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"Die Teenager-Talente sind deutlich weniger geworden"

Experte sieht Nachwuchsproblem im deutschen Skispringen

Nachwuchsproblem im deutschen Skispringen?
Nachwuchsproblem im deutschen Skispringen?
Foto: © Bernd Feil /M.i.S. via www.imago-images.de
04. November 2022, 18:59
sport.de
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Am Wochenende starten die Skispringer mit dem "Matten-Weltcup" im polnischen Wisla in die neue Saison.

Wer sind die Favoriten im kommenden Winter? Wie stehen die Chancen der DSV-Adler? Und welche Rolle spielt der Schuh-Zoff zwischen Polen und Deutschland?

Diese und weitere Fragen klärt sport.de vor dem Auftakt mit Luis Holuch, freier Journalist und Skisprung-Experte.

Herr Holuch, am Wochenende starten die Skispringer in die neue Saison. Worauf freuen Sie sich am meisten?

Luis Holuch: Mein persönliches Highlight wird definitiv die Nordische Ski-WM in Planica. Das ist tatsächlich in der slowenischen Geschichte das größte Sport-Ereignis überhaupt. Ich bin vor rund einem Monat da gewesen. Die Leute sind total begeistert. Und das Sportzentrum, wo die Wettkämpfe stattfinden, löst bei mir Gänsehaut aus. Man hat dort alle Möglichkeiten auf sehr engem Raum. Da kommt schon sehr viel Gutes zusammen.

Aktuell ist die WM noch weit weg. Als erstes gastiert der Skisprung-Zirkus im polnischen Wisla. Was erwarten Sie vom Weltcup-Auftakt, der wegen der Fußball-WM in diesem Jahr ungewöhnlich früh stattfindet?

Das wird für die allermeisten Springer eine Standortbestimmung. Viele haben im Sommer einige Wettkämpfe ausgelassen und fragen sich, wie ihr Training funktioniert hat.

Wer sind die Favoriten in Wisla?

Ich erwarte starke Polen, weil sie natürlich den Heimvorteil haben. Dawid Kubacki muss man auf dem Zettel haben, auch wenn er die Schanze eigentlich gar nicht so gerne mag. Aus deutscher Sicht habe ich ein Auge auf Andreas Wellinger geworfen. Er weiß, wie die Schanze funktioniert und war im Sommer stark.

"Es gibt Springer, die bei kälteren Temperaturen besser sind"

Wisla wird der erste Weltcup der Geschichte sein, der auf Matten ausgetragen wird. Welche Auswirkungen hat das auf die Athleten?

Es gibt Springer, die bei kälteren Temperaturen besser sind und im Sommer grundsätzlich nicht gerne springen. Aber die Matten alleine machen da keinen großen Unterschied. Sie machen das Ganze sogar fairer, weil du einfach sicherer landen kannst. In Wisla war die Präparation in den letzten Jahren häufig grenzwertig. Da gab es einige Stürze.

Werden irgendwann mehr Weltcups auf Matten stattfinden?

Mein Gefühl sagt mir, dass man so lange es geht daran festhält, dass tatsächlich auf Schnee gesprungen wird. Einfach weil die Akzeptanz dafür viel größer ist, auch seitens der Zuschauer. Aber der Klimawandel ist real, alle Wintersportarten müssen damit umgehen. Und das Skispringen hat die Lösung schon. Das ist eine gute Nachricht.

Ein großes Thema war zuletzt auch wieder der Ausschluss von Russland und Belarus wegen des Angriffskriegs gegen die Ukraine.

Der Bann wurde eine Woche nach Kriegsausbruch beschlossen und seitdem ist die Situation im Grunde genommen ja nur noch schlimmer geworden. Deswegen gibt es für mich keinen logischen Grund, das jetzt zu ändern. Deswegen war ich auch sehr verwundert, dass die FIS sich zunächst so zögerlich gezeigt hat. Andere Verbände, wie zum Beispiel die Internationale Biathlon-Union (IBU), haben den Ausschluss schon früher entschieden.

Wird der Schuh-Zoff zwischen Polen und dem DSV, ein polnischer Funktionär sprach zuletzt von einem "technologischen Krieg", noch diskutiert in der Szene?

Wäre Stefan Horngacher nicht polnischer Nationaltrainer gewesen und hätte dieses Schuh-Projekt mit initiiert, wäre diese persönliche Note gar nicht in dieser Debatte. So hat das Ganze ein wenig Formel-1-Vibes, wie wenn sich Mercedes-Teamchef Toto Wolff und Christian Horner von Red Bull streiten. Es zeigt auch, dass das Material im Skispringen immer noch sehr wichtig ist, nicht nur das Können der Athleten.

"Andreas Wellinger ist für mich aktuell der stabilste"

Zurück zum Sportlichen: Was trauen Sie den deutschen Skispringern im kommenden Winter zu?

Andreas Wellinger ist für mich aktuell der stabilste. Karl Geiger ist auch immer ein Kandidat fürs Podest. Die beiden sind teamintern schon vorne. Markus Eisenbichler sehe ich ein Stück dahinter. Er hatte im Sommer mental ein bisschen mit sich zu kämpfen und sogar über ein Karriere-Ende nachgedacht. Das scheint aktuell aber kein Thema mehr zu sein. Insgesamt finde ich das deutsche Team sehr ausgewogen. Alle können mindestens in die Top 10 springen.

Als Kandidat für die eine oder andere Überraschung wird der 22 Jahre alte Philipp Raimund gehandelt.

Raimund ist ein bisschen den Weg von Geiger gegangen. Er war nie das Übertalent, aber ein kontinuierlicher Arbeiter. Es würde mich freuen, wenn er sich als neues Gesicht etablieren könnte.

Wie ist es generell um den deutschen Nachwuchs bestellt?

Es sah schon mal besser aus. Mir fehlen da die Nachrücker aus den jüngeren Jahrgängen. Die Teenager-Talente sind deutlich weniger geworden. Der letzte Springer, der im Alter von 17, 18 Jahren den Sprung nach oben geschafft hat, war Andreas Wellinger. Wenn man nach Österreich schaut, nach Norwegen oder nach Slowenien, die haben eine ganz andere Basis an jungen Athleten.

Von welchen internationalen Springern erwarten Sie die im kommenden Winter die besten Leistungen?

Dawid Kubacki scheint ein bisschen die zweite Luft zu bekommen. Ryoyu Kobayashi muss man auch wieder auf dem Zettel haben, er wirkt sehr stabil. Daniel-André Tande hat mir im Sommer auch gut gefallen. Er springt, als hätte es seinen Horror-Sturz in Planica nie gegeben. Wenn er es nicht übertreibt mit seiner Aggressivität, dann kann er Großes leisten.

Dann ist da noch das neue Super-Team-Format, das zuletzt unter anderem von Karl Geiger in relativ deutlichen Worten kritisiert wurde. Was halten Sie davon?

Ich störe mich schon an dem Namen, denn warum ist Wettbewerb mit Zweier-Teams besser als einer mit vier Springern pro Mannschaft? Zudem verstehe ich auch nicht so recht, wie das den kleineren Nationen wirklich helfen soll. Wenn Deutschlands Nummer vier und fünf antreten, dann landen sie am Ende trotzdem vor den USA beispielsweise.

Was spricht dann überhaupt für das neue Wettkampf-Format?

Einen einzigen charmanten Vorteil sehe ich. Nehmen wir als Beispiel die Schweden. Die habe keine Skispringer mehr im Weltcup, aber zwei Skispringerinnen. Diese kommen sonst nie in den Genuss eines Teamspringens, können aber jetzt an einem teilnehmen.

Neuerungen auch im Frauen-Skispringen

Apropos Frauen-Skispringen: Was gibt es dort Neues?

Die Frauen bekommen auch das Super-Team-Format, sie haben ihren ersten Wettbewerb sogar früher als die Männer. Das Silvester Tournament, das Parallelevent zur Vierschanzentournee, bekommt eine zweite Station in Villach. Und natürlich gibt es für die Skispringerinnen erstmals in ihrer Geschichte ein Skifliegen am Monsterbakken in Vikersund.

Eine durchaus umstrittene Entscheidung. Ist das Skifliegen für Frauen zu risikoreich?

Natürlich sind sie daran noch nicht gewöhnt. Die Anlaufgeschwindigkeit ist viel höher, auch die Flugzeit ist länger. Es ist ein großer Schritt. Aber ich bin der Meinung, wenn du es nicht ausprobierst, wirst du auch nicht rausfinden, ob die Frauen es können. Beim Skifliegen dürfen nur die Top 15 der Raw-Air-Wertung starten. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die das alle sehr gut können.

Das Gespräch führte Tobias Knoop

Zur Person: Luis Holuch ist freier Sportjournalist und arbeitet unter anderem für Sportradio Deutschland, sport.de und skispringen.com. Zudem war er bereits als Kommentator bei FIS Junioren-Weltmeisterschaften und -Continental-Cups zu hören. Sein Fachgebiet ist das Damen-Skispringen, über das er bereits Ende 2017 sein erstes Buch veröffentlichte.

Wisla 2022/2023

1PolenDawid Kubacki272.20
2NorwegenHalvor Egner Granerud266.60
3ÖsterreichStefan Kraft258.00
4ÖsterreichManuel Fettner252.40
5PolenPiotr Żyła250.00

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