Kanutin Edina Müller krönt sich vor den Augen von Sohn Liam zur Paralympics-Siegerin. Auch Sprinterin Lindy Ave klettert aufs oberste Treppchen.
Die süße Belohnung für ihre Machtdemonstration erhielt Edina Müller noch auf dem Boot von ihrem größten Fan. Sohnemann Liam kletterte kurzerhand aufs Kajak und drückte ihr liebevoll einen kräftigen Siegesschmatzer auf den Mund. Den hatte sich die stillende Mutter auch mehr als verdient, denn ihr furioser Lauf zu Gold war einer für die Geschichtsbücher. Nach dem Triumph im Rollstuhlbasketball 2012 krönte sie sich in der zweiten Sportart zur Paralympics-Siegerin.
"In dem Moment hat man nur das Gefühl, dass man alles richtig gemacht hat. Es gab in der ganzen Zeit viele Zweifler, viele Leute, die nicht an mich geglaubt haben. Da jetzt zu stehen mit der Goldmedaille, ist der Wahnsinn", schwärmte Müller. Tatsächlich wurden ihr auf dem Weg auf den Paralympics-Thron viele Steine in den Weg gelegt.
Die Anwesenheit des zweieinhalb Jahre alten Liam und von Lebensgefährte Niko war alles andere als eine Selbstverständlichkeit. "Am wichtigsten war für mich, dass sie irgendwie hier sind. Natürlich hätte das besser laufen können. Aber das Wichtigste ist, dass wir hier zusammen sind und ich die Goldmedaille in der Hand habe", sagte Müller. Dadurch falle eine "wahnsinnige Last" ab.
Um den Sohnemann mit nach Japan nehmen zu dürfen, durchlebte Müller vor Abreise eine Bürokratie-Odyssee - selbst die erhaltene Ausnahmegenehmigung war noch längst nicht das Ende aller Probleme. In Tokio vor Ort sei das Sportlerleben mit Kleinkind "stressig", "schwierig" und "anstrengend", hatte Müller nach dem Vorlauf am Donnerstag geklagt. Dadurch dass ihr Sohn nicht im Athletendorf wohnen durfte, musste sie mit Familie ins Hotel und sehr viel pendeln.
Doch nach "einem der besten Rennen" der Karriere war all das für einen Moment vergessen, nach Silber in Rio setzte sie sich auf dem Sea Forest Waterway souverän durch. "Diese Leistung war so toll. Edina, angefeuert von ihrem kleinen Sohn und ihrem Mann, da spielen die ganz großen Emotionen des Sports mit", schwärmte DBS-Präsident Friedhelm Julius Beucher gegenüber dem "SID".
"Das ist der Wahnsinn"
Mit ihrem Triumph knüpfte die ehemalige Rollstuhlbasketballerin an den Erfolg ihrer früheren Teamkollegin Annika Zeyen an, die sich nach dem gemeinsamen Gold in London nun mit dem Handbike zur Paralympicssiegerin im Zeitfahren krönte. "Das ist der Wahnsinn", jubelte Müller. Den Feierbefehl gab ihre Teamkollegin Felicia Laberer, die überraschend in der Startklasse KL3 zu Bronze paddelte. "Heute Abend wird es richtig abgehen", verkündete die 20-Jährige.
Wohl auch bei Sprinterin Lindy Ave. Die 23-Jährige lief nach Rang drei über 100 m mit Weltrekord von exakt einer Minute überraschend zur Goldmedaille über 400 m. "Ich hätte niemals im Leben geglaubt, dass ich das schaffen kann", sagte die Greifswalderin in der ARD: "Jetzt bin ich überglücklich." Das dürfte nicht für Felix Streng gelten. Nach Gold über 100 m musste er sich über die doppelte Distanz in 21,78 Sekunden auch wegen Adduktorenproblemen mit Silber zufrieden geben.
Die Rollstuhlbasketballerinnen fahren gar erstmals seit Athen 2004 ohne Medaille nach Hause. Sie verloren das Spiel um Bronze gegen die USA mit 51:64 (25:31). Sportschütze Tim Focken schrieb als erster deutscher Kriegsversehrter bei Paralympics zwar Geschichte, war nach seiner verpassten Finalteilnahme aber nicht zufrieden. "Dass es nicht gelangt hat, ist blöd", sagte der Afghanistan-Veteran.
Die deutsche Mannschaft bleibt vor dem letzten Wettkampftag auf Rang elf im Nationenranking. "Wir stehen im Medaillenspiegel ungefähr da", so Chef de Mission Karl Quade bei der Abschlusspressekonferenz, "wo wir uns gesehen haben."
