Eine Uigurin als letzte Fackelträgerin: Als Propaganda und Provokation werteten westliche Medien Chinas Eröffnungsshow der umstrittenen Winterspiele in Peking.
Ihre Mutter wünschte ihr stolz alles Gute, Verwandte applaudierten begeistert und wischten sich ergriffen Tränen aus den Augen. Mit zwei im Internet verbreiteten Videos schrieb die chinesische Regierung ihre Geschichte der olympischen Eröffnungsfeier fort: Die Uigurin Dinigeer Yilamujiang als letzte Fackelträgerin sollte alle Vorwürfe der Menschenrechtsverletzungen in China widerlegen.
Doch der vermeintliche Coup misslang: Als "gewaltige Provokation" und "unverhohlenen Propagandaversuch" werteten westliche Medien den Abschluss der frostigen PR-Show zum Start der umstrittenen Winterspiele in Peking.
Als die 20 Jahre alte Langläuferin um 22:24 Uhr zusammen mit dem Nordischen Kombinierer Zhao Jiawen die Fackel in eine gigantische Schneeflocke steckte, war die Aufregung groß.
Fackel-Entscheidung ein "unverhohlener Propagandaversuch"
"Eine direkte Antwort auf einen der Hauptkritikpunkte an dem Gastgeberland" nannte die New York Times diesen "Moment voller Symbolik". Die Unterdrückung der Uiguren, von Menschenrechtlern als "Völkermord" bezeichnet, war mit der Niederschlagung der Demokratiebewegung in Hongkong der wichtigste Grund für den diplomatischen Boykott von US-Präsident Joe Biden und mehreren westlichen Regierungen.
Alle 56 Ethnien in China seien "Mitglieder einer großen Familie, alle zusammen", schrieb Zhang Zhisheng, Chinas Generalkonsul in Tansania, bei Twitter und verbreitete die Videos von Yilamujiangs Familie. "China eröffnet die Olympischen Winterspiele mit Friedenstauben und einer gewaltigen Provokation", schrieb der "Guardian". Die "Daily Mail" nannte es "einen unverhohlenen Propagandaversuch".
"Es hat mich zutiefst verletzt, dass der Hauptverantwortliche für die Notlage der Uiguren, Staatspräsident Xi Jinping, eine Uigurin so schamlos für seine Propaganda ausgenutzt hat", sagte Haiyuer Kuerban, Leiter des Berlin-Büros des Weltkongresses der Uiguren, dem "SID": "Er will vor den Kameras der ganzen Welt zeigen, dass der uigurische Genozid nur eine Lüge wäre."
Yalqun forderte Olympia-Boykott
Über Yilamujiang, die in der Sprache ihrer ethnischen Minderheit Dilnigar Ilhamjan heißt, ist wenig bekannt. Der Ski-Weltverband FIS führt lediglich ihr Geburtsdatum auf, sie ist in Altay im uigurischen autonomen Gebiet Xinjiang geboren - dort, wo in den vergangenen Jahren mehr als eine Million Menschen in sogenannte Umerziehungslager gebracht wurden. Ihr Vater soll Skilehrer sein, mit fünf Jahren begann sie in ihrer Heimatstadt in der Nähe der Grenze zur Mongolei mit dem Skilaufen.
Ihr internationales Debüt gab sie 2018 bei einem Sprintrennen im norwegischen Beitostölen als 184., im nächsten Jahr lief sie als erste Chinesin bei einem FIS-Event aufs Podest - als Zweite bei einem Sprint in Peking. Bei der WM im vergangenen Jahr landete sie über zehn Kilometer auf dem 41. Rang und im Teamsprint auf Platz 13. "Mein Ziel ist es, bei Olympia eine Medaille zu gewinnen", sagte sie dem chinesischen Auslands-TV-Sender CGTN. Im Skiathlon zum Auftakt war sie davon als 43. weit entfernt.
Schon einmal trug ein Uigure die olympische Fackel - 2008 vor den Sommerspielen in Peking der damals 17-jährige Kamaltürk Yalqun. Auch er sollte der Beweis dafür sein, dass China seine Minderheiten respektieren würde. Mittlerweile lebt Yalqun in den USA und forderte einen Boykott der Winterspiele. Wie Uiguren tatsächlich behandelt werden, erlebte er 2016, als sein Vater Rozi, ein Herausgeber uigurischer Literatur, plötzlich verschwand. Verhaftet und zu 15 Jahren Gefängnis wegen "Subversion" verurteilt.
