Der Sieg der San Francisco 49ers gegen die Green Bay Packers in den Playoffs der NFL bescherte Head Coach Kyle Shanahan einen wichtigen Comeback-Erfolg. In engen Situationen hat der 44-Jährige ansonsten häufig den Kürzeren gezogen. Die Gründe dafür sind vielfältig.
Kyle Shanahan gehört zweifelsohne zu den begabtesten und einflussreichsten Trainern der NFL. Sein Coaching Tree schlägt immer mehr Verästelungen in der gesamten Liga. Rechnet man noch das jahrzehntelange Treiben seines Vaters Mike hinzu, der bis 2013 als Head Coach in der NFL aktiv war, so ist der Einfluss der Shanahan-Familie wohl größer als jener von vielen Franchise-Eigentümern. Doch so talentiert Kyle Shanahan auch sein mag, seit längerem hängt ihm der Ruf an, er würde in den wichtigen Momenten zaudern oder sogar versagen.
Vorm Divisional-Round-Spiel seiner San Francisco 49ers gegen die Green Bay Packers hatten es die Niners in sieben Jahren unter Head Coach Shanahan nicht geschafft, ein Spiel für sich zu entscheiden, wenn sie zu Beginn des vierten Viertels mit fünf oder mehr Punkten im Rückstand waren. Es setzte in solchen Situationen insgesamt 30 Niederlagen – bis zum Spiel im "Big Bellbottom" gegen die Packers und einem siegbringenden Drive vom ansonsten schwachen Quarterback Brock Purdy, den der nimmermüde Christian McCaffrey in die Endzone brachte.
Auch Shanahan war die Erleichterung anzumerken, denn der eigentlich so selbstbewusste 44-Jährige weiß natürlich um seine eigene Vergangenheit und die seines Teams. Vielleicht waren die Packers, die schon des Öfteren in den Playoffs an den Niners gescheitert sind, der genau richtige Gegner. Shanahans persönliches Trauma mit knappen Niederlagen, vor allem in der Postseason, begann schon in seiner Zeit als Offensive Coordinator. In Diensten der Atlanta Falcons ließ er Matt Ryan wie einen Weltklasse-Passgeber aussehen, versagte aber hintenraus in Super Bowl LI gegen die New England Patriots, die bekanntlich einen 25 Punkte Rückstand noch aufholten.
Nicht immer sind Playoff-Niederlagen den Trainern zuzuschreiben. Die Super-Bowl-Pleite der Niners gegen Kansas City im Februar 2020 etwa hing vornehmlich an einem starken 21-Punkte-Schlussspurt der Chiefs, währenddessen Nick Bosa zeitweilig verletzungsbedingt an der Seitenlinie stand. Auch im vergangenen Jahr war das Playoff-Aus in Teilen auf einige Verletzungen zurückzuführen. In dieser Saison gilt diese Begründung im Falle eines Ausscheidens gegen die Detroit Lions am Wochenende jedoch nicht. Denn die Niners feuern quasi auf allen Zylindern, haben in der Offensive eine Variabilität wie ein Schweizer Taschenmesser und sind defensiv spätestens seit dem Trade von Javon Hargrave hervorragend und nun mit Chase Young zudem sehr tief besetzt.
NFL: Gegnerische Trainer stellen sich auf das System Shanahan ein
Generell stellt sich trotzdem die Frage, weshalb Shanahan ein wenig die Playoff-Yips zu haben scheint. Da wäre zum einen die Art und Weise wie er ein Spiel managt. Er tendiert mittlerweile dazu, eher mal auf Nummer sicher zu spielen, gerade bei einem 4th Down den Punt oder das Field Goal zu probieren, statt wie andere Trainer aufs Ganze zu gehen. Man weiß nicht, was passiert wäre, hätte Purdy beim Spiel gegen die Packers im letzten Viertel ein 3rd-and-5 an der eigenen 47-Yard-Linie nicht mit einem hautengen Pass zu Brandon Aiyuk in ein First Down verwandelt. Vielleicht ist Shanahan sogar ein wenig gebrandmarkt durch die Niederlage im Super Bowl gegen die Patriots, als er im Nachgang für sein aggressives Play Calling kritisiert wurde.
Zugleich ist Shanahan aufgrund seiner Quarterbacks in den vergangenen Jahren doch etwas gehandicapt. Weder Purdy noch Jimmy Garoppolo haben die Power, um mit relativer Konstanz den Ball in die zweite Ebene der Defensive hineinzuspielen. Wenn Purdy mal nicht einen kurzen Pass auf seine Top-Receiver versucht, sondern zum Beispiel nach tiefen Dropbacks oder außerhalb der Nummern auf Receiver-Suche geht, halten viele Niners-Fans die Luft an. Grundsätzlich ist San Francisco seit langem und auch schon vor der Ankunft von Shanahan im Jahr 2017 ein merkwürdiger Standort, was die Quarterback-Position betrifft. Der letzte unbestrittene Elite-Quarterback war Steve Young in den Neunzigern – und davor regierte Joe Montana in der Bay Area.
Ein weiterer Punkt, der Shanahan das Leben um einiges erschwert, ist sein eigener Erfolg als Trainer und vor allem Trainerförderer. Mittlerweile sind seine "Schüler" über die gesamte Liga verteilt. Ein Offensive Coordinator aus dem Shanahan Tree gilt fast schon als eine Art Cheatcode, um die Performance des Quarterbacks zu steigern. Doch dadurch setzen sich natürlich Defensive Coordinator und Head Coaches mit dem System Shanahan auseinander. Besonders Mike Macdonald, der DC der Baltimore Ravens, gilt aktuell als Kryptonit für die Shanahan-Schüler und vielleicht auch für Shanahan selbst. Das durfte er erst vor wenigen Tagen wieder unter Beweis stellen, als er das Duell mit Bobby Slowik, dem Offensive Coordinator der Houston Texans und ehemaligem Offensive Passing Game Coordinator von Shanahan, für sich entschied.
Der Shanahan-Coaching-Tree
In den Playoffs hat es auch der 44-jährige Head Coach der Niners vornehmlich mit der Crème de la Crème der Trainergilde zu tun, die anders als vielleicht der Rest in der NFL einige Mittel gegen Shanahan finden könnten. Seine ständige Präsenz in den Playoffs und nicht zuletzt auch sein Einfluss in der Liga haben ihm eine Zielscheibe auf den Rücken gezaubert. Doch für das Gehirn der Niners gelten Ausreden nicht, weder im anstehenden NFC Championship Game gegen die Detroit Lions (Nacht auf Montag, 0:30 Uhr live bei RTL), noch in einem möglichen Super Bowl gegen Baltimore oder Kansas City.
Constantin Eckner




































