Der FC Schalke 04 befindet sich nach dem Abstieg aus der Bundesliga in der 2. Liga derzeit im freien Fall. Bei der jüngsten Niederlage in Karlsruhe setzten die S04-Fans zuletzt ein deutliches Zeichen in Richtung Mannschaft. Fan-Expertin Susanne Hein-Reipen glaubt, dass das nicht die einzige Reaktion der Anhänger auf die akute Schwächephase des Teams war.
Vor dem wichtigen Heimspiel gegen Hannover 96 am Samstag (13 Uhr im Live-Ticker) spricht die bekannte Schalke-Bloggerin und Fan-Insiderin Susanne Hein-Reipen im exklusiven sport.de-Interview über den ausbleibenden Support bei der Niederlage der Königsblauen beim Karlsruher SC (0:3) am letzten Spieltag, stellt die zuletzt geäußerte Ultra-Kritik von Vereinslegende Huub Stevens in ein anderes Licht, und äußert sich zudem zu den Rufen nach einem Comeback von Ex-Aufsichtsratsboss Clemens Tönnies.
Frau Hein-Reipen, Sie begleiten den FC Schalke 04 mittlerweile seit 40 Jahren, sind immer nah dran. Ist das derzeit die wohl schlimmste Saison?
Nein, das kann man so nicht sagen. Es gab Ende der 80er mindestens schon mal genauso schlimme Situationen. Aber meine Stimmung ist derzeit natürlich im Keller. Ich war Anfang der Saison bereits etwas skeptisch, als unsere Vereinsführung den direkten Aufstieg als Ziel ausgab und offensiv davon sprach, innerhalb von wenigen Jahren wieder zu den Top sechs der Bundesliga zu gehören. Da war mir schon klar, dass uns das auf die Füße fällt. Wenn man so große Sprüche raushaut, wenn man gerade abgestiegen ist, funktioniert das meist nicht. Wäre der Aufstieg so leicht planbar, dann wäre der HSV längst wieder erstklassig. Dass es bei Schalke so weit nach unten geht, hätte ich mir jedoch in meinen schlimmsten Träumen nicht ausgemalt.
Schon während der Pleite beim KSC (0:3) gab es deutliche Reaktionen der Schalke-Fans. Wie haben Sie das Ganze wahrgenommen?
Die Ultras, die auswärts maßgeblich den Ton angeben, hatten vor dem Spiel unter den Fans blau-weiße Fahnen verteilt, vor dem Gästeblock war ein Banner angebracht mit 'Nordkurve'-Schriftzug. Ein deutliches Statement also: Dicker, fetter Schalke-Block, es war eine richtig große Fraktion am Start, sicher mehr als 5000 Fans.
In der ersten halbe Stunde gab es noch sowohl optisch als auch akustisch geilen Support, so wie man Schalker kennt. Nach dem 0:2 des KSC (37. Minute/d.Red.), wo man ganz und gar nicht das Gefühl hatte, dass sich auch nur irgendeiner richtig wehrt oder gar vorangeht, wo alles blutleer auf dem Platz war, haben die Ultras zuerst ihre großen Schwenkfahnen eingerollt. Kurz vor der Pause wurde dann auch die kleinen Fähnchen zurückgefordert. Gegangen ist keiner, aber es war mucksmäuschenstill. Es hat auch kein anderer mehr im Block etwas gemacht, weil das Spiel einfach so super schlecht war. Man konnte jedes Wort verstehen, das beim KSC gesungen wurde.
Nach dem 0:3 (75.) wurden dann auch noch die Zaunfahnen abgehängt. Ob jemand rausgegangen ist, kann ich nicht sagen. Zum Schlusspfiff jedenfalls waren alle wieder da und haben der Mannschaft vor dem Block auch eine ordentliche Standpauke erteilt.
Was wurde dort genau am Zaun zwischen Fans und Team besprochen?
Man konnte leider nicht alles verstehen, weil die KSCler ziemlich laut gefeiert haben. Aber es hieß unter anderem, dass die Spieler verpflichtet seien, für den Verein alles zu geben, es hänge für die Fans und auch für die Mitarbeiter so viel dran. 'Reißt euch den Arsch auf, ihr müsst zumindest Einsatz zeigen', das war die Richtung.
Das klingt ja sogar noch vergleichsweise gesittet angesichts der Lage ...
Was ich verstehen konnte, war jedenfalls weder beleidigend noch drohend, sondern eher ein Appell an die Ehre.
"Bei Schalke 04 findet eine Schuld-Umkehr statt"
In einem jüngsten Interview mit "ran.de" sagte Huub Stevens, dass die Schalke-Ultras im Moment zu viel Macht hätten. Was meint er damit?
Das ist derzeit ein beliebtes Narrativ. Zur Erklärung: Unser Aufsichtsrat ist derzeit tendenziell eher Ultra-nah, das stimmt. Daraus macht die nach wie vor durchaus vorhandene Tönnies-Fraktion 'Unser Aufsichtsrat ist den Ultras hörig, Ultras sind doof, usw.', etwas salopp formuliert. Unser Aufsichtsratsvorsitzender Axel Hefer ist meines Wissens nach zwar durchaus Ultra-affin, aber nicht Mitglied bei denen.
Im Moment findet eher eine Schuld-Umkehr statt. Es gibt eine recht simpel gestrickte Fraktion, die sagt, unter Tönnies habe man immer europäisch gespielt und kaum war er weg, ging der Mist los. Was total verkennt, dass der ganze Abstieg, sowohl sportlich als auch finanziell, bereits unter Tönnies angefangen hat. Die neuen Verantwortlichen haben einen riesigen Scherbenhaufen geerbt. Die Mitgliederversammlung im Sommer hat ein deutliches Wahlergebnis für Axel Hefer und Co. ergeben, und jetzt, wo es schlecht läuft, wird draufgehauen. Befeuert durch Interviews von Tönnies-Getreuen.
Plump gefragt: Würde denn schlagartig alles besser werden, wenn Tönnies jetzt sofort sein Schalke-Comeback feiern würde?
Definitiv nein. Der konnte schon nicht mit Geld umgehen oder die Überwachung darüber vernünftig ausführen, als Schalke noch in einer deutlich besseren Einnahmesituation war, als wir noch Champions-League-Einnahmen oder den fetten Sponsorenvertrag mit Gazprom hatten. Selbst da haben wir schon über unsere Verhältnisse gelebt. Jetzt im Moment sind die Einnahmen so sehr weggebrochen, dass ich überzeugt bin, dass es ein absolutes Desaster werden würde.
Haben zu viele noch die rosarote Tönnies-Brille auf?
Man bekommt aus vielen Leuten nicht raus, dass Tönnies angeblich so viel Geld mitbringen würde. Stattdessen hat er Schalke eigentlich nie etwas geschenkt. Er hat zweimal einen Kredit gegeben, den er sich gut hat verzinsen lassen. Durchaus in einer Situation, wo die Geldgeber nicht mehr Schlange gestanden haben. Das ist schon richtig. Aber er hat Schalke nie etwas geschenkt. Die Legende, er hätte so viel reingebuttert, lässt sich nicht ausrotten. Er hat das sogar selbst mal auf einer Mitgliederversammlung so gesagt.
Zurück zu den Fans: Was erwarten Sie mit Blick auf das anstehende Heimspiel gegen Hannover 96 für Aktionen und Reaktionen?
Es wird mit Sicherheit etwas kommen. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass wir einen Trainingsbesuch der Ultras in dieser Woche erleben - mit entsprechender Ansage. Wobei ich glaube, dass die Stoßrichtung zu 95 Prozent die Mannschaft sein wird und nicht der neue Trainer oder der Aufsichtsrat. Auch im Stadion selbst erwarte ich eine deftige Reaktion der Ultras.
Wie groß ist Ihre Sorge vor dem Gang in die 3. Liga?
Ich glaube, dass wir die Kurve noch kriegen werden. Insofern mache ich mir noch keine Panik. Wenn das allerdings konkreter werden sollte, wenn wir im Laufe der Saison weiter dort unten stehen, dann wird meine Angst immer größer werden. Denn ich glaube nicht, dass wir die 3. Liga finanziell hinbekommen. Selbst eine mögliche Ausgliederung, die alle Jahre wieder durchs Dorf getrieben wird, und für frische Mittel sorgen würde, geht ja auch nicht von heute auf morgen. Man braucht ein gutes Modell und vernünftige Investoren. Aber es ist kein Allheilmittel.
Das Gespräch führte Chris Rohdenburg




























