Am Donnerstag startet im Londoner Alexandra Palace die 30. Darts-WM der PDC. Die deutschen Hoffnungen für ein erfolgreiches Abschneiden bei dem Saisonhighlight ruhen insbesondere auf Martin Schindler.
Zwar greift der 26-Jährige erst in der zweiten Runde in das Turniergeschehen ein, im exklusiven sport.de-Interview spricht die Nummer 29 der Weltrangliste aber bereits jetzt über seine persönlichen Ziele bei der Weltmeisterschaft, den Absturz von Max Hopp und seine Titel-Favoriten. Außerdem verrät Schindler, woran es den deutschen Spielern derzeit noch fehlt, um sich in der absoluten Weltspitze zu etablieren.
Herr Schindler, bisher haben Sie bei einer Darts-WM noch nie ein Spiel gewonnen. Was stimmt Sie positiv, dass es in diesem Jahr besser läuft? Welches persönliche Ziel haben Sie sich für die WM 2023 gesetzt?
Martin Schindler: Ich möchte endlich mal dieses erste Spiel bei einer WM gewinnen. In der nächsten Runde trete ich dann gegen Michael Smith an und da werden wir dann sehen, was passieren kann. Aber erstmal will ich diesen ersten Schritt in Richtung ersten Sieg schaffen. Danach schaue ich von Schritt zu Schritt weiter.
Noch nie kam ein deutscher Starter über das WM-Achtelfinale hinaus. Wie stehen die Chancen, dass Sie, Gabriel Clemens oder Florian Hempel dieses Jahr ins Viertelfinale einziehen?
Das Teilnehmerfeld ist extrem stark und extrem gefährlich. Die Auslosungen sind nicht einfach und sie werden natürlich auch nicht einfacher von Jahr zu Jahr. Das Momentum muss passen, die Leistung muss passen und ich denke, spielerisch könnte es theoretisch jeder von uns schaffen ins Viertelfinale einzuziehen, aber da müssen mehrere Faktoren passen. Es müssen viele Zahnrädchen ineinander greifen.
Gabriel Clemens ist derzeit auf der Suche nach seiner Form, während Sie sich 2022 mit starken Leistungen in die Top 32 der Order of Merit gearbeitet haben. Auch wenn Sie derzeit noch hinter Clemens stehen: Sind Sie derzeit der beste deutsche Spieler?
Ich würde das so gar nicht formulieren. Das Thema des besten deutschen Spielers ist sowieso ein Thema für sich. Wir spielen in der Weltrangliste und nicht in einer deutschen Rangliste. Es lässt sich natürlich immer gut aussprechen, aber es würde in dem Sinne nichts verändern, ob man jetzt die Nummer eins oder zwei in Deutschland ist. Es kommt viel mehr drauf an, wo man in der Weltrangliste steht.
Es ist das erste Mal für mich, dass ich in die Top 32 eingezogen bin und ich würde gar nicht sagen, dass Gabriel Clemens nach seiner Form sucht. Vielleicht waren in diesem Jahr nicht die großen Steigerungssprünge vorhanden, wie sie es vorher waren. Er hat sich für das World Matchplay qualifiziert und für den Grand Prix of Darts. Alleine sich für diese Turniere zu qualifizieren, da musst du schon richtig ackern und richtig gute Darts spielen. Das hat er auch getan.
Der Alexandra Palace in London ist legendär. Was macht die Spiele im "Ally Pally" so besonders?
Das ist wirklich sehr schwer in Worte zu fassen, weil man es einfach selbst erleben muss. Das ist einfach eine so beeindruckende Atmosphäre. Die Geräuschkulisse zwischen den Zuschauern, dem Caller und den Spielern, die greift in dieser Halle überein. Vielleicht auch einfach, weil jeder weiß, dass wieder WM ist. Es ist wieder London, es ist wieder "Ally Pally" angesagt, das muss man einfach selbst mal erleben.
Lange Zeit war Max Hopp die deutsche Nummer eins. Jetzt konnte er sich erneut nicht für die WM qualifizieren und verliert sogar seine Tourcard. Trauen Sie ihm ein Comeback zu, wie Sie es selbst ja auch geschafft haben?
Ja, natürlich. Es wäre hochnäsig zu sagen, dass Max es nicht schaffen würde sich aus eigener Kraft wieder eine Tourcard zu erspielen oder zu behaupten, dass er spielerisch nicht auf die Tour gehört. Max gehört definitiv in diesen Spielbereich. Er gehört immer noch zu den besten deutschen Spielern und hat sehr viel für den Dartssport in Deutschland getan. Er hat sehr viele junge Menschen zum Dartssport gebracht. Jetzt darf er einfach nicht aufgeben und muss weitermachen und natürlich auch kämpfen und beißen. Ich traue es ihm definitiv zu.
Nico Kurz, Fabian Schmutzler oder auch Robert Marijanovic waren in der Vergangenheit bei einer Darts-WM dabei, machten danach aber kaum noch auf sich aufmerksam. Auch Sie mussten 2020 und 2021 die WM von zu Hause verfolgen. Fehlt es dem deutschen Darts an Konstanz?
Ich würde eher sagen, dass es dem deutschen Darts an Zeit fehlt. Man darf den Background der ganzen Spieler dabei nicht vergessen. Fabian Schmutzler hat mit gerade einmal 16 bereits seine erste WM gespielt, das ist ein Riesenerfolg. Das muss er für sich erstmal verarbeiten und einordnen. Das ist alles nicht so einfach.
Viele gehen nebenbei auch noch arbeiten, Fabian geht noch zur Schule, das sind Faktoren, die man nicht unterschätzen sollte. Die Preisgelder sind nicht so hoch, dass man direkt aufhören kann zu arbeiten. Der Druck ist enorm. Das darf man nicht auf die leichte Schulter nehmen.
In Großbritannien ist Darts eine feste Größe in der Sport-Welt. Der Durchbruch in Deutschland ist jedoch noch nicht ganz gelungen. Was muss passieren, damit auch hierzulande die breite Masse der Bevölkerung sich für Darts begeistert ?
Ein großer Erfolg eines Deutschen könnte den Ausschlag geben. Vielleicht ist es aber auch hier wieder nur eine Frage der Zeit. Es gibt andere Sportarten viel länger, die sind einfach viel prominenter hier, weil dort viel mehr Geld investiert wurde oder sie eine größere Menge ansprechen.
Darts ist ein Sport, bei dem ich erlebe, dass ganz viele Menschen schon damit Probleme haben die Punkte runterzuzählen. Solange es solche Probleme noch gibt, wird Darts eher nicht massentauglich sein. Aber das wird sich über die Jahre einpendeln. Die Menschen werden verstehen, wie dieses Spiel geht und es wird einfacher werden.
Selten war die Weltspitze vor einer Darts-WM so nah beieinander. Die Zeiten der puren Dominanz eines einzelnen Spielers wie Phil Taylor oder Michael van Gerwen sind vorbei. Wer sind Ihre Favoriten auf den WM-Titel 2023?
Gerade so eine Phase, wie Phil Taylor sie hatte, wird es nie wieder geben, glaube ich. Michael van Gerwen würde ich da noch nicht ganz abschreiben. Er hat wirklich eindrucksvoll gezeigt, dass er nochmal eine Schippe besser spielen kann, als alle anderen.
Aber natürlich ist die Breite im Darts extrem besser geworden, das muss man so sagen. Die Spitze ist sehr nah beieinander. Besonders Gerwyn Price, Michael van Gerwen, Peter Wright, Michael Smith und Luke Humphries würde ich da nennen. Aber momentan sehe ich niemand anderen, der bei der WM direkt durchstarten könnte.
Große Kritik gab es an der WM-Teilnahme von Fallon Sherrock. Obwohl sie sich sportlich nicht qualifizierte, wurde sie von der PDC eingeladen. Wie stehen Sie zu dieser Entscheidung?
Man muss sagen, dass Fallon das Womens World Matchplay gewonnen hat. Es ist nun mal das einzige Major-Turnier für die Frauen von der PDC. Da sie es gewonnen hat, ist das für mich definitiv ein Kriterium sie auch zur WM einzuladen. Aber es ist natürlich eine Diskussion wert.
Wir können sehr dankbar dafür sein, dass sie mitspielen kann. Sie hat viele Frauen für Darts begeistert und sorgt auch bei den männlichen Zuschauern für Begeisterung. Da will man natürlich ungern gegen sie spielen, weil dann die Halle gegen einen ist.
Was muss passieren, damit es es irgendwann einen Darts-Weltmeister aus Deutschland gibt?
Es wird sich zeigen, was passieren muss. Auch hier muss die Zeit wieder eine große Rolle spielen. Wo waren wir in Deutschland vor zehn Jahren? Da gab es keinen Max Hopp, keinen Gabriel Clemens und auch mich noch nicht. Aber damals gab es schon Spieler wie Michael van Gerwen und Michael Smith auf der PDC-Tour. Sie sind mit dem Dartssport groß geworden und spielen bereits seit langer Zeit Major-Turniere.
Für uns ist es jedes Jahr eine neue Chance. Wir müssen gucken, dass wir da konstant einfach mitmachen können. Die deutschen Jungs machen das schon echt ganz gut und probieren es auch mit echtem Herzblut. Es steht aber auch eine Menge Druck dahinter. Arbeit, Reisen und Preisgelder sind da entscheidende Faktoren. Aber es kommen auch viele junge Top-Leute nach. Ich bin sehr zuversichtlich, dass da definitiv irgendwann große Erfolge bei Major-Turnieren folgen werden. Vielleicht ja auch bei einer WM.
Das Gespräch führte Jannis Bartling