Neben dem üblichen Favoriten-Ranking und dem Blick auf die Chancen der deutschen Teilnehmer gibt es vor dem Start der Darts-WM 2024 am kommenden Freitag auch ein paar Namen, die unbedingt gesondert betrachtet werden müssen. Mit dabei: "Bully Boy" Michael Smith, der als Erster der Weltrangliste eigentlich Top-Kandidat auf den WM-Titel sein müsste, zuletzt aber völlig von der Rolle war.
sport.de-Experte Florian Regelmann hat in Zusammenarbeit mit DAZN-Darts-Kommentator Adrian Geiler auf die Sorgenkinder und möglichen Shootingstars der Darts-WM geblickt:
- Michael Smith (PDC Order of Merit: 1)
Wer die Rankings vor dem Start aufmerksam studiert hat, wird es gemerkt haben: Michael Smith fehlt in den meisten. Der amtierende Weltmeister, der immer noch die Nummer eins der Welt ist, zählt vor der WM nicht zum engsten Favoritenkreis. Und ehrlich gesagt war der "Bully Boy" im Ranking nicht mal ein Härtefall. Für Nathan Aspinall hätte es gute Argumente gegeben, vielleicht auch für Damon Heta, aber nicht für Smith. Schon gar nicht nach dem letzten verheerenden Eindruck, den der 33-Jährige bei den Players Championship Finals abgab.
Smith lässt einen vor der WM ratlos zurück. Er hat insgesamt kein miserables Jahr hinter sich, er hat knapp 66 Prozent seiner Matches gewonnen, sein Jahresaverage von knapp 96 Punkten liegt immerhin in den Top 15, aber Smith war einfach viel zu oft viel zu weit von dem "Bully Boy" entfernt, der die WM gewann und der in absoluter Topform vielleicht die besten und spektakulärsten Darts von allen spielt.
Woran liegt’s? Gesundheitliche Probleme und generell die hohen Belastungen, die nach dem WM-Triumph auf ihn einprasselten, mögen sicherlich Gründe sein, aber der Elefant im Raum ist natürlich der Wechsel der Darts zu seinem neuen Ausrüster. Smith scheint sich einfach nicht so richtig wohlzufühlen. Und nachdem er jahrelang den Druck hatte, endlich ein Major zu gewinnen, hat sich der Druck jetzt verlagert und er möchte vielleicht schon zu sehr jedem beweisen, dass er seinem Status als Nummer eins auch gerecht werden kann.
Hoffnung, dass Smith doch noch rechtzeitig zur WM seine Form findet, ist da. Aber sollte er schon sein Auftaktmatch verlieren (Doets oder Buntz sind tricky), sollte das auch niemanden so richtig schocken.
Adrian Geiler: "Er hat ja schon vor zwei Jahren 'Shot Darts' die Zusage zu seinem Wechsel gegeben. Dass er dann in einem der letzten Events mit seinen alten Darts seinen größten Erfolg feiert, ist ja schon witzig. Er sagt zwar immer, dass es nicht an den neuen Darts liegt, aber es gibt auch genügend Experten, die das anders sehen. Und ich muss auch sagen: Mein Eindruck ist, dass die Pfeile anders stecken, dass er auch mehr Bouncer hat. Auf der anderen Seite trainiert er seit einiger Zeit intensiv mit Nathan Aspinall und ich bin mir recht sicher, dass diese Arbeit auch Früchte tragen wird, hoffentlich schon bei der WM."
- Josh Rock (PDC Order of Merit: 23), Gian van Veen (PDC Order of Merit: 45), Luke Littler (PDC Order of Merit: 164)
Die Youngster kommen! Josh Rock, 22 Jahre. Gian van Veen, 21 Jahre. Luke Littler, gerade mal 16 Jahre! Diese drei Jungs werden der Darts-Szene in der Zukunft ihren Stempel aufdrücken, sie könnten aber auch jetzt schon bei der WM für Highlights sorgen.
Rock ist in der Entwicklung naturgemäß am weitesten, der Waliser ist in den Top 25 der Welt angekommen, er ist garantiert ein kommender Premier-League-Spieler und gehört auch jetzt bei der WM definitiv zu den Spielern, die ganz weit kommen können. Ein mögliches Rock-van-Gerwen-Viertelfinal-Matchup wäre ein Traum!
Veen ist der Newcomer des Jahres in der PDC und hat in seiner Debütsaison bei der EM sofort ein Major-Halbfinale erreicht, rein von der Leistung gehört er längst in die Top 32. Der Niederländer wird auch nicht mehr lange brauchen, ehe er sich ganz schnell Richtung Top 16 nach vorne arbeitet.
Das Junioren-WM-Finale verlor van Veen allerdings - und zwar gegen Luke Littler, der sich damit zum jüngsten World-Youth-Champion der Geschichte krönte. "The Nuke" ist der Inbegriff der neuen Darts-Generation - unglaubliches Power Scoring, lange Spitzen, Emotionen. Alleine der Gedanke, gegen das englische Wunderkind spielen zu müssen, sorgte bei so manchem Star vor der Auslosung ganz sicher für ein gewisses Zittern. Eines ist klar: Die Littler-Matches sollte man sich bei der WM ganz dick im Kalender markieren. Und es könnten durchaus einige werden…
Adrian Geiler: "Rock hat in diesem Jahr einen ganz wichtigen Entwicklungsschritt gemacht, weil er erkennen musste, dass er etwas dafür tun muss, und zwar sehr viel, wenn er dahin will, wo er sich selbst sieht. Das Grand-Slam-Viertelfinale gegen Wade muss er einfach gewinnen, aber insgesamt ist er dennoch auf einem super Weg. Der Hype ist geringer als im Vorjahr, aber er spielt dafür besser. Auch bei Van Veen imponiert es mir, dass er zwar steil nach oben geschossen ist, aber trotzdem schon Hürden überwinden musste, vor allem seinen Kampf gegen Dartitis. Van Veen hat ja sogar auf der Development und Challenge Tour Titel gewonnen - trotz Dartitis. In gewisser Weise hat es seiner Karriere bestimmt sogar geholfen. Und Luke Littler? Was soll ich zu diesem Typen sagen? Es kam noch nie jemand mit so viel Vorschusslorbeeren auf die Tour, aber es gab auch noch nie so einen 16-Jährigen. Der hat so eine positive Arroganz, so eine Präsenz auf der Bühne, der heizt das Publikum noch an, bevor er sich den Big Fish holt und den Pfeil ins Bullseye knallt. Littler ist einfach Spektakel pur."
- Dirk van Duijvenbode (PDC Order of Merit: 12)
Dirk van Duijvenbode stand ganz dicht vor Major- und European-Tour-Titeln, einzig die Nerven spielten ihm immer wieder einen Streich, denn sein Niveau war mehr als gut genug. Er war auf dem Weg in die Premier League. Er war vom Scoring in den Top 5 der Welt, vielleicht sogar in den Top 3. Kaum einer warf so viele 180er.
Bis im April ein verhängnisvolles European-Tour-Event in seiner niederländischen Heimat stattfand und van Duijvenbode sich bei seinem Walk-on das Knie ruinierte. Die Schmerzen waren so groß, dass er sich danach übergeben musste, aber er versuchte trotzdem, irgendwie weiterzumachen. Mit schlimmen Folgen. Denn seitdem ist der 31-Jährige nicht mehr er selbst, er hat sich zur tragischen Figur des Jahres entwickelt.
Das rechte Knie betroffen war, musste er seinen Wurfstil verändern. Irgendwie bekam er es hin, mit Timing statt Scoring wieder ein paar Erfolge zu feiern, doch dann machte auch die Schulter, die ihm schon länger Probleme bereitete, endgültig schlapp. Die Folge: Jetzt ging eigentlich gar nichts mehr beim “Titan”, es war schwer anzuschauen, wie er Würfe teilweise so verriss, dass sie statt in die 20 eher in die 12 flogen. Er konnte einem nur noch leidtun. Seit Oktober spielt van Duijvenbode einen 83er-Average, damit rangiert er knapp in den Top 300.
Adrian Geiler: "Wenn Dirk van Duijvenbode eine Sache ungeschehen machen könnte, wäre es der Walk-on in Leeuwarden. Wenn er doch da nicht so herumgesprungen wäre... Es ist wirklich tragisch. Die Ärzte sagen wohl, dass er deutlich vor dem Zeitplan liegt. Ich hoffe und wünsche ihm sehr, dass das stimmt und er so bald wie möglich wieder der Dirk van Duijvenbode wird, den wir kennen."
- Rusty-Jake Rodriguez (PDC Order of Merit: 89)
Der einzige Österreicher im Feld heißt dieses Mal Rusty-Jake Rodriguez. Der 22-Jährige qualifizierte sich auf den letzten Metern für die WM, bezwang auf dem Weg dahin beim letzten Quali-Turnier unter anderem seinen Landsmann Mensur Suljovic und spielte im entscheidenden Match einen 107er-Average. Respekt!
In Runde eins bekommt es Rodriguez mit Sherrock-Freund Cameron Menzies zu tun, danach würde der an 11 gesetzte Dave Chisnall warten. Das Problem: Nicht mal ein überraschender Einzug in Runde drei könnte den Verlust der Tourkarte verhindern. Dafür müsste Rodriguez schon ins Viertelfinale kommen - was leider ausgeschlossen erscheint. Dennoch ist zu hoffen, dass ihm die WM für das neue Jahr einen Schub gibt.
Adrian Geiler: "Es war kein einfaches Jahr für Darts-Österreich. Mensur Suljovic ist einfach zu spät in Form gekommen, um noch die Quali zu packen, er hat zuletzt aber wieder gute Matches gespielt. Bei Rowby-John Rodriguez darf man nicht vergessen, wie groß die familiären Sorgen waren, seine Tochter ist mit einem Herzfehler zur Welt gekommen und musste im vergangenen Jahr notoperiert werden. Das hat ihn verständlicherweise sehr belastet, sodass er lange nicht mehr zu seinem Spiel gefunden hat. Dazu kam auch bei ihm der Wechsel der Darts. Ich freue mich, dass es wenigstens Rusty-Jake geschafft hat. Ich mag sein Spiel und wir haben auch beim Quali-Turnier gesehen, wie hoch sein Scoring-Potenzial ist. Rusty-Jake kann von seinem Talent her auch jeden schlagen."