Der einstige Super-Bowl-Favorit Buffalo Bills hat sich durch die schockierende 22:24-Niederlage gegen die Denver Broncos in ein prekäre Situation für den Rest der Saison - und darüber hinaus - gebracht. Eine Bestandsaufnahme.
Die Story dieses denkwürdigen Monday Night Games in Woche 10 der NFL könnte die starke Leistung der Broncos-Defense sein. Oder die Tatsache, dass die Broncos das Spiel mit elendig langen Drives sehr lange kontrollierten. Doch wenn man ehrlich ist, haben die Bills dieses Spiel weggeworfen und ihre ohnehin schon ungünstige Lage noch weiter verkompliziert.
Die Bills leisteten sich vier Turnovers. Quarterback Josh Allen hatte drei davon mit zwei Interceptions und einem verlorenen Fumble. Damit führt er alle Quarterbacks nun mit 14 Turnovers an. Das sind mehr Turnovers als 19 Teams! Er führt die NFL allerdings auch mit 19 Touchdown-Pässen - und 26 Total Touchdowns (7 RUSH) an, was seine Leistung gegen Denver umso unverständlicher macht. Nachdem er in Woche 1 gegen die Jets vier Picks geworfen hatte, stabilisierte er sich eigentlich und hatte seither fünf Spiele, in denen er laut "PFF" keinen einzigen Pass hatte, der zu einem Turnover hätte führen müssen. Und nur einmal waren es seither mehr als ein solcher Pass (zwei in Woche 3 in Washington).
Allens Auftaktleistung war also eine Anomalie - bis Montag. Am Ende fiel Allen wieder in seine alten Tendenzen zurück und dazu gehörte einmal mehr, dass er diese Fehler ohne Not machte. Er stand nicht sonderlich häufig unter Druck. Die Broncos schafften gerade mal drei QB-Hits gegen Allen und keinen einzigen Sack. Das hielt Allen nicht davon ab, so ungenau wie eh und je zu werfen - seine CPOE lag bei -5,3 und ein paar sehr ungenaue Pässe haben dazu beigetragen.
Buffalo Bills komplett unter ihren Möglichkeiten
Es wäre aber zu einfach, Allen hier als einzigen Buhmann hinzustellen. Das gesamte Team spielte unter seinen Möglichkeiten. Running Back James Cook, der 120 Scrimmage-Yards mit nur 14 Touches produzierte, verlor gleich beim ersten Play des Spiels einen Fumble. Die Defense machte insgesamt einen ordentlichen Job - man hielt das Run Game der Broncos bei 3,2 Yards pro Carry und Russell Wilson bei 178 Net Passing Yards.
Und: Trotz all dieser Turnover erzielten die Broncos nur ganze sechs Punkte im Anschluss an diese. Geschadet haben die Ballverluste dennoch, denn laut "Next Gen Stats" verlor Buffalo dadurch 19,4 Expected Points, die locker zum Sieg geführt hätten.
Die Defense aber lieferte den Broncos dann spät die Chance auf das Field Goal zum Sieg mit einer offensichtlichen Pass Interference - Cornerback Taron Johnson rannte plump in Jerry Jeudy bei einem zu kurz geworfenen Deep Ball rein. Die Regel ist objektiv betrachtet unsinnig, weil es ein sehr großer Vorteil für die Defense auf ein Geschenk der Zebras ist, doch sie wird eben konstant so ausgelegt, dass hier eine Flagge folgt. Das wissen auch die Bills und sie machten dennoch diesen Fehler.
Der noch größere Fehler war dann natürlich, zwölf Mann auf dem Platz zu haben, als Kicker Will Lutz die Chance zum Sieg vergab. Ja, es war ein "Fire Drill", also eine Situation, in der die Broncos mit laufender Uhr bei nur noch knapp 20 Sekunden zu spielen das Field-Goal-Team aufs Feld schickte und dann eben etwas hastig kickte. Doch da die Broncos davor abknieten, um die Uhr absichtlich herunter zu spielen und den Bills keine Chance zur Antwort zu geben, war klar, dass das zum Chaos führen könnte. Es traf die Bills also nicht völlig überraschend. Und dann nicht vernünftig auszuwechseln ist in der NFL unverzeihlich.
Sie ließen damit die Tür offen für Denver und die Broncos gingen durch.
Buffalo Bills Stand jetzt nicht in den Playoffs
Nach Woche 10 stehen die Bills nun bei 5-5 und Rang 10 in der AFC, sie wären Stand jetzt nur Zuschauer in den Playoffs. Und das, obwohl sie eigentlich als einer der Topfavoriten in die Saison gestartet waren. Die Wahrheit ist jedoch, dass sie alle ihre fünf Niederlagen in der eigenen Conference kassiert haben. Und nicht für alle gibt es rationale Erklärungen.
Die Pleite in Woche 1 bei den Jets war nach der Verletzung von Aaron Rodgers eines dieser Freak-Spiele. In Woche 5 unterlag man gejetlaggt ausgeruhten Jaguars in London und in Woche 9 waren Joe Burrow und die Bengals einfach zu gut. Alles nicht so schlimm, wenn man die Umstände bedenkt. Doch welche Entschuldigung hat man für die Niederlage in Woche 7 bei den mittlerweile 2-8-Patriots? Und wie kam es zum erneuten Rückschlag gegen Denver?
Das Team hat im Laufe dieser Saison einige Verletzungen einstecken müssen, was sicher ein großer Faktor bei diesen Problemen ist. Unter anderem fehlen All-Pro-Cornerback Tre'Davious White (Achillessehne), Star-Linebacker Matt Milano (Beinfraktur), Defensive Tackle DaQuan Jones (Brustmuskel) und Tight End Dawson Knox (Handgelenk) - die ersten drei werden wohl auch in dieser Saison nicht zurückkommen. Das sind legitime Probleme, erklären aber die ganzen selbstverschuldeten Fehler nicht.
Innerbetriebliche Störungen jedoch könnten ein Erklärungsansatz ein. Kurz nach dieser Blamage im nationalen TV meldete sich der derzeit verletzte Cowboys-Star Trevon Diggs, Bruder von Bills-Receiver Stefon Diggs, zu Wort. Auf X schrieb er: "Mann, 14 muss da weg." 14 ist die Nummer von Stefon Diggs. Um jenen rankten sich bereits in den vergangenen Offseasons Gerüchte um Misstöne, er blieb - entschuldigt - von Teamaktivitäten fern und keiner weiß so recht, was genau da los ist. Doch dieser Post suggeriert zumindest, dass Trevon mehr weiß als die Öffentlichkeit und, dass Stefon ihm gegenüber wohl seinen Unmut bekundet hat.
Buffalo Bills: Das Restprogramm hat es in sich
Für mehr Ruhe wird dies nicht sorgen. Ebenso wenig das Restprogramm der Bills:
- Woche 11: New York Jets
- Woche 12: @ Philadelphia Eagles
- Woche 14: @ Kansas City Chiefs
- Woche 15: Dallas Cowboys
- Woche 16: @ Los Angeles Chargers
- Woche 17: New England Patriots
- Woche 18: @ Miami Dolphins
Ohne jetzt irgendwelche Prognosen abzugeben muss man konstatieren, dass die Bills bis auf ihre Bye Week in Woche 13 wirklich keine Verschnaufpause mehr haben. Laut dem Football Power Index von "ESPN" haben sie das schwerste Restprogramm der gesamten NFL. Stand jetzt liegen sie nur ein halbes Spiel hinter Rang 7 der AFC, dazu 1,5 Spiele hinter den Miami Dolphins, die man vor einigen Wochen 48:20 zerstört hatte, in der AFC East.
Es ist noch nichts verloren, doch die Bills laufen Gefahr, ein weiteres Jahr ihres Titelfensters zu verschwenden. Ein Fenster, das sich 2020 weit öffnete, nun aber langsam zu schließen droht. Die Leistungsträger werden nicht jünger, dafür teurer und wer weiß, was speziell aus Diggs oder auch Von Miller wird, der nach seiner Rückkehr von einem Kreuzbandriss immer noch seiner Form hinterläuft.
Allen sagte am Montagabend treffend: "Ich bin immer noch selbstsicher. Aber es ist kein Geheimnis, dass die Uhr tickt." Er meinte damit die Uhr dieser Saison, doch der Schritt weiter zum Bills-Titelfenster ist nicht weithergeholt. "Wir brauchen jetzt mehr Dringlichkeit hier", fügte Allen an und schlug dem Nagel auf den Kopf.
Marcus Blumberg