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Fahrstuhlmannschaft statt Bundesliga-Größe

VfB Stuttgart: Der Scheinriese taumelt mal wieder

Die Lage beim VfB Stuttgart ist schwierig
Die Lage beim VfB Stuttgart ist schwierig
Foto: © Pressefoto Rudel/Herbert Rudel via www.imago-image
04. Februar 2022, 22:53

Der VfB Stuttgart war mal eine ganz große Nummer im deutschen Fußball, spielte international. Inzwischen ist der Klub eine Fahrstuhlmannschaft und kämpft auch in diesem Jahr gegen den Abstieg. Groß sind inzwischen vor allem die Ängste.

Es war einmal in einem Fußballland – vor gar nicht all zu langer Zeit. In dem ist der VfB Stuttgart ein Fußball-Riese. Gut, ein Riese der kleineren Art vielleicht. Aber dennoch: ein Schwergewicht. Ein Team, das gefühlt alle zehn Jahre Deutscher Meister wird – mal mit mehr, mal mit weniger Glück. Das regelmäßig im Europapokal kickt. Bei dem während Spielen wie 2003 gegen ManUnited trotz weitläufiger Tartanbahn das Stadiondach gen Himmel fliegt. So viel Druck war auf dem Kessel namens Stuttgart. Ein Fußballland, in dem ein magisches Dreieck wirbelt, gefolgt von jungen Wilden, die im Neckarstadion zaubern. Diese Zeiten sind vorbei. Vermutlich bis auf Weiteres.

Der VfB Stuttgart hat einige Präsidenten, viele Manager und noch viel mehr Trainer verschlissen. Viel Geld wurde in den vergangenen zwei Jahrzehnten in Bad Cannstatt verbrannt. Inzwischen ist die Profiabteilung ausgegliedert, Ankerinvestor Mercedes pumpte über 41 Millionen rein. Der nachhaltige Erfolg bleib bislang aus. Im vergangenen Jahr berappelte sich der Tanker VfB einigermaßen, doch sportlich ist nun wieder deutlich Schlagseite angesagt. Es droht der dritte Abstieg binnen sieben Jahren. Weit weg sind die Tage seit der letzten Meisterschaft 2007.

Und auch die Leichtigkeit aus der vergangenen Saison, als man unter anderem Vizemeister Borussia Dortmund in dessen Stadion mit 5:1 abschoss – das Ende des damaligen BVB-Trainers Lucien Favre. Der VfB tänzelte als Aufsteiger leichtfüßig zum Klassenerhalt. Stuttgart spielte oft schönen, wilden Fußball. Doch jetzt folgt das Zweitjahressyndrom. Diagnose: akut abstiegsgefährdet.

VfB Stuttgart in der Krise

Stuttgart steckt inmitten einer deftigen Krise. Die Schwaben sind in den vergangenen Wochen auf Rang 17 durchgereicht worden. Nur das historisch schwache Fürth liegt noch dahinter. Und was wirklich angsteinflößend ist: Seit nunmehr fünf Partien hat der VfB nicht mehr getroffen. Und wer keine Tore erzielt, kann nur schwer punkten. Selbst mit 14 Mal 0:0 würde es jetzt noch schwierig. Das ist allerdings selten der Fall. Vier der zuletzt fünf sieglosen Spiele waren Niederlagen.

Woran liegt die Ladehemmung? Wer es gut mit dem VfB meint, zeigt auf die unschöne Verletztenliste der jüngeren Vergangenheit, aus der vor allem zwei Spieler herausstechen. Zum einen Silas Katompa Mvumpa. Im vergangenen März riss dem pfeilschnellen Kongolesen das Kreuzband – er tastet sich langsam zurück. Nach der Verletzung überschattete die unschöne Diskussion um seine Identität die grandiose Rookie-Saison. Der VfB will ihn behutsam ans Team ranführen. Über 90 Minuten reicht es aber noch nicht.

Für Sasa Kalajdzic inzwischen schon – doch bei 100 Prozent ist der Torgarant aus 2021 (16 Treffer) noch nicht. Der Österreicher musste mit einer Schulterverletzung seit dem Sommer pausieren. Es spricht Bände, dass Abwehrrakete Konstantinos Mavropanos mit vier Toren aktuell der Top-Torschütze ist. Die Nummer zwei dieser Liste, Marc-Oliver Kempf (drei Tore), wurde in der Winterpause zur Hertha verschifft. Der Verkauf sollte dem VfB Geld generieren.

Dem VfB Stuttgart fehlen Führungskräfte auf dem Rasen

Das Kader-Problem ist eines, das der vielgelobte Sportdirektor Sven Mislintat zu verantworten hat: Der Kader ist gespickt mit jungen Talenten und Unter-dem-Radar-Spielern, die teils aus der japanischen, dänischen oder belgischen Liga kamen. Einige junge Spieler haben den nächsten Schritt gemacht. Viele aber auch nicht – oder können in der Gegenwart keinen Unterschied machen. Zum Beispiel Wahid Faghir, Roberto Massimo oder Tanguy Coulibaly. Diesen Unterschied braucht es im Abstiegskampf aber.

Ein weiterer Kritikpunkt: Für den im Sommer abgewanderten Angreifer Nicolás González gab es keinen adäquaten Ersatz. Die Tore fehlen nun.
Auffällig: Es fehlen Führungskräfte auf dem Rasen, die in dieser schwierigen Situation Verantwortung übernehmen könnten, vorangehen, den eigenen Mann und/oder den Gegner mal zurechtweisen. Gonzalo Castro wäre so einer gewesen. Doch vor der Saison ließ man den Routinier, der 2020 ein ganz wichtiges Tor zum zweiten Wiederaufstieg erzielte, ziehen. Der Mittelfeldmann spielt nun beim Liga- und Abstiegskampfkonkurrenten Arminia Bielefeld.

ei den Ostwestfalen zeigte er gleich, was er noch Wert sein kann. In seinem zweiten Kurzeinsatz gelang ihm schon ein Treffer. Damit hat er einen mehr als der VfB in der letzten fünf Spielen. Stattdessen setzte der VfB auf Daniel Didavi, der aber mehr Schlagzeilen fabrizierte, weil er standhafter Impfskeptiker ist und bei Auswärtsfahrten teils nicht mehr mit dem Team ins Hotel durfte.

Was uns zum nächsten Punkt bringt. Trainer Pellegrino Matarazzo. Nun ist es ein kleines schwäbisches Wunder, dass der Italo-Amerikaner mit knapp über zwei Jahren Amtszeit immer noch VfB-Coach ist (er liegt schon auf Platz 13 der ewigen Bestenliste). Seine Vorgänger flogen reihenweise früher raus. Matarazzo ist Mislintats Mann, auch im Abstiegskampf. Vor der Saison sagte der Sportdirektor, dass man mit dem Coach notfalls auch in die 2. Liga gehen würde. Ein Vertrauensbeweis. Nun geht auch er erstmals mit dem VfB durch eine gefährliche Talsohle. Er ist nun als Krisenmanager gefragt. 

Matarazzo schon angezählt?

Der langgewachsene Trainer geht auch mal ins Risiko, unterstützt den Nachwuchsansatz der Schwaben, hatte aber zuletzt auch kein glückliches Händchen mit System und Spielerwahl. Die Fans ärgern sich über zu späte Wechsel Matarazzos. Die nächsten Wochen werden die erste richtige Bewährungsprobe. Gut möglich, dass der VfB wieder zum "Hot Seat" für Trainer wird. Obwohl rund um den VfB alle stolz waren, dass diese Zeiten eigentlich vorbei schienen.

Groß und hoch waren zuletzt beim VfB inzwischen eigentlich nur der Zuschauerschnitt (vor Corona), die Hoffnungen auf Erfolge wie in alten Zeiten und die Mitgliederzahlen. Jetzt ist es vor allem die Angst vor dem nächsten Abstieg. In Corona-Zeiten würde dieser den Klub noch mehr treffen als ohnehin schon. Der Umsatz ging im vergangenen Jahr um 74 Millionen Euro zurück. VfB spielt zwar in einem Gebiet, das als sehr wirtschaftsstark gilt, unendlich Ressourcen aber gibt’s beim VfB nicht.

Was also kann noch helfen? In den spielfreien Tagen reiste der Bundesligist ins spanische Marbella. Kurz-Trainingslager. Kopf freikriegen, Arbeiten an der Fitness, am Zusammengehörigkeitsgefühl und auch am System, sagte Matarazzo, der in der Liga wohl neben der Dreierkette die Vierer-Variante ausprobieren möchte.

Wie schlägt sich Tomás beim VfB Stuttgart?

Währenddessen tütete Mislintat einen Zugang ein. Der portugiesische Nachwuchsmann Tiago Tomás, gerade einmal 19 Jahre alt, kommt auf Leihbasis von Sporting Lissabon. Der U21-Nationalspieler ist weniger ein Vollstrecker, denn Vorbereiter und Unruhestifter in der gegnerischen Zone. Dem  Portugiesen gelangen in 48 Ligaspielen drei Tore, gilt als großes Talent, das nur der Killerinstinkt fehlt. Es ist fast schon bezeichnend, dass einige Klassenerhalt-Hoffnung nun auf den schmalen Schultern dieses jungen Mannes liegt. Seinen ersten Einsatz könnte er am kommenden Samstag gegen Frankfurt  (15:30 Uhr) kriegen – vor immerhin wieder 10.000 möglichen Zuschauern. 

Kritik an dem Jugendansatz hatte Mislintat zuvor weggewischt. "Es gibt meines Erachtens kein Allheilmittel und keine klare Aussage dazu, ob Jugend oder Erfahrung dazu führt. Das Entscheidende ist, dass die Jungs die Persönlichkeit und Qualität auf den Platz bringen können, die in ihnen steckt."

Trotz des Last-Minute-Deal scheint der Kader der Schwaben relativ dünn. Man ist eine Verletzung, oder Corona-Infektion von der nächsten Not-Rotation entfernt. So könnte Tomás ob er will oder nicht so etwas wie die letzte Patrone im Abstiegskampf sein. So oder so: Der VfB bleibt in diesem Fußballland vorerst ein Scheinriese.

Emmanuel Schneider

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