Noah Lyles gilt als Mann mit dem gewissen Extra. Doch kann der neue 100-m-Weltmeister die Lücke schließen, die Usain Bolt hinterlassen hat?
Noah Lyles lächelte sein breitestes Grinsen. "Irgendwann werden die Leute auf dieses Jahr zurückblicken", rief der neue schnellste Mann der Welt: "Und dann werden sie sagen: Das war der Start einer Dynastie."
Nach seinem Gold-Triumph über die 100 m peilt der US-Amerikaner in Budapest nun das Triple an, aber Lyles geht es um viel mehr als nur Medaillen. Der Kumpel und Trainingspartner von Gina Lückenkemper will ein Vermächtnis hinterlassen. Wie einst Usain Bolt.
Viele haben versucht Nachfolger der Legende aus Jamaika zu werden. Alle sind bisher gescheitert. Aber Lyles könnte die Lücke womöglich tatsächlich füllen, der 26-Jährige bringt alles mit. Charisma, Charme, die Lust zur Show, flotte Sprüche - und eine bewegende Geschichte.
"Es ist einfach, mich zu vermarkten. Denn ich gehe da raus, ich bin aufregend, ich bin fröhlich, ich gehe auf die Leute zu", sagte Lyles, der im Klassiker schlechthin in 9,83 Sekunden nicht zu halten war.
Der WM-Champion bringt das gewisse Extra mit, bei Meetings läuft er - wie Stars im Football oder Basketball - mit schrillen Outfits ein, der Sport ist für ihn eine Art Catwalk. Der angestaubten Leichtathletik tut so ein schriller Typ gut, er könnte die Sehnsucht nach einem Superstar stillen.
Leichtathletik: Lyles spricht über Depressionen
"Die Leichtathletik muss sich selbst besser vermarkten, die Geschichten müssen besser erzählt werden", sagte Lyles, der selber immer wieder neue Wege sucht. Bei Peacock läuft bereits eine Doku über den Mann aus Florida, Netflix will vor Olympia in Paris auch etwas mit den Sprintstars produzieren. Lyles malt gerne, er rappt. Und er scheut sich auch nicht, über Schwächen und Ängste zu sprechen.
In der Highschool wurde Lyles oft gehänselt, er hatte eine Lernstörung, die Eltern ließen sich früh scheiden, seine Mutter Keisha zog ihn und den ebenfalls sprintenden Bruder alleine groß, nicht immer war genug Essen und Geld da. "Einmal wurde uns der Strom abgestellt", sagte Lyles. Und er leidet an Depressionen. "Alles fühlt sich irgendwie sinnlos an", sagt er über die Phasen, wenn die Krankheit wieder zuschlägt.
Bisher sorgte Lyles vor allem über die 200 m für Aufsehen. Auf dieser Strecke wurde er bereits zwei Mal Weltmeister, holte Olympia-Bronze, hat mehr Rennen unter 20 Sekunden hingelegt als Bolt. Hier traut er sich auch zu, den Weltrekord von 19,19 Sekunden zu knacken. Aber die 100 m haben noch einmal eine ganz andere Strahlkraft. "Die 100 m? Das war ein langer Weg", sagte Lyles, er sei "durch Blut, Schweiß und Tränen" auf den Thron gekommen.
Und nun? Klar, das Triple soll her. "Ich bin hierher gekommen, um drei Goldmedaillen zu gewinnen", sagte Lyles. Über die 200 m am Freitag ist er der Favorit, zudem steht ein Tag später noch die 4x100-m-Staffel auf dem Programm. Bolt ist der bisher letzte Sprinter, dem das Triple gelang - 2015 in Peking. "Der Grund, warum ich das unbedingt machen will, ist, dass niemand anderes es mehr verdient als ich", sagte Lyles noch, am Ende der WM soll der "Champagner knallen".
