Kira Weidle saß mit verheulten Augen und roter Nase in einem kalten Container am "Blech"-Berg, als keine hundert Meter entfernt die Medaillen vergeben wurden. Wäre sie in dieser verflixten Olympia-Abfahrt nur 0,14 Sekunden schneller gewesen, hätte sie jetzt Bronze umgehängt bekommen - stattdessen baumelte an ihrem Hals ein kleines hellblaues Plastikschildchen: die Zugangskarte zum Doping-Kontroll-Raum.
"Das ist ein extrem bitteres Ende", sagte Weidle mit brüchiger Stimme über ihren jäh geplatzten Medaillentraum in der Königsdisziplin. Schon unmittelbar nach ihrer Fahrt hatte sie einige derbe Flüche ausgestoßen. "Vielleicht", sinnierte sie über Rang vier, den undankbarsten aller Plätze, "muss der Berg heute noch einen Schrei aushalten."
In einem spannenden, auch vom Wind geprägten Rennen krönte sich ein wenig überraschend die Weltmeisterin zur Olympiasiegerin: Corinne Suter aus der Schweiz siegte vor "Speed Queen" Sofia Goggia (Italien). Die Olympiasiegerin von 2018 war trotz schwerer Knieverletzung angetreten - und im ersten Augenblick stocksauer über Silber.
"Extrem hart, so bitter, unglaublich"
Während Goggia bald wieder lachen konnte und bei der Siegerehrung ihr lädiertes Knie küsste, wirkte Weidle untröstlich. Nach Slalom-Blech für ihre Mitbewohnerin Lena Dürr sei "ein Stück von mir für Lena mitgefahren", sagte die 25-Jährige. Dass es sie dann genauso traf, "ist extrem hart, so bitter, unglaublich".
Zumal die WM-Zweite nach starken Trainings auf mehr hoffen durfte. "Ich glaube, es haben viele Leute, auch andere Athletinnen, auf mich gesetzt, auf eine Medaille", sagte sie. Es sei zwar einerseits "ein schönes Gefühl, dass jeder weiß, dass ich es gekonnt hätte". Andererseits eben nur im Konjunktiv: hätte.
Statt Weidle jubelte völlig unerwartet Nadia Delago (Italien) über Rang drei. Wo die Starnbergerin Bronze verlor? Die Schlüsselstelle, eine fiese Linkskurve im oberen Abschnitt der "Rock", habe sie "nicht gut erwischt", analysierte Weidle traurig: "Man strebt nach Perfektion, aber es hat leider nicht ganz perfekt funktioniert."
Anders bei Suter, die sich mit Videos der einstigen Abfahrtskönigin Lindsey Vonn eingestimmt, aber wohl auch etwas Windglück hatte. Die berüchtigten Böen am Xiaohaituo verzögerten das Rennen um eine halbe Stunde, Stehauf-Frau Goggia verlor Gold im unteren Flachstück und schimpfte zunächst verärgert: "Den Wind kannst du nicht kontrollieren."
Andererseits sei sie "sehr dankbar", dass sie überhaupt dabei sein konnte - wenn auch nur mit "55 Prozent" ihres Leistungsvermögens. Vor drei Wochen, in der Klinik in Mailand, sagten ihr die Ärzte, dass sie ihren Traum werde beerdigen müssen. Silber hätte sie da "sofort unterschrieben".
Das traf sicher auch auf die traurige Kira Weidle im Container zu.
