Überraschendes Favoritensterben im Qualifying zum Grand Prix von Singapur: Nicht der überlegene WM-Leader Max Verstappen (der das "Nightrace" übrigens noch nie gewonnen hat), sondern Carlos Sainz sicherte sich die Poleposition für das Rennen am Sonntag. Der Ferrari-Pilot verwies in einem spannenden Fight George Russell (Mercedes) und Charles Leclerc (Ferrari) auf die Plätze.
Das Red-Bull-Team war in Q3 diesmal nicht dabei. Im ersten Qualifying, in dem zwei neue technische Richtlinien gelten, schieden sowohl Verstappen als auch Sergio Perez bereits in Q2 aus. Verstappen droht zudem noch eine nachträgliche Strafe.
Es ist das erste Mal seit dem Grand Prix von Russland 2018, dass kein Red Bull in Q3 dabei war. Damals hatten Verstappen und Daniel Ricciardo freiwillig auf eine Teilnahme an Q2 verzichtet, weil sie ohnehin mit Gridstrafen vorbelastet waren.
Der Kampf um die Pole war letztendlich eine Angelegenheit von vier Fahrern. Zwischen Sainz auf P1 und Lando Norris (McLaren) auf P4 lagen letztendlich nur 0,286 Sekunden. Fünfter wurde Lewis Hamilton (Mercedes), Sechster Kevin Magnussen (Haas). Die beiden hatten aber bereits mehr als eine halbe Sekunde Rückstand auf die Polezeit.
Fernando Alonso (Aston Martin), Esteban Ocon (Alpine), Nico Hülkenberg (Haas) und Liam Lawson (AlphaTauri) rundeten die Top 10 ab.
Wie kam es zum Verstappen-Aus in Q2?
Nach dem ersten Q2-Run sah es nach einem mittleren Erdbeben in der Formel 1 aus. Verstappen lag auf Platz 10, 0,564 Sekunden hinter der Bestzeit von Russell und 0,003 Sekunden vor Perez auf P11. Was Spekulationen anheizt, dass Red Bull eins jener Teams sein könnte, die von den neuen FIA-Richtlinien bezüglich Flexi-Aerodynamik und Unterboden besonders hart getroffen werden.
Für Verstappen war es schon bis dahin ein ereignisreiches Q2. Beim Rausfahren aus der Box wäre ihm beinahe Sainz reingefahren, der ebenfalls gerade aus der Box fuhr und fast mit dem Red Bull kollidiert wäre. "Danke, dass du geschrien hast, sonst hätte es gekracht", kommentierte Sainz am Boxenfunk in Richtung seines Renningenieurs.
Später stand Verstappen dann ausgerechnet Yuki Tsunoda (AlphaTauri) im Weg. Und der temperamentvolle Japaner dachte am Boxenfunk nicht dran, sich zurückzuhalten, um seinem Kollegen aus der Red-Bull-Familie womöglich eine Strafe zu ersparen, sondern beklagte sich lautstark: "Was zur Hölle macht der da, ehrlich?" Und wenig später: "Der betrügt."
Tsunoda fuhr danach zwar noch zwei persönliche Bestzeiten im ersten und zweiten Sektor, verpatzte aber den dritten und schied als 15. aus. Währenddessen war es ausgerechnet sein Teamkollege Lawson, der sich auf Platz 10 vorschob und damit Verstappen um 0,007 Sekunden aus den Top 10 verdrängte.
Verstappen hatte schon vor seiner letzten Runde kritisiert: "Ich weiß auch nicht. Das Auto beißt vorn einfach nicht. Es ist wirklich schlecht. Ich spüre es nicht." Und danach ließ er seinem Ärger freien Lauf: "Ich weiß nicht, ob ihr das gesehen habt. Aber das war schockierend. Eine absolut schockierende Erfahrung."
Der Niederländer steht damit auf Platz 11 der provisorischen Startaufstellung, vor Pierre Gasly (Alpine) und Perez. Alexander Albon (Williams) und Tsunoda schieden ebenfalls in Q2 aus. Zwischen Lawson auf P10 und Perez auf P13 lagen nur 0,144 Sekunden. Albon und Tsunoda konnten keine konkurrenzfähigen Zeiten setzen.
Was war der Grund für Strolls Crash in Q1?
Wie eng es in Q1 zuging, zeigte der Zwischenstand drei Minuten vor Ende des Segments. Nicht weniger als zehn Fahrer (!) lagen innerhalb von einer Sekunde, und die Top 15 hatten weniger als eine Sekunde Rückstand auf die zu dem Zeitpunkt von Sainz gehaltene Bestzeit. Und in der Gefahrenzone lagen Lance Stroll (Aston Martin), die beiden Williams und die beiden Alfa Romeos.
Stroll stand also vor seinem letzten Run gehörig unter Druck, und dem hielt er nicht stand. Nach den ersten beiden Sektoren hatte er drei Zehntelsekunden Rückstand auf Albon, der zu dem Zeitpunkt auf dem rettenden 15. Platz lag, und musste somit in der letzten Kurve alles riskieren, um überhaupt noch eine Chance auf Q2 zu haben.
Aber das ging schief: Stroll verlor seinen Aston Martin außer Kontrolle und baute vor den Augen der Teamchefs bei Start und Ziel einen heftigen Crash, der das vorzeitige Ende von Q1 bedeutete. Dass er sich auf seiner ersten Runde noch darüber beschwert hatte, angeblich von Logan Sargeant (Williams) aufgehalten worden zu sein, spielte jetzt keine Rolle mehr.
Dabei hatte Aston Martin alles versucht, Stroll irgendwie ins Q2 zu tragen. Als sich abzeichnete, dass die Zeit eng werden könnte, um die schnelle Runde noch zu beginnen, wurde Alonso sogar gebeten, mit Stroll Platz zu tauschen, worauf sich der auch ohne zu murren einließ. Während Stroll noch ausreichend Puffer hatte, fuhr Alonso zwei Sekunden vor Ende über die Linie.
Alonso war damit auch auf der Strecke hinter Stroll und konnte seine letzte Q3-Runde nicht zu Ende fahren, genau wie zehn weitere Fahrer, die noch nicht abgewunken waren. Darunter auch Valtteri Bottas (Alfa Romeo), Oscar Piastri (McLaren), Logan Sargeant (Williams) und Guanyu Zhou (Alfa Romeo), die letztendlich vor Stroll die Positionen 16 bis 19 belegten und ausschieden.
Bitter für die Betroffenen vor allem auch deshalb, weil die Strecke am Ende von Q1 deutlich mehr Grip aufbaute. Plötzlich lag Tsunoda auf Platz 1 im Q1-Klassement, Hülkenberg war Dritter, Lawson Vierter und Magnussen Fünfter. Die ganz großen Favoriten hatten aber Glück und kamen eine Runde weiter, weil ihre Zeit aus dem ersten Run ausreichte.
Übrigens: Stroll hatte kurz vor dem Abflug schon bemängelt, dass er mit dem Handling seines Aston Martin nicht zufrieden ist. "Das Heck rutscht ziemlich herum", funkte er während der Aufwärmrunde. Worauf sein Renningenieur wissen wollte: "Copy. Wo genau ist die Balance limitiert?" Was Stroll mit "wirklich mieser Grip" beantwortete.
Warum gab's nach dem Qualifying eine Untersuchung?
Am Ende der Session kam's wie so oft zum üblichen Spiel, dass vor der letzten Kurve gebummelt wurde, um zum Vordermann Abstand zu nehmen und eine freie Runde fahren zu können. Während der eine oder andere einfach überholte (etwa Stroll), stellten sich andere geduldig an - und standen damit jenen im Weg, die gerade auf einer schnellen Runde waren.
Die FIA-Kommissare erklärten während der langen Unterbrechung vor Beginn von Q2, dass wegen Behinderung zwischen den Kurven 16 und 19 "mehrere Autos" untersucht werden. Die Entscheidung darüber, ob Strafen ausgesprochen werden oder nicht, wurde aber auf nach dem Qualifying vertagt.
Möglich, dass dabei auch Verstappen ins Visier der Ermittler gerät. Als der Red-Bull-Pilot zum letzten Mal in Q1 auf die Strecke ging, stand er auffällig lang an der Boxenausfahrt. Russell regte sich darüber auf, Leclerc meinte "Das kann er nicht machen!" und Verstappens Renningenieur wollte wissen, ob alles okay sei. Erst dann fuhr Verstappen los - und trug somit zum Chaos am Ende der Aufwärmrunde bei, weil die Zeit knapp wurde.

