Fünf Podestplätze in den ersten vier Wettkämpfen, dazu eine enorme mannschaftliche Geschlossenheit: Die deutschen Skispringer sind stark wie lange nicht in die Saison gestartet. Bei sport.de nennt Skisprung-Legende Martin Schmitt Gründe für das Hoch der DSV-Adler - und hofft schon auf ein Ende der deutschen Flaute bei der Vierschanzentournee.
Schmitt sieht "zwei Faktoren" für den Höhenflug der deutschen Skispringer. "Zum einen hat man die vergangene Saison sehr gut analysiert, wo die Defizite waren, wo es Verbesserungspotenzial gibt, wo man sich technisch anpassen muss", lobt er die Arbeit der Mannschaft um Bundestrainer Stefan Horngacher.
Zum anderen habe es Änderungen im Reglement gegeben, "auf die man sich neu einstellen musste, für die man ein neues Setup finden musste", erläutert der zweimalige Gesamtweltcup-Sieger: "Das hat das deutsche Team sehr, sehr gut genutzt und umgesetzt. Sie haben individuell eine sehr gute Lösung gefunden für das neue Reglement, dass die technische Basis und der technische Ablauf des Sprunges funktioniert und so ausgeführt werden kann, dass es letztlich auch auf höchstem Niveau für einen weiten Sprung reicht."
Der Weltverband FIS hatte vor Saisonbeginn die für die Größe des Sprunganzugs ausschlaggebende Körpermessung geändert. "Da gab es in den letzten Jahren immer wieder Diskussionen. Auch schon um die Ausgangsmessung", sagt Schmitt zu den Hintergründen.
"Zu dieser Saison hat man das vereinfacht. Man nutzt jetzt moderne Hilfsmittel, hat einen 3D-Scanner. Der Körper wird gescannt wie er eben ist, das ist jetzt das Ausgangsmaß. Das hatte zur Folge, dass sich das ein oder andere Maß verändert hat." Manch Springer profitiere davon, "andere verlieren eben".
Skispringen: DSV-Adler profitieren von ihrer "Grundphilosophie"
Den DSV-Adlern komme das "faire Messverfahren" zugute, außerdem habe es das deutsche Team bei den Anzügen in den letzten Jahren "nicht auf die Spitze getrieben", so Schmitt. Andere Nationen, vor allem die Norweger, hätten dagegen ein äußerst aggressives "Setup am Limit" gewählt und jetzt Probleme, sich an die neuen Regeln anzupassen.
Eine weitere, auf den ersten Blick kleine Regeländerung "im Bindungsbereich" mache sich ebenfalls bemerkbar, erläutert Schmitt. "Man steht mit der Ferse leicht erhöht. Und die Schuhhöhe wurde limitiert, was natürlich eine Auswirkung auf die Köperschwerpunkts-Lage in Richtung Absprungbewegung hat. Damit kommt das deutsche Team sehr gut zurecht. Auch in dem Bereich war man zuvor nicht am absoluten Limit des Reglements, hat daher etwas Spielraum und musste nicht so hart eingreifen."
Unter den neuen Regeln ist laut Schmitt für die Deutschen wie auch die Österreicher Trumpf, "dass man von der Grundphilosophie sehr sauber abspringt. Man legt ganz großen Wert auf eine technisch sehr präzise Absprungbewegung, damit man in der Übergangsphase den richtigen Impuls erzeugt, dass man eine schnelle Skiaufnahme hat – nur so kann man aggressiv sein. Da profitiert man von einer guten technischen Basis", erklärt der frühere Weltmeister im Interview mit sport.de.
Die deutschen Springer hätten sich über den Sommer "technisch verbessert", was schon direkt nach der Schanzentisch-Kante erkennbar sei. "Sie gestalten die Übergangsphase in den Flug dieses Jahr wesentlich dynamischer. Die Jungs sind erkennbar schneller in der Flugposition, können also mehr Geschwindigkeit in den Flug mitnehmen", so Schmitt. Gerade hier habe sich das deutsche Team hervorragend auf das neue Reglement eingestellt, "das genau diese Phase eigentlich erschwert". Es sei gelungen, "eine Lösung für jeden Einzelnen" zu finden.
Schmitt: Mit Wellinger und Geiger zwei Tournee-Eisen
Imponierend findet Schmitt die Leistung von Karl Geiger, der zuletzt in Lillehammer schon wieder am Stockerl schnupperte. "Er hatte im Sommer schon größere Schwierigkeiten und Probleme, sich auf die neuen Gegebenheiten einzustellen. Aber er ist einfach ein wahnsinnig akribischer Arbeiter. Er tüftelt sich rein und versucht, eine Lösung zu finden und wenn es Richtung Wettkampf geht, hat er seine Sachen dann meist beieinander", lobt Schmitt. Dabei hätten die Regeländerungen dem Bayer "nicht unbedingt in die Karten gespielt. Aber er hat für sich doch wieder eine Lösung gefunden und das ist wirklich beeindruckend. Ich denke, dass er im Laufe der Saison noch stärker wird."

"Total beeindruckend" findet Schmitt auch, wie sich Pius Paschke "im hohen Springeralter noch einmal entwickelt hat und jetzt auf seinem persönlichen Optimum springt". Der 33-Jährige war beim Saisonauftakt in Kuusamo zum ersten Mal überhaupt in seiner Karriere auf das Podest gesprungen.
Den stärksten "Gesamteindruck" im deutschen Team mache zurzeit aber Andreas Wellinger. Die Grundlage für seine Stärke habe der Olympiasieger von 2018 schon in der vergangenen Saison gelegt, so Schmitt. "Er ist letzten Winter schon gut gesprungen, hat Selbstvertrauen getankt und jetzt sicher auch von dem Schwung im ganzen deutschen Team profitiert", sagt Schmitt über den derzeitigen Zweiten im Weltcup. "Nach ein paar schwierigen Jahren braucht es etwas, bis das Selbstvertrauen wieder bei 100 Prozent ist."
Wellinger sei mittlerweile "vom Typ her auch einfach bereit, eine Wettkampfserie wie die Vierschanzentournee zu gewinnen", wirft der "Eurosport"-Experte einen Blick auf das alljährliche Saison-Highlight. Bis zum Start des Klassikers müsse Wellinger "seine Hausaufgaben" zwar machen. "Aber die Formkurve zeigt nach oben. Er kann bis zur Tournee schon der Mann sein, der Stefan Kraft herausfordert." Da auch Geiger im Kommen sei und "sich bis zum Höhepunkt nochmal richtig pushen kann", habe das deutsche Team diese Saison "vielleicht ja zwei Eisen im Feuer", hofft Schmitt.
Der 45-Jährige ist sicher, dass die "Gesamtstärke des Teams bei der Tournee sehr hilfreich sein wird, wenn es um den Einzelsieg geht."
Martin Armbruster


