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Mega-Fight im großen Check

Der Box-Kampf des Jahrzehnts verspricht Spektakel

Errol Spence (l.) und Terence Crawford kämpfen um die Herrschaft im Weltergewicht - das Duell der Superstars ist der Boxkampf des Jahres
Errol Spence (l.) und Terence Crawford kämpfen um die Herrschaft im Weltergewicht - das Duell der Superstars ist der Boxkampf des Jahres
Foto: © IMAGO/Tom Hogan/www.hoganphotos.com
29. Juli 2023, 09:17
sport.de
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Endlich. Nach Jahren des Redens, Forderns und Verhandelns machen die US-Superstars Errol Spence jr. und Terence Crawford am 29. Juli in Las Vegas aus, wer über das Weltergewicht herrscht. Mehr noch: Der Sieger im Duell der ungeschlagenen Champions erhebt Anspruch auf den Pound-for-Pound-Thron des besten Boxers der Welt. Sport.de schickt Spence und Crawford vor ihrem Mega-Fight in den großen 12-Runden-Check.

43 Jahre nach Sugar Ray Leonards und Thomas Hearns' epischem "Showdown" und acht Jahre nach dem (sportlich enttäuschenden) "Kampf des Jahrhunderts" zwischen Floyd Mayweather und Manny Pacquiao wird das Weltergewicht an diesem Wochenende wieder zum Epizentrum des Boxens. Die Weltmeister Errol Spence jr. (WBA/WBC/IBF) und Terence Crawford (WBO) steigen in der T-Mobile Arena von Las Vegas zur faustisch ultimativen Krönungsmesse in den Ring. Für viele Experten und Fans ist es – mögliche Schwergewichts-Kracher hin oder her – der Kampf des Jahres, vielleicht sogar des Jahrzehnts.

Es ist lange her, dass sich zwei derart starke Weltmeister gegenüberstehen, die boxerisch voll auf der Höhe und nicht schon übern Berg sind. Sowohl Spence als auch Crawford versprechen einen "old school fight" in der Tradition der Box-Legenden Leonard, Hearns, Roberto Duran und Marvelous Marvin Hagler. "Das ist ein legendärer Kampf. Gürtel beiseite, nimm nur diese zwei Kämpfer. Es ist der größte Kampf im Boxen", sagte Spence im Rahmen der ersten Pressekonferenz. Der US-Sender Showtime sieht das ähnlich und hofft auf ein Pay-per-View-Spektakel. Wer das Duell in den Staaten am Bildschirm verfolgen will, muss fast 85 Dollar überweisen. Sicher ist jetzt schon: Für Spence und Crawford wird der Vegas-Fight der größte Zahltag ihrer ohnehin schon glanzvollen Karrieren.

Sportlich ist Spence vs. Crawford ein einzigartiges Duell zweier technisch brillanter Rechtsausleger, die zudem den nötigen Bumms für ein Ring-Drama mitbringen. Wer hat am 29. Juli die besseren Karten? sport.de geht mit den Erzrivalen schon einmal über die volle Distanz. Der Sieger einer jeden Runde bekommt - wie am Samstag in Las Vegas - 10, der Verlierer 9 Punkte. Sind keine Vorteile auszumachen, wird remis gewertet.

RUNDE 1: Physis

Beim ersten Staredown der Rivalen war Spences Vorteil in puncto Größe offensichtlich. Der 33-jährige Amerikaner überragte seinen Landsmann um ein gutes Stück, vielleicht sogar mehr als die offiziell angegeben vier Zentimeter. Spence ist zudem ein "natürliches" Weltergewicht (und liebäugelt schon mit einem Aufstieg ins Mittelgewicht), während Crawford seine ersten WM-Titel in Leicht- und Halbweltergewicht errang. Der WBO-Champion hat zwar die längeren Arme. Alles in allem stellt Spence aber das etwas stärkere physische Gesamtpaket.

10:9 SPENCE

RUNDE 2: Erfahrung

Beide Boxer haben eine klassische Amateur-Schule hinter sich, Crawford gab sein Profidebüt vier Jahre eher als Spence, hat demnach mehr Preiskämpfe auf dem Buckel. Ein wirklicher Vorteil in puncto Erfahrung lässt sich daraus allerdings nicht schließen. Gewiss: "Bud" hat eine beeindruckende Pound-for-Pound-Karriere hingelegt, WM-Gürtel in Leicht-, Halbwelter- und Weltergewicht gewonnen. Aber: Spence ist auch schon seit 2017 Weltergewichts-Weltmeister, gewann den IBF-Titel im fernen Sheffield gegen Kell Brook und hat im Limit bis 66,678 Kilogramm sogar die etwas stärkere Bilanz vorzuweisen als Crawford.

10:10 UNENTSCHIEDEN

RUNDE 3: Schlaghärte

Was die K.o.-Quote angeht, liegen die Welter-Könige eng beieinander. Crawford gilt als bester "Finisher" im Geschäft, Spence als Meister der Körpertreffer. Für Crawford mag sprechen, dass es ihm – anders als Spence – gelang, 2021 den eisenharter Shawn Porter vorzeitig zu besiegen. Porters Ecke warf dabei allerdings für viele überraschend das Handtuch. Der rechte Haken, mit dem Spence 2019 Porter zu Boden schickte, wirkte ungleich härter. Berüchtigt sind Spences wuchtige Haken zum Körper, mit denen er seine Gegner Schlag für Schlag einkürzt. Unterm Strich hat "The Truth" in der Kategorie Knockout-Power leichte Vorteile.

10:9 SPENCE

RUNDE 4: Deckung

Spence agiert hinter einer soliden Doppeldeckung, macht zudem meist im richtigen Moment den nötigen Schritt nach hinten, um nicht getroffen zu werden. Der offensive Stil des Texaners ist allerdings nicht ohne Risiken. Gerade bei seinen Aktionen zum Körper ist Spence offen für Konter, was ein meisterhafter Konterboxer wie Crawford bestrafen könnte. Gegen Porter und zuletzt Yordenis Ugas war Spence bisweilen relativ einfach zu treffen. Crawford lockt seine Gegner mit einer hängenden Schlaghand und verlässt sich auf sein überragendes Distanzgefühl. Der Mann aus Nebraska sieht die meisten Aktionen seiner Gegner voraus, verlässt die Gefahrenzone dank seiner starken Beinarbeit fast immer rechtzeitig.

10:9 CRAWFORD

RUNDE 5: Führhand

Der Schlüsselschlag im Boxen. Spence schlägt die etwas härtere, Crawford die etwas schnellere Führhand. Pluspunkt für Crawford: Als "Switcher" schlägt er sowohl eine vorzügliche klassisch-linke Führhand als auch den Southpaw-Jab. Spence darf in seinem "Game Plan" vor lauter Offensiv-Power die Führhand nicht schleifen lassen. Kommt sie konsequent, hat er in der Jab-Kategorie eigentlich keine Nachteile.

10:10 UNENTSCHIEDEN

RUNDE 6: Variabilität

Beide Champs feuern aus allen Rohren, haben das gesamte Faust-Repertoire auf dem Kasten. Was Crawford zu einem einzigartigen Boxer macht: Wie einst Marvelous Marvin Hagler wechselt "Bud" mühelos zwischen Rechts- und Normalauslage, kreiert so unerwartete Winkel für seine Angriffe. Crawford agiert in seiner angestammten Rechtsauslage wie auch als "orthodoxer" Fighter beeindruckend flüssig.

10:9 CRAWFORD

RUNDE 7: Beinarbeit

Spence geht im Ring nahezu immer die "richtigen" Wege, schneidet seinen Gegnern außerdem gekonnt den Ring ab. Ob ihm das gegen Mobilitätswunder Crawford auch gelingt, ist eine der großen Fragen. Der frühere Leicht- und Halbweltergewichts-Champion bewegt sich traumwandlerisch sicher durchs Seilquadrat und kann, wie schon erwähnt, in seinen Aktionen die Auslage wechseln. Wieder eine knappe 10:9 an "Bud".

10:9 CRAWFORD

RUNDE 8: Kondition

Spence und Crawford sind Muster- Profis, die für den Boxsport leben und dem Ziel, die unumstrittene Nummer 1 zu sein, alles unterordnen. Sie sind schon dutzende Male über die volle Distanz marschiert, ohne konditionell einzubrechen. Das dies einem der beiden am 29. Juli passiert, ist äußert unwahrscheinlich. Auch, weil die Weltmeister sehr ökonomisch boxen und ihre Schläge nicht wild verplempern.

10:10 UNENTSCHIEDEN


Mehr dazu: Das sind die besten Boxer der Welt


RUNDE 9: Geschwindigkeit

Wieder ein ganz enges Ding – mit leichten Vorteilen für den „natürlich“ etwas leichteren Crawford, der den Aufstieg vom Leicht- bis ins Weltergewicht geschafft hat, ohne an Speed einzubüßen. Aber: Auch Spence haut blitzschnell, ist außerdem flott "zu Fuß".

10:9 CRAWFORD

RUNDE 10: Psyche

So exzellent Spence und Crawford mit den Fäusten umgehen, so ausbaufähig sind ihre "Skills" in puncto Showmanship und Trash Talk. Okay, auf der ersten PK ließen beide ein paar verbale Salven los, wirklich vom Hocker rissen die aber keinen. Spence kündigte an, den „Willen“ seines Rivalen „zu brechen“. Crawford tönte, er werde "Big Fish Spence" an "alle verfüttern, die gerne Fisch essen". So weit, so gut – wirklich beeindrucken lassen sich die Weltklasse-Fighter vom Ballyhoo im Vorfeld nicht, dazu sind Spence und Crawford psychisch viel zu gefestigt. Beide haben im Leben schon ganz andere Sachen er- respektive überlebt: Crawford 2008 einen Kopfschuss, Spence 2019 einen schweren Autounfall.

10:10 UNENTSCHIEDEN

RUNDE 11: Nehmerfähigkeiten

Weder Spence noch Crawford waren im Ring nach Treffern der Gegner bisher in großer Not. Spence hat gegen Porter und Ugas bewiesen, dass er Volltreffer wegstecken kann, ihn diese vielmehr in seinem Offensivdrang nicht stoppen. Der WBA/WBC/IBF-Titelträger ist der bis dato härteste Puncher, mit dem Crawford den Ring teilt. Für Box-Ikone Roy Jones steht fest: Eine der entscheidenden Fragen wird sein, wie "Bud" die Power seines großen Rivalen verträgt.

10:9 SPENCE

RUNDE 12: Ring-Dominanz

Wer beherrscht die Ringmitte? Wer trifft, ohne getroffen zu werden? Wer gibt das Tempo vor und kontrolliert die Distanz. Wer hat, was die Amerikaner "Ring Generalship" nennen? Mit Blick auf die bisherigen Karrieren der Welter-Könige lässt sich konstatieren: eigentlich beide, Crawford aber noch in stärkerem Maße. Der Mann aus Nebraska ist mit einem einzigartigen Ring-IQ gesegnet, beherrscht nicht nur die Offensive, sondern auch den Rückwärtsgang. Vor allem Crawfords Konter sind brandgefährlich. Ob es Spence gelingt, Crawfords Gesamtpaket durch sein druckvolles Offensivboxen auseinanderzubauen, dem Alleskönner seinen Willen aufzuzwingen –, eine der Fragen vor dem Sommer-Showdown.

10:9 CRAWFORD

FAZIT

Drei Runden für Spence, fünf für Crawford, viermal Remis. Ins 10-Point-Must-System übersetzt, stünde auf dem Punktzettel ein knappes 117:115 für Crawford. Eine aussagekräftige Prognose stellt die sport.de-Scorecard aber nicht dar. Nur so viel: Spence gegen Crawford wird ein verdammt knapper Kampf zweier Ausnahmeboxer, in dem Kleinigkeiten entscheiden – oder gewisse Vorlieben der Punktrichter. "Styles make fights", die alte Box-Weisheit wird fast schon inflationär zitiert. Spannend dürften vor allem die ersten Runden werden, wenn Crawford für gewöhnlich erst einmal Stärken und Schwächen des Gegners erfasst und in sein System lädt. Gelingt es Spence, den Alleskönner mit einem Vollgas-Auftakt früh zu beeindrucken, könnte er einige wichtige Runden auf den Punktzetteln für sich entscheiden. Genug der Worte.

Martin Armbruster

Der Text erschien in leicht abgewandelter Form zuerst in der Juli/August-Ausgabe des Fachmagazins "BOXSPORT".

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