Mit sechs Siegen sowie zwölf weiteren Podestplätzen im Weltcup, dem Gewinn der großen Kristallkugel und zwei WM-Silbermedaillen avancierte Eva Pinkelnig im letzten Winter zur besten Skispringerin der Welt. Was der Erfolg mit ihrem Leben gemacht hat, wie sie mit der neuen Rolle als Nummer 1 der Welt umgeht und welche Ziele sie auch mit 35 noch hat, verrät die Österreicherin nun in einem Podcast-Interview.
Die Biografie von Eva Pinkelnig ist zweifellos außergewöhnlich: Erst im Alter von 24 Jahren fing die quirlige Österreicherin mit dem Skispringen an, zehn Jahre später wurde sie Gesamtweltcupsiegerin. Doch im Leben der Vorarlbergerin ging es nicht immer nur steil bergauf: Drei schwere Stürze und teils lebensbedrohliche Verletzungen, wie ein Milzriss im Dezember 2020, pflasterten ihren Weg.
Doch seit dem Ende der letzten Saison am 24. März darf sich Pinkelnig mit Fug und Recht als Nummer 1 der Skisprung-Welt bezeichnen. Wenig überraschend war die Zeit dazwischen eine, "in der sehr vieles neu war. Für mich persönlich, aber eben auch von außen", wie sie nun in einem Interview mit dem Skisprung-Podcast "Flugshow" bekundete.
Neben einem neuen Trainerteam hatte es die 35-Jährige mit einer Flut an Medienterminen zu tun. "Das war das, was am meisten Zeit in Anspruch genommen hat. Da waren auch sehr viele coole Sachen dabei, wie beispielsweise 'Willkommen Österreich'. Der Aufwand mit den ganzen Reisen war sehr groß", berichtete sie.
Genau deshalb habe sie sich in Abstimmung mit dem neuen Cheftrainer Bernhard Metzler und dessen Assistenten Thomas Diethart, zu dem sie ein enges Vertrauensverhältnis pflegt, gegen eine Teilnahme an Springen der Sommer-Grand-Prix-Serie entschieden, um "die restliche Zeit zu nutzen, um in Ruhe und gut zu trainieren."
Skispringen: "Augenzwinkerndes Saisonziel" bei Eva Pinkelnig
Ihre Siegquote im Sommer liegt dennoch bei 100 Prozent, denn sie ging nur bei den österreichischen Großschanzen-Meisterschaften an den Start und gewann dort Gold.
Und das, obwohl der Trainingsfokus ein ganz anderer war: "Wir haben uns auf die Basics fokussiert, wie im Sommer zuvor auch und sind sehr viel auf der Normalschanze gesprungen. Ich bin nur mit sehr wenigen Großschanzen-Sprüngen zur Österreichischen Meisterschaft nach Bischofshofen gefahren und habe dort aber gesehen, dass das System auch dort funktioniert."
Genau dieses soll sie in der kommenden Saison noch über eine magische Marke hieven: "Mein augenzwinkerndes Saisonziel sind die 200 Meter, die ich in Vikersund noch fliegen will. Das wäre wirklich cool." Auf ein handfestes Saisonziel wolle sie sich, wie jede Saison seit ihrem Weltcup-Debüt im Dezember 2014, jedoch nicht festnageln lassen, die Herangehensweise "Sprung für Sprung" bleibt somit ihr Credo.
Eva Pinkelnig: Als erste Skispringerin Österreichs Sportlerin des Jahres
Als erste Skispringerin überhaupt wurde Eva Pinkelnig am 12. Oktober zu Österreichs Sportlerin des Jahres gewählt, was "mir immer noch Gänsehaut beschert." Einen Monat danach werde sie immer noch emotional, wenn sie an den Moment zurückdenke, als sie den Preis von Ski-Alpin-Ikone Marlies Raich entgegennahm: "Als ich mich umgedreht habe in Richtung Publikum, habe ich gesehen, dass der ganze Saal steht. Das war ein Moment von unglaublicher Wertschätzung."
Kurz nach der Gala in Wien flog Pinkelnig in den Urlaub nach Kalifornien. Dort habe sie ihre erfolgreichen wie emotionalen letzten zwölf Monate verarbeiten können, "indem ich bei den Sonnenuntergängen am Meer mit Tränen in den Augen gesessen habe, vor lauter Dankbarkeit, was ich alles erleben habe dürfen."
Als Star oder Teamleaderin sehe sie sich trotz ihrer Fabelsaison jedoch nicht. Innerhalb der starken österreichischen Frauen-Nationalmannschaft, die den Nationencup verteidigen will, herrsche eine flache Hierarchie. "Wir kommunizieren auf Augenhöhe und mit Wertschätzung und Respekt – egal, wie alt oder groß man ist oder was man sportlich erreicht hat. Wir wissen um die Stärken und Kompetenzen der Anderen und können uns immer Hilfe holen, wenn wir sie brauchen", so die amtierende Gesamtweltcupsiegerin.
Mit diesem Titelgewinn war sie schon vor der Weltmeisterschaft in Planica Ende Februar konfrontiert worden, was "ja ganz normal" und der Job der Reporter sei. Die Fragen nach dem möglichen Gewinn der großen Kristallkugel habe sie ebenfalls als "unglaubliche Wertschätzung" empfunden, weil "diese Experten mir, kleiner Eva mit allen Verletzungen und Narben, zutrauen, diese Kristallkugel oder 'diesen depperten Glasbecher', wie Marcel Hirscher ihn einmal genannt hat, zu holen. Ich habe die Kugel aber geistig immer zu denen gestellt, die sie schon gewonnen haben, wie eben Marcel Hirscher, Mikaela Shiffrin, Lindsey Vonn, Thomas Morgenstern und wie sie alle heißen." Erst nach dem letzten Springen in Lahti an eben diesem 24. März 2023 sei dann der Moment gekommen, wo sie den Gedanken und auch den Titelgewinn annahm und "sagte: 'Jetzt stehst du bei mir'."
Den einzig großen Negativ-Moment der vergangenen Saison erlebte Eva Pinkelnig bei der WM in Planica am Tag der Einzel-Entscheidung auf der Großschanze. Vor jenem Wettkampf habe sie mittags auf ihrem Hotelzimmer geweint. "Es gibt Dinge, die im Spitzensportler-Dasein vorgeschrieben sind und, die man nicht ändern kann. Und dann gibt es Dinge, die überhört werden. Wie etwa, wenn ich als Frau sage 'Ich kann nicht mehr' und in Planica waren es genau diese Momente", sagte sie über die Geschehnisse.
Nach acht Tagen vollem Programm habe ihr "einfach die Luft zum Atmen gefehlt, das Drumherum war zu viel. Da fallen dann auch Aussagen, die man im Nachhinein bereut. Wir haben es aber gut aufgearbeitet und das gilt es, in Trondheim in eineinhalb Jahren zu vermeiden."
An ihrer Zufriedenheit über ihre Ergebnisse mit Silber im Teamspringen, den Plätzen vier und sechs im Mixed-Team und auf der Großschanze, aber insbesondere dem Einzel-Silber auf der Normalschanze habe aber auch diese Episode nichts geändert, stellte sie in der "Flugshow" klar: "Mir war aber immer bewusst, dass das Einzel-Silber großartig war und das will ich auch nicht eintauschen. Nicht einmal gegen Gold, denn das hatte sich Katharina Schmid einfach verdient."
Ihre deutsche Konkurrentin belegte in der Weltcup-Gesamtwertung des letzten Winters Rang zwei. Ab dem 1. Dezember geht das deutsch-österreichische Duell im norwegischen Lillehammer auf den Lieblingsschanzen der beiden Freundinnen dann in eine neue Runde – und womöglich schreibt Pinkelnig das nächste Kapitel ihrer außergewöhnlichen Biografie.
Luis Holuch

