Das erste Weltcup-Skifliegen der Frauen sollte ein feierlicher Anlass werden. Doch die Freude über dieses historische Ereignis währte nur kurz. Denn während die Männer Ersatz für ihr ausgefallenes Einzel vom Samstag bekamen, gingen die Frauen einmal mehr leer aus. Ein Sinnbild für den Zustand eines Sports, in dem die Frauen immer noch mehr geduldet als erwünscht sind.
Wie schon im Vorjahr meinte es das Wetter in Vikersund nur bedingt gut mit den besten Skispringerinnen der Welt: War es am Freitag noch nasser Schneefall, der das Training von zwei auf drei Durchgänge verkürzte, so kamen am Samstag noch heftige Windböen dazu, die gar keine Flüge erlaubten.
Nach der frühzeitigen Absage des Probedurchgangs und der Verschiebung des Wettkampfs um eine halbe Stunde kam bereits fünf Minuten nach der eigentlichen Startzeit um 10 Uhr die Absage des ersten Weltcup-Einzels im Skifliegen überhaupt.
Überrascht wurde davon aber niemand mehr: "Mein Erfahrungsschatz hat mir heute geholfen. Ich wusste frühzeitig, dass nichts geht und habe mich gar nicht erst vorbereitet, sondern Energie gespart", meinte beispielsweise Eva Pinkelnig gegenüber sport.de.
Die Gelassenheit von Pinkelnig und Co. kam nicht von ungefähr: Schließlich stand am Sonntag noch ein Wettkampf auf der Weltrekordschanze auf dem Programm und erste Szenarien für einen Ersatz gab es auch schon, wie die Athletinnensprecherin verriet: "Die aktuelle Idee ist, den Probedurchgang durch einen Wettkampfsprung zu ersetzen und diesen dann als Weltcup zu werten. Im Anschluss würde dann das Fliegen mit zwei Durchgängen stattfinden, so wie es geplant war. Für uns Athletinnen würde es passen und der Wetterbericht schaut auch richtig gut aus am Vormittag."
Folgerichtig erhielten die TV-Stationen um 15 Uhr einen vorgefertigten Zeitplan für genau dieses Szenario und auch einen für den Fall, dass der Wettkampf der Männer, der zu diesem Zeitpunkt ins Wackeln geriet, nicht stattfinden würde. Dieser wurde um 16:55 Uhr ebenfalls abgesagt und nur eine halbe Stunde später für Sonntag um 11:05 Uhr mit einem Wertungsdurchgang neu angesetzt.
Kurz danach hatte der Veranstalter über norwegische Medien mitteilen lassen, dass es auch für die Frauen je einen Wettkampf mit einem respektive zwei Durchgängen geben werde.
ORF-Experte Goldberger kopfschüttelnd: "Das ist lächerlich"
Eine Stunde später kam aber die ernüchternde Nachricht: Der Wettkampf wird nicht nachgeholt. Nicht nur im Pressebereich herrschte am Sonntagmittag die einhellige Meinung: Gleichbehandlung schaut anders aus. "Das, was hier abgelaufen ist, ist aus meiner Sicht lächerlich", meinte ORF-Experte Andreas Goldberger kopfschüttelnd.
Die Athletinnen, wenn sie vor lauter Frust überhaupt über das Thema sprechen wollten, zuckten nur mit den Schultern. "Wir haben die Information bekommen, dass darüber nachgedacht wurde, unseren geplanten Wettkampf zu machen, dann den Wettkampf der Männer mit einem Durchgang und danach für uns auch nochmal einen Wettkampf mit einem Durchgang", schilderte etwa Ex-Weltrekordhalterin Ema Klinec im Gespräch mit sport.de.
Wenn es also gleich mehrere denkbare Szenarien gab, warum kam kein Ersatz-Wettkampf zustande?
Die Renndirektorin des Ski-Weltverbandes FIS, Chika Yoshida, erklärte im ORF: "Wir haben mehrere Varianten versucht, aber der nationale Skiverband und das Organisationskomitee müssen diesen Wettkampf und das Preisgeld für die Teilnehmerinnen auch finanzieren können. Dazu hätten wir Sendezeiten im Fernsehen bekommen müssen und das hat leider nicht geklappt."
Für Goldberger hörte sich das Geld-Argument "sehr nach einer Ausrede an. Die Frauen würden sogar freiwillig auf Preisgeld verzichten, um einen zusätzlichen Wettkampf zu bekommen. Und sie brauchen jeden Wettkampf. Diese Ausfälle haben sie nicht verdient."
Männer kriegen Ersatz-Wettkampf, Frauen gehen leer aus
Schlussendlich scheiterte es ohnehin nicht an den TV-Zeiten an sich, denn um 9 Uhr hätte es ein einstündiges Sendefenster gegeben, in dem sogar zwei Durchgänge hätten stattfinden können. Zusammen mit dem bereits geplanten Wettkampf mit zwei Durchgängen hätten auch die Frauen völlig regelkonform vier Durchgänge absolvieren können – so wie es die Männer schlussendlich auch taten.
Dieses Szenario wurde aber nach sport.de-Informationen gar nicht in Erwägung gezogen, was den Ausfall sogar begünstigte. Denn für ein Fliegen mit nur einem Durchgang wäre die TV-Prämie, die der Vermarkter ausschüttet, nicht fällig gewesen, da die Sendezeit aufgrund des kleinen Starterfelds von 17 Athletinnen nur 25 und nicht mindestens 45 Minuten betragen hätte, die für die Auszahlung nötig sind.
Diese Hürde gab es für den Männer-Wettkampf nicht, da dieser mit 40 Athleten ausgetragen wurde und selbst bei schnellstmöglichem Ablauf die 45-Minuten-Marke geknackt worden wäre.
Während der für die Männer zuständige Renndirektor Sandro Pertile vergleichsweise schnell und problemlos für Ersatz zu sorgen wusste, konnte Yoshida bereits zum dritten Mal in dieser Saison keinen Ersatz präsentieren. Somit fiel die Hälfte der geplanten Skiflug-Wettbewerbe, nämlich einer von zweien, aus.
Die Saisonbilanz bei den Männern liest sich dagegen wie folgt: Das einzige abgesagte Springen vom 17. Januar im polnischen Szczyrk wurde schließlich am 1. März in Lahti (Finnland) nachgeholt. Um für dieses Platz zu schaffen, wurde sogar das Frauen-Einzel, das eigentlich an diesem Tag um 17 Uhr hätte stattfinden sollen, auf 9 Uhr vorverlegt.
Dass Weltrekordhalterin Silje Opseth am Sonntagmittag bei jedem Interview in der Mixed-Zone mantraartig den Satz "wir werden mit Füßen getreten, haben keinen großen Wert. Es ist eindeutig, wo die Prioritäten liegen" wiederholte, war nach dieser Vorgeschichte nur allzu gut nachvollziehbar.
FIS-Renndirektorin gibt schwaches Bild ab
Auf die Nachfrage des ORF, ob der Eindruck täusche, dass die Männer priorisiert werden, gab Yoshida die wenig souveräne Antwort: "Ja…jein…nein." Die Begründung für ihre Ansicht, die sie folgen ließ, war bestenfalls nichtssagend: "Es gibt immer viele Sachen, die man entscheiden kann. Ich bin mir sicher, dass sich das Frauen-Skispringen entwickelt und auch die Zeit kommen wird, wo Ersatz-Wettkämpfe kommen."
Eine sinnbildliche Aussage, denn in der Öffentlichkeit ist die Japanerin im Vergleich zu Pertile nahezu unsichtbar. Selbst wenn der Italiener, wie bei der Vierschanzentournee, meinungsstarke Statements wie "ich glaube, der Damen-Skisprung muss sich noch ein bisschen entwickeln. Wir sehen von der Marketingseite: 1 ist der Wert der Damen und 10 ist der Wert der Herren" verbreitet, gibt es von ihr keine Widerworte.
Der Weltverband muss sich einmal mehr die Fragen gefallen lassen, ob das Frauen-Skispringen mehr geduldet als erwünscht ist, und, ob die dafür zuständige Renndirektorin, die auch innerhalb des Frauen-Trosses nicht erst seit diesem Wochenende kritisch gesehen und als wenig durchsetzungsstark gilt, die Richtige für diesen Posten ist.
Luis Holuch



