Mit Denise Herrmann-Wick hat die erfolgreichste deutsche Biathletin der letzten Jahre ihre Karriere beendet, bei den Herren biegt der einzige Sieganwärter Benjamin Doll im kommenden Winter auf die Zielgerade seiner Laufbahn ein und der langjährigen Hoffnungsträgerin Franziska Preuß steckt eine Seuchensaison in den Knochen: Die Zukunft des deutschen Biathlons gestaltete sich schon rosiger. Vor allem bei den Frauen gibt es aber durchaus einige Hoffnungsschimmer.
"Nach 16 Jahren Skilanglauf und sieben Jahren Biathlon ist es an der Zeit, ein neues Kapitel aufzuschlagen. Ich freue mich auf die Abenteuer, die das Leben jetzt für mich bereit hält": Mit diesen Worten verkündete Denise Herrmann-Wick Mitte März ihren Rücktritt vom Leistungssport. Ein Statement, das für den deutschen Biathlon-Sport eine Zäsur darstellt.
Erstmals seit über 30 Jahren fehlt im Team der DSV-Frauen eine echte Sieganwärterin. Selbst die Aussichten auf regelmäßige Platzierungen auf dem Podium dürfte selten schlechter gewesen sein.
"Jetzt ist Denise, die als Frontfrau auch aufgrund ihrer Leistungen alles abgefangen hat, aber erstmal weg. Das Team muss sich im Hinblick auf die kommende Saison somit komplett neu sortieren", betont auch Olympiasieger Michael Rösch gegenüber "Eurosport" den radikalen Einschnitt im deutschen Team. Dennoch sei er mit Blick auf die Zukunft "grundsätzlich optimistisch".
Dass ein gewisser Optimismus angebracht ist, untermauern die Ergebnisse, die die deutschen Skijäger*innen im März 2023 bei der Nachwuchs- und Junioren-WM in Kasachstan erzielten: In 18 Rennen holten deutsche Athlet*innen neun Gold- und sechs Silbermedaillen. Eine Ausbeute, die sogar des Nachwuchses der im Weltcup überragenden Norweger*innen in den Schatten stellt (5 Gold, 3 Silber, 9 Bronze).
Vor allem Selina Grotian, die vier Titel gewann und sich mit gerade einmal 18 Jahren 2023 zudem zur Verfolgungseuropameisterin krönte, weckt mehr als zarte Hoffnungen, dass der nächste deutsche Superstar schon in den Startlöchern steht.
Dass Grotian bereits jetzt mit der Elite mithalten kann, deutete die Überfliegerin bei ihrem Debüt im Weltcup durchaus an. Im Sprint von Oslo belegte das DSV-Talent trotz zweier Schießfehler Rang 44. Vor allem in der Loipe überzeugte Grotian trotz hoher Startnummer. Mit einem fehlerfreien Rennen wäre wohl sogar ein Platz unter den besten 20 möglich gewesen.
Klar ist natürlich auch, dass weder Grotian noch die gerade mal 17-jährige Julia Tannheimer, die bei der Junioren-WM drei Titel holte und die Konkurrenz in Grund und Boden lief, oder auch die 22-jährige Einzel-Europameisterin Lisa Maria Spark für den Sprung in die absolute Weltspitze noch Zeit benötigen.
Wie kehrt die Biathlon-Kronprinzessin in den Weltcup zurück?
Nach Herrmann-Wicks Rücktritt müssen also vorerst andere in die Bresche springen: Vor allem Vanessa Voigt, Hanna Kebinger und Sophia Schneider (alle 25 Jahre) deuteten im Winter 2022/23 an, dass sie die Weltspitze im Blick haben. Folgt der nächste Schritt, ist dem Trio durchaus die ein oder andere Überraschung zuzutrauen.
Dass die Lücke hinter Herrmann-Wick überhaupt so groß ist, ist nicht zuletzt unglücklichen Umständen geschuldet. Mit Franziska Preuß stand die Kronprinzessin seit Jahren eigentlich parat. Als die Bayerin 2020/21 Platz drei im Gesamtweltcup belegte, schien sogar die Wachablösung schon erfolgt - dann verließ Preuß das Glück.
2021/22 setzten körperliche Probleme der siebenmaligen WM-Medaillengewinnerin bereits vermehrt zu, 2022/23 wurde für Preuß dann zu einer absoluten Seuchensaison. Als sie ihre Saison im Januar vorzeitig beenden musste, kündigte Preuß auf Instagram an, dass sie ihre Karriere auf jeden Fall "auf Weltspitzenniveau fortsetzen möchte", dazu aber "endlich wieder richtig und dauerhaft gesund" werden müsse. Wann dies der Fall ist, steht noch in den Sternen. Topfit ist Preuß allerdings genau die Athletin, die dem deutschen Lager den nötigen Halt gibt.
Ex-Langlauf-Star soll Biathleten beflügeln
Während bei den Frauen wohl eher eine seichte Talsohle als eine Erfolgsdürre droht, gibt der Blick in die nahe Zukunft des deutschen Männer-Biathlons durchaus Anlass zu größeren Sorgen.
Mit Benedikt Doll befindet sich zwar noch ein Sieganwärter in den Reihen der DSV-Herren, der 32-Jährige kündigte allerdings an, dass der kommende Winter sein letzter als Aktiver sein wird. Mit Roman Rees hat es 2022/23 ein zweiter Deutscher unter die Top 10 der Gesamtwertung geschafft. Mit 30 Jahren ist Rees allerdings ebenfalls keine Wette auf die Zukunft mehr. Selbiges gilt für Johannes Kühn (31) und Philipp Nawrath (30), die an guten Tagen ebenfalls Ausrufezeichen setzen können.
Bleiben die beiden 26-jährgen DSV-"Küken" David Zobel und Justus Strelow: Beide deuteten 2022/23 an, dass im Idealfall ein Platz in den Top 10 möglich ist, Zobel landete zu Saisonbeginn sogar sensationell auf dem Treppchen, zur Wahrheit gehört aber auch, dass beide in der Loipe meilenweit hinter der Weltspitze hinterherhinken.
Ein bitterer Umstand, dem wohl auch mit der jüngsten Umstrukturierung im Trainerstab entgegengewirkt werden soll. Nach 13 erfolgreichen Jahren gibt Herren-Coach Mark Kirchner den Staffelstab an seinen Assistenten Uros Velpec weiter. An dessen Seite beordert der DSV zudem Ex-Langläufer Jens Filbrich, der zwischen 2001 und 2011 zwei Olympia- und sieben WM-Medaillen gewann.
DSV-Sportchef findet klare Worte
Die ganz großen Wunderdinge sind von der zweiten Garde der DSV-Männer wohl dennoch nicht so schnell zu erwarten. Die 21-jährigen Benjamin Menz und Hans Köllner oder der 18-jährige Albert Engelmann haben bei der Nachwuchs-WM ihr Talent bewiesen, die ganz große Zukunft lässt sich daraus aber noch nicht ablesen.
Im deutschen Männer-Biathlon "tut sich momentan ein kleines Loch auf", bestätigte auch DSV-Sportchef Felix Bitterling gegenüber der "Sport Bild", dass es nicht sonderlich rosig um die nahe Zukunft bestellt ist. "Grundsätzlich muss man realistisch sagen, dass wir zwei, drei Jahre brauchen werden, bis wir die nächsten von hinten hoch kriegen."
Es steht also zu befürchten, dass die aus Sicht der Herren historisch schwache WM 2023 kein Einzelfall bleibt. Bitterling Worte geben allerdings zumindest Anlass zur Hoffnung, dass sich die Lage bis zu den Olympischen Winterspielen in Mailand und Cortina d'Ampezzo 2026 bessert.
Marc Affeldt