In der Schach-Szene geht es seit knapp drei Wochen mal wieder drunter und drüber. Mit Vladimir Kramnik und Hikaru Nakamura sind zwei der ganz großen Namen des Sports öffentlich aneinander geraten. Darüber, was genau gesagt und gemeint wurde, gibt es unterschiedliche Auffassungen. Über den Gewinner der Auseinandersetzung nicht.
Vladimir Kramnik hat die Nase gestrichen voll. Von der "sehr dreckigen PR-Kampagne", die gegen ihn gefahren wird, wie der frühere Weltmeister am Wochenende in einem auf Youtube veröffentlichten Video erklärte. Die Anschuldigungen gegen seine Person seien "komplett falsch". Für jeden, der das Gegenteil behaupte, werde es "definitiv rechtliche Konsequenzen geben", kündigte der 48-jährige Russe an.
Was er damit meint: Jeder, der behauptet, Kramnik habe US-Großmeister Hikaru Nakamura des Betrugs beschuldigt, solle besser zurückrudern, etwaige Artikel oder Videos offline nehmen - oder müsse eben den Preis bezahlen.
Mit dieser Drohung versucht der russische Großmeister eine Lawine zu stoppen, die er selbst ausgelöst hat.
Kramnik postet "interessante" Nakamura-Statistiken
Los ging alles am 20. November mit einem Blog-Beitrag des Russen auf "chess.com". Dort postete er eine Statistik von einem Spieler, der im Rahmen einer Online-Session gegen spielstarke Gegner 45,5 von 46 möglichen Punkten holte. "Ich glaube, das findet jeder interessant", schrieb er und suggerierte, dort könnte womöglich nicht alles mit rechten Dingen zugegangen sein.
Schnell war klar, dass es sich um eine Session von Hikaru Nakamura handelte. Dieser macht den Vorfall umgehend publik und verriet, dass ihn Kramnik in der Vergangenheit hinter vorgehaltener Hand des Betrugs verdächtigte. Die möglichen Betrugsvorwürfe, die Kramnik so gar nicht getätigt haben will, aber von allen so aufgefasst wurden, lächelte der äußerst populäre US-Großmeister in vielen seiner Videos und Streams weg.
"Dass alle 'sauber' waren, ist am unwahrscheinlichsten"
Kramnik ließ sich jedoch nicht von seinem Weg abbringen. In einem weiteren Blog-Beitrag erklärte er, er habe mehrere Performances von Nakamura mit geringer Wahrscheinlichkeit entdeckt. "Einige hatten EXTREM niedrige mathematische Wahrscheinlichkeiten, laut Mathematikern von unter einem Prozent." Dies nicht zu untersuchen, sei "eine Beleidigung" für alle anderen Schachspieler. Zwar gebe es mehrere Erklärungen für Nakamuras Ergebnisse, "am unwahrscheinlichsten ist aber die, dass alle Beteiligten 'sauber' waren", schrieb Kramnik, der selbst in diesen Worten keinen Betrugsvorwurf erkennt.
Nakamura antwortete auf seine Weise. Am 24. November spielte er eine Schnellschach-Session, in der er 43 Partien in Folge gewann. Vor laufenden Kameras und Zehntausenden Zuschauern. Damit widerlegte er in Echtzeit Kramniks These von den nahezu unmöglichen Wahrscheinlichkeiten. Jeder mit einem Internet-Anschluss konnte live zusehen. Eine digitale Ohrfeige für den Russen.
Auch "chess.com" stellte eine Untersuchung an und teilte mit: "Was die Vorwürfe von Vladimir Kramnik gegen Hikaru Nakamura angeht, haben wir knapp 2000 Analysen von Hikarus Partien mit unserem FairPlay-System vorgenommen und keine Hinweise auf Betrug gefunden." Kramnik verlangte vom Unternehmen, den Satz innerhalb von 24 Stunden zu streichen, da er laut eigener Aussage nie Vorwürfe erhoben habe. Der Artikel ist bis heute unverändert online.
Wie Nakamuras Serien zustande kommen
Während der Zoff in den letzten Tagen weiter eskalierte und vor allem Kramnik darum bemüht ist, sich zu rechtfertigen, blendet der 48-Jährige die Gründe für Nakamuras zahlreiche Siegesserien weiter aus. Dabei ist die Erklärung denkbar einfach.
Nakamura hat sich mit dem Live-Streaming seiner Partien ein kleines Imperium aufgebaut. Um regelmäßig Content zu produzieren, sucht er sich bewusst schwächere Gegner aus, um seinen Zuschauern während der Partien deren Fehler aufzuzeigen. Keine Amateure, aber eben auch keine Spieler aus der absoluten Weltspitze. Das ist abwechslungsreich und unterhaltsamer als Partien zwischen zwei gleichstarken Großmeistern, die sich kaum Fehler leisten und soweit voraus denken, dass kein normaler Hobbyspieler folgen kann.
Dazu verfügt Nakamura ohnehin über herausragende Fähigkeiten im Schnellschach. Nicht wenige bezeichnen ihn in dieser Disziplin als besten Spieler der Welt. Das wiederum führt dazu, dass andere Spieler Fehler gegen ihn machen. Etwas, wovon unter anderem auch Magnus Carlsen in seiner Karriere immer wieder profitierte.
Vladimir Kramnik will oder kann das nicht erkennen. Für ihn sind und bleiben die Ergebnisse Nakamuras untersuchungswürdig. Eine oberflächliche Untersuchung wie die von "chess.com" angestellte reicht ihm nicht. Er will der Sache weiter auf der Grund gehen - auch, wenn da offensichtlich gar nichts ist. Gewinnen wird er diese Partie aber ganz sicher nicht mehr.


