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Thieme: "Als die Stange fiel, hab ich gedacht, ogottogott"

André Thieme ist Europameister
André Thieme ist Europameister
Foto: © PETTER ARVIDSON via www.imago-images.de
06. September 2021, 12:01

Bevor der neue Europameister André Thieme Springen reiten durfte, stellte der Vater vor fast 30 Jahren eine Bedingung: Zuerst sollte der Filius das goldene Reitabzeichen in der Dressur ablegen - was ihm mit Bravour gelang.

Manchmal wirkt André Thieme in sich gekehrt, nachdenklich, verträumt. "Mein Vater hat früher immer gesagt: Junge, jetzt wach' doch mal auf", erzählte der neue Europameister der Springreiter nach seinem großen Coup in Riesenbeck. Michael Thieme war Obersattelmeister im Landgestüt Redefin in der Nähe von Schwerin, ein Mann, der großen Wert auf reiterliche Disziplin und korrektes Verhalten im Sattel legte. Und deshalb eine klare Vorstellung von der Karriere des Sohnes hatte: Vor dem Springen das goldene Reitabzeichen in der Dressur.

André Thieme gehorchte, ein bisschen notgedrungen, ein bisschen aus eigenem Antrieb. "Dressur ist die Grundlage", sagte er: "Man lernt, ein Pferd zu lesen, es richtig einzuschätzen", er sei sozusagen "von der Pike auf" zum Pferdemann erzogen worden. Mit 19 legte er die vom Vater gewünschte Prüfung ab, mit nicht weniger als zehn Siegen in der S-Dressur, der schwersten Leistungsklasse, im Gepäck. Und wechselte zum Springreiten.

"Als die Stange fiel, hab ich nur gedacht, ogottogott"

Kleinere, leichtere Pferde, ein kleinerer Sattel, mehr Nervenkitzel, mehr Adrenalin - der eher stille Andre Thieme wurde im Sattel ein anderer. 2007, 2008 und 2011 gewann er mit dem Wallach Nacorde das Deutsche Derby in Hamburg, oft als schwerstes Springen der Welt bezeichnet. "Damals habe ich immer gedacht, der Sieg beim Derby ist das Größte", erzählte Thieme: "Jetzt weiß ich, dass das nicht so ist."

Das Größte in seinem Leben nämlich erreichte er an diesem sonnigen Spätsommertag in Riesenbeck. Mit der elfjährigen Fuchsstute Chakaria ließ er alle großen Namen hinter sich und steckte als Schlussreiter im entscheidenden zweiten Umlauf sogar einen Abwurf weg, obwohl ein weiterer ihn den Sieg gekostet hätte. "Als die Stange fiel, hab ich nur gedacht, ogottogott, die ist unten", erzählte er grinsend. Die anderen blieben oben.

"Übrigens, das ist ein Million Dollar Event"

Mit seinem Goldpferd Chakaria fühlt sich André Thieme emotional tief verbunden. "Ich liebe dieses Pferd fast so sehr wie meine Frau, aber sie weiß natürlich Bescheid", sagte er mit einem kleinen Augenzwinkern. 2018 hatte er das Deutsche Sportpferd (DSP) bei einem ländlichen Turnier entdeckt und Chakaria Ende des Jahres übernommen. Seither gewann er einiges mit ihr, unter anderem vier mit einer Million Dollar dotierte Springen in den USA. "Wir haben André vor dem zweiten Umlauf gesagt: Übrigens, das ist ein Million Dollar Event", sagte Bundestrainer Otto Becker grinsend: "In denen ist er ja kaum zu schlagen."

Nach ein paar Tagen Verschnaufpause im heimischen Plau am See und ein bisschen Kicken mit seiner Altherren-Truppe in Lübz geht es für Thieme schon am nächsten Wochenende weiter. Im Rahmen der Dressur-EM in Hagen a.T.W. startet er beim Drei-Sterne-Springen der Riders Tour. Chakaria wird allerdings nicht mitkommen in den Teutoburger Wald. "Sie kriegt jetzt erstmal eine Pause, ich mach ein bisschen weiter", sagte Thieme. Und dabei wirkte der goldene Reiter gar nicht mehr so in sich gekehrt.

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