Nach dem wichtigen und vor allem überzeugenden Sieg gegen den FC St. Pauli (3:1) durfte der FC Schalke 04 am vergangenen Wochenende kurz durchatmen. Doch die Lage beim Fußball-Zweitligisten bleibt angespannt. Der Grund: Die Königsblauen müssen weiter um den Klassenerhalt bangen. Fan-Expertin Susanne Hein-Reipen glaubt gar, dass die S04-Anhänger derzeit nur mit der Faust in der Tasche supporten.
Vor dem nächsten wichtigen Heimspiel gegen den SC Paderborn am Samstag (13 Uhr im Live-Ticker) spricht die bekannte Schalke-Bloggerin und Fan-Insiderin Susanne Hein-Reipen im exklusiven sport.de-Interview über die aktuelle Lage beim Zweitligisten, der sich mit Blick auf die Stimmung im und rund um den Klub derzeit nur auf ganz dünnem Eis bewegt.
Frau Hein-Reipen, nach vielen schwachen Spielen und dem Tiefpunkt in Magdeburg gab es zuletzt einen erfreulichen 3:1-Erfolg im Heimspiel gegen den FC St. Pauli. Wie haben Sie die Partie im Stadion erlebt?
Susanne Hein-Reipen: Ich muss zugeben, dass ich in der Halbzeitpause wirklich das Bedürfnis hatte, mich zu kneifen. So unerwartet gut war das. Es gab ja auch vorher schon Siege und die ein oder andere gute Halbzeit. Aber so stark und konstant gegen den eigentlich souveränen Spitzenreiter aufzutreten, damit hätte ich im Leben nicht gerechnet.
Ein ganz anderer Auftritt als noch bei der 0:3-Niederlage beim FC Magdeburg ...
Ja, das Spiel in Magdeburg war wirklich übel, sowohl spielerisch als auch kämpferisch. Gegen St. Pauli hingegen war alles wie aus einem Guss.
Trainer Karel Geraerts hatte ja auch auf fünf Positionen umgestellt. Ich fand gut, dass es wieder die Viererkette gab, mit Ron Schallenberg als Matchwinner in der Mitte. Das war eine ziemlich gute Idee. Und auch Brandon Soppy hat gezeigt, dass wir im Winter keinen Invaliden geholt haben, sondern dass er einfach noch ein kleines bisschen brauchte, um fit zu werden, dann aber durchaus etwas kann. In Bestform wäre er wohl selbst als Leihe für uns nicht zu bezahlen gewesen.
Wie groß war denn die Sorge im Stadion, dass doch noch alles schiefgeht, als St. Pauli den zwischenzeitlichen 1:2-Anschlusstreffer in der 89. Minute erzielt hat?
Gar nicht so groß, dafür war das Gefühl vorher zu gut. Natürlich war es knapp und dann kam auch noch die Durchsage, dass sieben Minuten Nachspielzeit folgen. Da denkt man schon, dass man jetzt zittern muss, aber zwei Minuten später ist ja dann das 3:1 gefallen und dann war nur noch Party angesagt.
Ein lange nicht mehr gekanntes Gefühl für die Fans?
Es war auf jeden Fall die spielerisch beste Leistung der Saison, daher war es letztendlich auch das Heimspiel mit der besten Stimmung. Da standen auch schon vor dem Abpfiff immer wieder Zuschauer auf, auch auf der Gegengerade, das hatten wir in dieser Saison wirklich selten. "Steht auf, wenn ihr Schalker seid" und "Immer wieder S04" war das Motto der Stunde.
Zuvor hatte oft die Nordkurve nur allein den Support übernommen und auch dort merkte man, dass irgendwann die Lust und der Schwung nachließ. Aber so eine tolle Leistung wie gegen St. Pauli unterstützt man natürlich nur zu gerne.
Wie viel von der positiven Energie kann man jetzt ins nächste Spiel - erneut Zuhause - gegen den SC Paderborn mitnehmen?
Da bin ich jetzt mal gespannt. Paderborn ist ja auch kein so schlechter Gegner. Es wird spannend, ob die Spieler jetzt Selbstvertrauen getankt haben und vom Auftreten her ungefähr da anknüpfen, können, wo sie gegen St. Pauli aufgehört haben oder ob sie jetzt schon wieder denken, sie seien die Größten. Ich wünsche mir, dass sie hundertprozentigen Einsatz zeigen.
Ist man von Fan-Seite aus eigentlich schon mit Trainer Karel Geraerts warm geworden?
Bei Geraerts ist es so, dass die Meinungen gerade sehr weit auseinander gehen. Das erlebe ich sowohl in Gesprächen mit Schalkern als auch quer durch alle sozialen Medien. Es ist wirklich alles vertreten: Vom Lob für eine klare Spielidee und dass er sich dort nicht so schnell reinquatschen lässt, über das gute Verständnis mit Marc Wilmots, bis hin zu Kritik daran, dass er wenig oder nur schlechtes Deutsch spricht, sein Englisch holprig klingt und er zu wenig Emotionen am Spielfeld zeigt, keinen Plan hat und komische Auswechslungen macht.
Ich glaube aber, dass die Kritik am Trainer fast unabhängig von der Person bewertet werden muss, weil unsere Lage im Allgemeinen ja immer noch so unbefriedigend ist, vor allem gemessen an den Zielen, die wir vor der Saison formuliert hatten. Da sind wir meilenweit hinterher, so dass fast jeder Trainer, außer vielleicht ein Jürgen Klopp, im Moment skeptisch gesehen würde oder zumindest umstritten wäre.
"Beim FC Schalke 04 ist jedem die Lage bewusst"
War Geraerts denn nach den Spielen schon mal vor der Kurve?
So richtig noch nicht. Sein Vorgänger Thomas Reis war da etwas offensiver unterwegs, der war ja auch nach außen hin insgesamt emotionaler als Geraerts. Bis jetzt hält dieser sich ein bisschen zurück. Bei den wenigen Gelegenheiten, bei denen wir in dieser Saison etwas zu feiern hatten, war vor allem die Mannschaft in der Regel auch mit allen Ersatzspielern vor der Kurve. Dazu auch das ganze Funktionsteam, um Geraerts, Gerald Asamoah und die Co-Trainer, aber die haben dann meist ein deutliches Stückchen nach hinten versetzt gestanden und von dort die Atmosphäre aufgenommen und genossen. Aber an vorderster Front feiert im Moment keiner von denen mit.
Das wird vermutlich auch als angemessen bewertet in Fan-Kreisen?
Ja. Gegen St. Pauli war die Begeisterung allerdings so groß, da hätte man wohl auch alle anderen mitgeherzt. Insgesamt macht das Trainer-Team schon ganz gut so, bisher. Wenn die wirklich jedes Mal vor der Kurve auftauchen würden, wäre das too much.
Wie war denn die Fan-Reaktion zur Pleite in Magdeburg?
Am Anfang wurde noch kräftig supportet, auch die Magdeburger haben gute Stimmung gemacht. Nach dem 0:3 haben die Schalke-Ultras dann aber den Support eingestellt und komplett geschwiegen, auch die Fahnen wurden eingerollt.
Nach dem Spiel ist die Mannschaft dann tatsächlich vorsichtig in Richtung Gästeblock gekommen und sich kurz ein paar böse Worte plus "Wir wollen euch kämpfen sehen"-Gesänge angehört und sind dann aber beigedreht. Das Gleiche galt für das Funktionsteam. Zu Geraerts muss ich aber noch sagen, dass er ja schon mehrfach betonte, wie gut er den Frust der Fans verstehen kann, die viele Kilometer auf sich nehmen und dann oft so enttäuscht wurden.
Mario Basler hat in seinem Podcast vor Kurzem gesagt, er erwartet, dass die Schalke-Fans "das Stadion abreißen", wenn es so weitergeht?
Ja gut, das ist so ein ein typischer Basler-Spruch. Die Realität ist aber, dass alle Fans im Moment, das gilt auch für die Ultras - bei den wirklich teilweise sehr miesen Auftritten - alle noch die Faust in der Tasche ballen. Der Fokus gilt dem großen Ganzen, das gemeinsame Ziel ist der möglichst baldige Klassenerhalt.
Ich glaube, jedem ist die Lage bewusst, dass noch komplett unklar ist, was ein Abstieg finanziell bedeuten würde und ob es für Schalke überhaupt eine Lizenz für die 3. Liga geben würde. Deswegen machen alle im Moment noch eine Faust in der Tasche. Sollte das schiefgehen und tatsächlich am Ende der Abstieg stehen, glaube ich nicht, dass das Stadion abgerissen wird. Aber es ist natürlich leider zu befürchten, dass man dann wieder hässlichere Szenen sehen muss, die man auch nach dem Abstieg 2021 erleben musste.
Welches Saisonergebnis würde denn vorerst für Ruhe in der Fan-Szene sorgen?
Ich glaube tatsächlich, dass mittlerweile die deutliche Mehrheit der Fans erkannt hat, dass in dieser Saison absolut keine höher fliegenden Träume mehr möglich sind. Es gibt immer noch einige, die immer noch darauf beharren, dass ein Klassenerhalt nicht unser Anspruch sein könne. Nein, langfristig ist das hoffentlich auch sicher nicht so.
Aber im Moment glaube ich tatsächlich, dass die Mehrheit eingesehen hat, dass diese Saison nicht mehr als das drin ist und das verdammt wichtig wäre. Heißt: Der Klassenerhalt würde vorerst für Befriedung sorgen.
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Neben dem Kampf in der Liga bleibt Clemens Tönnies und die damit zusammenhängende "Opposition" das Dauerthema bei S04 ...
Meine Meinung dazu hat sich nicht geändert. Was aber zum Glück mittlerweile selbst einige Leute einsehen, die durchaus pro Tönnies sind, dass die Gruppe um ihn ja wirklich jeden kritischen Moment ausnutzt, um gegen die aktuellen Verantwortlichen zu agieren und damit die Unruhe noch verstärkt. Das tut man nicht, wenn man wirklich nur das Beste für den Verein will. In so einem Fall würde man ja eigentlich versuchen das im Hintergrund zu klären und nicht mit maximalem Krawall und mieser Außendarstellung in der Bild-Zeitung. Zudem hat Matthias Tillmann klar der Legende von den angeblich abgelehnten Hilfsangeboten von Tönnies widersprochen.
Zur Person: Susanne Hein-Reipen, geboren 1971, Schalke-Fan seit 1983, berichtet in ihrem Blog, auf ihrer Facebook-Seite "Susanne Blondundblau auf Schalke" sowie für das Portal "100ProzentMeinSchalke" von ihren Erfahrungen als Dauerkarteninhaberin und Vielfahrerin bei den Königsblauen. Sie gilt als intime Kennerin der Schalker Anhängerschaft. Zudem beschäftigt sich Hein-Reipen vereinsübergreifend mit Fußball- und Fankulturthemen.
Das Gespräch führte Chris Rohdenburg






























