mehr Basketball-Tradition geht nicht.
Günther: Eben. Ich liebe die Ischelandhalle. Aber ich muss gleichzeitig auch sagen, dass ich es auch toll finde, wenn die BBL wächst und jeder Verein in tollen Multifunktionsarenen spielt, in die mindestens 6000 Fans passen. Ich bin ja nicht blöd, ich weiß schon, dass es vorangehen muss. Und wahrscheinlich hat die Euroleague Recht mit ihrer Strategie, wenn sie über Europa hinaus wachsen will. Das geht dann nur über Metropolen wie London, Paris oder eben auch Dubai.
Glauben Sie aber, dass sich Fans eines Tages dann doch abwenden könnten, wenn es in dem Stil weitergeht?
Günther: Das ist sehr gut möglich. Ich bin das beste Beispiel. Ich bin ein großer Golffreak, aber die LIV-Tour hat für mich alles zerstört. Ich schaue die LIV-Tour sowieso nicht und jetzt schaue ich auch die US PGA Tour nicht mehr wie früher, weil mir spätestens nach dem Abgang von Jon Rahm zu viele Stars fehlen. Jetzt schaue ich mir nur noch die Majors an. Und egal, wie sehr es ökonomisch auch Sinn ergeben mag, ich habe auch keine Lust in der Euroleague auf London gegen Dubai. Ich will mir Baskonia gegen Valencia reinziehen, Barca gegen Roter Stern, Panathinaikos gegen Fenerbahce.
Das Interview führte Florian Regelmann
























