Der Regen störte Tina Punzel nicht. "Das war das geringste Problem", sagte die Olympiadritte nach den ersten Trainingssprüngen im Foro Italico, "Sonne und Schatten sind eine Herausforderung." Wasserspringen im Freien ist für die 27-Jährige ungewohnt: "Es wird auf einmal hell, weil man über den Schatten drüber springt."
Die Lichtverhältnisse bei der EM in Rom, dem ersten Freiluftspringen seit Olympia 2016 in Rio, sind für die Dresdnerin quasi Programm. Denn nach dem Rücktritt des Vorspringers Patrick Hausding, der EM-Titel im Rekordtempo sammelte, soll und will Punzel dessen Platz im deutschen Team einnehmen - und aus dessen Schatten herausspringen. In die neue Führungsrolle ist sie schon "ein bisschen reingewachsen".
Bei der WM vor sechs Wochen klappte es sportlich noch nicht so ganz, weil sie zweimal als Vierte knapp eine Medaille verpasste - als mit Abstand beste Europäerin. Deshalb ist sie jetzt Goldfavoritin, zumindest im Einzel und im Synchronspringen vom 3-m-Brett. Zudem startet sie im Mixed-Synchron und bereits zum Auftakt am Montag (13.00 Uhr) im Teamwettbewerb.
"Ich habe mich ganz gut an die Rolle gewöhnt", sagte die viermalige Europameisterin, "es macht sogar Spaß." Es sei "schlimmer", bei WM oder Olympia "auf die Fehler der anderen zu hoffen, und mit ein bisschen Glück ist vielleicht eine Bronzemedaille drin". Als EM-Favoritin gehe sie "selbstbewusster und mit mehr Vorfreude in den Wettkampf".
Glück hatte die erste deutsche Medaillengewinnerin bei den Sommerspielen in Tokio schon im Vorfeld der EM. Mit ihrer Synchronpartnerin Lena Hentschel infizierte sie sich als einzige DSV-Wasserspringerin nach der WM in Budapest nicht mit Corona. "Ich hatte Wettkampf bis zum Schluss und hab' mich ferngehalten von allen Aktivitäten ringsum", sagte sie lachend. Beste Voraussetzungen für das große Ziel: aus dem Schatten ins Licht zu springen.