Die Los Angeles Chargers gehören objektiv betrachtet zu den Teams der NFL, die in den vergangenen Jahrzehnten mit das meiste Glück gehabt haben, was aber letztlich nicht zu Erfolgen auf dem Feld geführt hat. Die Gründe dafür sind vielschichtig.
Es ist länger her, dass die Chargers wirklich konstant eine Macht waren in der NFL oder auch nur in der AFC West. Von 2004 bis 2009 verpassten sie unter den Head Coaches Marty Schottenheimer und Norv Turner nur einmal die Playoffs. Damals hatten sie das Glück, dass ihnen Quarterback Philip Rivers letztlich in den Schoß fiel, weil Eli Manning, den sie an Position 1 gezogen hatten, auf gar keinen Fall in San Diego spielen wollte. Per Trade kam Rivers, der das Franchise über mehr als ein Jahrzehnt prägte - ja, Manning gewann zwei Super Bowls, aber das war eher seiner Defense zu verdanken.
Zudem hatten die Chargers 2001 ein sehr gutes Händchen, als sie einen der besten Running Backs aller Zeiten in LaDainian Tomlinson mit dem fünften Pick insgesamt drafteten. Oder 2003, als sie einen College-Basketballspieler nach dem Draft verpflichteten und der zu einem der besten Tight Ends in der Geschichte des Sports wurde. Die Rede ist von Antonio Gates, dessen unglaubliches Talent einfach niemanden sonst aufgefallen war.
Von Glück reden konnten sie auch, dass sie im Grunde ein neues Stadion in Inglewood geschenkt bekommen haben und sich nicht an den Baukosten beteiligen mussten. Sie sind zwar nur Untermieter von Stan Kroenke und dessen Rams, doch zahlen sie ihm nur einen symbolischen Dollar an Miete pro Jahr. Der Stadtrivale trägt alle Kosten und Risiken, die Chargers bekommen dennoch die Spieltagseinnahmen und so weiter.
Chargers: Elite-Quarterback im Draft 2020
Und dann passierte 2020 das Beste, was passieren kann. Es fiel ihnen auch noch ein Elite-Quarterback im Draft in den Schoß. An Position 6 zogen sie den gar nicht mal so hoch gehandelten Justin Herbert, der sich schnell als Glücksgriff entpuppte mit seinen athletischen Fähigkeiten und vor allem seinem Armtalent. Die Sache war klar: Mit diesem Quarterback könnte man weit kommen, denn ein Top-Quarterback ist die Grundlage für Erfolg in der heutigen NFL.
An dieser Stelle muss man sich nun aber fragen, was die Chargers mit all diesen glücklichen Fügungen gemacht haben. Das tolle Team, dass man Anfang des Jahrhunderts hatte, gewann unterm Strich genau gar nichts. Man muss den damaligen Stars zugutehalten, dass sie mehr als ein Mal in den Schredder gerannt sind, der die New England Patriots damals waren. Doch auch darüber hinaus fehlte es letztlich immer dann, wenn es zählte.
Das "geschenkte" Stadion führte derweil bislang nicht zum großen Fan-Ansturm, Heimspiele wirken nicht selten wie Auswärtspartien mit größtenteils Gästefans im SoFi. Und dann wäre da noch das Sportliche, das weiterhin nicht zu den Voraussetzungen passt. In vier Jahren mit Herbert standen die Chargers nur einmal in den Playoffs und das eine Spiel verloren sie blamabel in Jacksonville nach 27:0-Führung kurz vor der Pause.
Mehr noch: Trotz teurer Neuzugänge haben sie in ihrer aktuellen Besetzung bereits zwei Head Coaches - und einen General Manager - verschlissen und starten nun mit Jim Harbaugh und GM Joe Hortiz einen weiteren Neuanfang. Wie umfangreich der nun aussehen wird, steht in den Sternen, doch eines ist schon jetzt sicher: Die günstigen und so wichtigen Rookie-Vertragsjahre von Herbert haben sie in Los Angeles bereits gänzlich verschwendet. Und diese sind normalerweise die, in denen Teams um den QB herum groß aufbauen können, um ihm die Sache zu erleichtern.
Chargers: Ferrari oder doch Fiat Punto?
Die Chargers haben dies versucht, scheiterten jedoch an schlechten Play-Callern wie (Head Coach) Anthony Lynn oder Joe Lombardi, der unter dem gerade geschassten Head Coach Brandon Staley der Meinung war, Herberts Ferrari von einem Arm wie einen Fiat Punto zu fahren und hauptsächlich auf kurze Sicherheitspässe und Run Game zu setzen. Auch mit Nachfolger Kellen Moore wurde es nur bedingt besser, was letztlich aber auch am enormen Verletzungspech der vergangenen paar Jahre gelegen haben mag.
2024 nun wird Herbert ein letztes Mal halbwegs günstig sein, da sein Cap Hit nach Unterschrift seines neuen Vertrags (5 Jahre, 262 Mio. Dollar) bei nur 19 Millionen Dollar liegt. Ab 2025 dann zählt er mit mehr als 37 Millionen Dollar gegen die Cap und ab 2026 steigen die Beträge jährlich enorm. Doch schon in den ersten Tagen der NFL Free Agency 2024 wurde deutlich, dass die schwachen sportlichen Erträge der jüngeren Vergangenheit ernste Konsequenzen nach sich zogen. Der langjährige und ultra-zuverlässige Star-Receiver Keenan Allen spielt nun in Chicago, da er einer Gehaltskürzung nicht zustimmen wollte, Deep Threat Mike Williams wurde direkt entlassen.
Herbert steht nun erstmal ohne etablierten Receiver da und hat mit Austin Ekeler auch seinen langjährigen Partner im Backfield verloren, der immer auch ein Faktor im Passspiel war. Die Chargers haben derzeit den fünften Pick im Draft und sind damit in Position für eine neue Offensiv-Waffe für Herbert. Doch selbst wenn dann ein Top-Receiver oder -Tight-End (Brock Bowers) kommen sollte, würde das nichts daran ändern, dass die Chargers noch einen weiten Weg zu gehen haben, um wirklich in der Division anzugreifen, die seit Jahren von den Chiefs dominiert wird. Die Qualität fehlt diesem Kader an allen Ecken und enden.
Zudem muss man bezweifeln, dass es offensiv künftig deutlich besser laufen wird für Herbert, denn Harbaughs neuer Offensive Coordinator, Greg Roman, ist ein Verfechter des "Establish-the-Run"-Movements, also einer der alten Schule. Schon bei den Ravens zeigte sich deutlich, dass er wirklich nur im Run Game zuhause ist, das Passspiel wurde mit Lamar Jackson stets vernachlässigt. Sollte das bei den Chargers künftig auch so sein - auch Harbaugh spricht dafür, wenn man sich sein Michigan der letzten Jahre anschaut, dass sich eigentlich komplett auf den Lauf verlegte und kaum etwas anderes machte -, dürfte das die Chancen auf Erfolg auch nicht erhöhen. Selbst wenn Michigan damit ultimativ großen Erfolg hatte. NFL-Defenses dürften darauf jedoch bessere Antworten finden.
Und so ist zu befürchten, dass die Chargers, die weiterhin den Luxus haben, einen der besten jungen Quarterbacks der NFL in ihren Reihen zu wissen, weiter auf der Stelle treten und weitere Saisons mit Justin Herbert verschwenden.
Marcus Blumberg




































