Von den bislang fünf Neuzugängen des FC Schalke 04 für die kommende Saison hat Victor Pálsson die mit Abstand schillerndste Vita vorzuweisen. Was erhoffen sich die Königsblauen von dem Isländer, der schon in New York und Liverpool spielte und mit einer schweren psychischen Erkrankung offen umgeht?
Dass es mit Victor Pálsson nicht immer leicht ist, davon kann Markus Anfang ein Lied singen. Zumindest lieferte sich der ehemalige Cheftrainer von Darmstadt 98 im Februar einen veritablen Krach mit seinem damaligen Schützling.
Bei einem Trainingsspiel habe sich Pálsson nicht den Vorgaben seines Coaches entsprechend verhalten, berichtete "Bild". Anfang meckerte, Pálsson schimpfte zurück, der "Dialog" der beiden wurde immer lauter - ein "wildes Wortgefecht" registrierte das Boulevard-Blatt.
In einer solchen Situation nicht zurückzustecken, gehört zu Pálssons Naturell. Als "Wikinger", wahlweise auch als "Krieger" wurde der 30-Jährige während seiner Darmstädter Zeit von den Medien häufig bezeichnet.
Das Schubladendenken aufgrund seiner Herkunft spielt dabei eine Rolle, klar. Ganz unpassend sind die Vergleiche aber definitiv nicht für den 26-fachen isländischen Nationalspieler.
Victor Pálsson: "Krieg" und Urschreie
Das belegen Anekdoten aus seinen zweieinhalb Jahren am Böllenfalltor. Wie die, dass Pálsson, der hervorragend Englisch und gut Deutsch spricht, in einem Pressegespräch einmal zunächst das Wort "Krieg" ("War") statt "Kampf" ("Fight") benutzte, um die Herangehensweise der Lilien gegen den kommenden Gegner zu umschreiben.
Und jene aus der Paderborner Benteler-Arena, als nach dem wichtigen Darmstädter 3:2-Sieg Anfang März aus dem Mannschaftskreis heraus laut "This is fuckin' Darmstadt!" durch das weite und wegen der Pandemie weitgehend menschenleere Rund schallte.
Urheber des Urschreis war, natürlich, Victor Pálsson, der Mentalitätsspieler, der Leader.
Das erwartet der FC Schalke 04 von Victor Pálsson
Auf Schalke werden sie diese Episoden vermutlich kennen. Sie werden auch wissen, dass Darmstadt in 21 Spielen mit Pálsson auf dem Platz in der abgelaufenen Saison nur vier Niederlagen kassierte, von 13 Spielen ohne ihn aber acht verlor.
Und natürlich, dass der defensive Mittelfeldspieler in 67 Zweitligaspielen nicht nur sechs Treffer erzielte, sondern auch satte 14 Gelbe Karten, zwei Gelb-Rote und eine Rote Karte sah.
"Fußballerisch bringt Victor entscheidende Fähigkeiten für die Sechs mit, nämlich eine aggressive Zweikampfführung, eine gute Physis sowie Geschwindigkeit und ein dominantes Kopfballspiel", erklärte Schalkes Sportvorstand Peter Knäbel die Verpflichtung Pálssons, die den extrem klammen Revierklub immerhin rund 700.000 Euro kostete.
Victor Pálsson: "Es gab Vereine, die mich nicht unter Vertrag nehmen wollten"
Wer so viel seines knappen Geldes für einen Spieler in die Hand nimmt, dem dürfte auch die andere Seite von dessen Persönlichkeit bekannt sein. Auch diese sprach aus Schalker Sicht offensichtlich nicht gegen eine Verpflichtung, womöglich ganz im Gegenteil.
Offen geht Pálsson mit der jahrelangen Alkohol- und Drogensucht seiner im November 2020 verstorbenen Mutter um, und mit der Tatsache, dass er ohne Vater aufwuchs. Er selbst kämpft, auch als Resultat seiner schwierigen Kindheit und Jugend, seit er 16 Jahre alt war gegen Depressionen.
"Es gab Vereine, die mich nicht unter Vertrag nehmen wollten, weil ich offen über psychische Gesundheit sprach", schilderte Pálsson unlängst im "Hessischen Rundfunk". Der Fußball habe ihm allerdings dennoch "definitiv das Leben gerettet", sei immer seine "Sicherheitszone" gewesen.
Zehn Vereinsstationen in neun Ländern
Dass Pálssons Karriere bis zu ihrem vorläufigen Höhepunkt mit dem Engagement auf Schalke alles andere als geradlinig verlief, überrascht vor diesem Hintergrund kaum.
Der siebenmalige deutsche Meister ist die zehnte Vereinsstation des Wandervogels im Profi-Fußball, in acht Ländern kickte er schon.
Pálsson stand bei der U23 des FC Liverpool unter Vertrag, gab ein kurzes Gastspiel bei Red Bull New York und verdiente seine Brötchen in Dänemark, Schottland, den Niederlanden, Schweden und vor seinem Wechsel nach Darmstadt in der Schweiz beim FC Zürich.
FC Schalke 04: Victor Pálssons besondere Beziehung zu Dimitrios Grammozis
Und jetzt also Schalke, wo Pálsson einen Zweijahresvertrag bis 2023 unterschrieb und in Trainer Dimitrios Grammozis auf einen alten Bekannten trifft.
Anfang 2019 wechselten beide fast zeitgleich nach Darmstadt und arbeiteten anschließend knapp eineinhalb Jahre erfolgreich zusammen. Den Weggang des Trainers im Sommer 2020 empfand Pálsson als "schade", wie er anschließend gegenüber "Bild" bekundete. Grammozis bringe "Herz mit und Emotionen" und habe "immer einen Plan", schwärmte er damals.
Kein Wunder also, dass Pálsson auf Schalke schon lange vor dem Vollzug des Transfers als absoluter Wunschspieler von Grammozis für die anstehende Zweitligasaison galt.
Seine neue Herausforderung geht Pálsson mit großem Selbstbewusstsein an. "Ich möchte auf und neben dem Platz als Führungsspieler vorangehen. Wir werden eine komplett neue Struktur in der Mannschaft entwickeln", sagte er bei seiner Vorstellung. Worte, die eines "Kriegers" durchaus würdig sind.
Tobias Knoop




























