Kein Patzer bei den Gegentoren, dafür reichlich Patzer beim Spielaufbau: Marc-André ter Stegen ist beim historischen Königsklassen-GAU des FC Barcelona gegen den FC Bayern München alles andere als ein souveräner Rückhalt. Ein bitterer Abend, der eigentlich ganz anders verlaufen sollte.
Es sollte sicherlich nicht als Häme verstanden werden. Manuel Neuer hatte ein bisschen Mitleid mit Marc-André ter Stegen. Nach der Schande von Lissabon, die den FC Barcelona zur europäischen Lächerlichkeit machte, erklärte der ungeliebte Rivale gegenüber "Sky", dass "man natürlich keinem Teamkollegen in der Nationalmannschaft" einen solchen Albtraum "wünsche". Es war ein Albtraum mit acht schmerzhaften und brutalen Schreckmomenten. So oft hatten die Schüsse der unerbittlichen Fußballer des FC Bayern im Viertelfinale der Champions League hinter ter Stegen eingeschlagen. Mit 2:8 (1:4) waren die geprügelten und gedemütigten Katalanen schließlich aus dem Estádio da Luz gekrochen.
Die ganze Mannschaft und der Trainer wurden nach dieser überraschenden Peinlichkeit in den heimischen Medien zerrissen. Mitten drin ter Stegen, der bei den Gegentoren macht-, allerdings längst nicht schuldlos war. Wieder und wieder spielt der 28-Jährige, dessen große Stärke auch der Umgang mit dem Ball am Fuß ist, das Spielgerät direkt in die Füße der Münchner oder aber so riskant zu den eigenen Leuten, dass diese im erdrückenden Pressing des Rekordmeisters versagten. Zwar bügelte ter Stegen das eine oder andere verunglückte Zuspiel mit überragenden Paraden aus, etwa in Minute 31, als er sein rechtes Bein gegen einen Schuss von Robert Lewandowski blitzschnell ausstellte.
Mit der Abwehr ist nichts zu holen
Doch die Ruhe und Souveränität, die er sonst ausstrahlt, ging ihm an diesem Freitagabend gänzlich ab. Die "Marca", das Hausblatt des spanischen Großrivalen Real Madrid, schrieb genüsslich, dass "ter Stegen von den ambitionierten Bayern massakriert" wurde. "Es war die schlechteste erste Halbzeit, die man von ter Stegen in Erinnerung hat", verbreitete "El Mundo Deportivo". Die Zeitung "Sport" wollte den Torwart gar nicht erst wiedererkannt haben.
Nun, so schlimm war es weiß Gott nicht. Weitaus schlimmer als das, was ter Stegen sich leistete, waren die fatalen Aussetzer seiner völlig überforderten Vorderleute. Rechtsverteidiger Nelson Semedo, schwach bis abwesend und peinlich vorgeführt beim 2:5 vom phänomenalen Alphonso Davies. Die Innenverteidiger Clement Lenglet und Gerard Piqué, gedanklich fast nie auf Augenhöhe. Und Jordi Alba? War extrem viel unterwegs, aber oft nicht da, wo er gebraucht wurde. Sergio Busquets, der Taktgeber, war kein Taktgeber.
ter Stegen macht Barca nervös
Selbst ein überragender Tag von ter Stegen hätte nicht verhindern können, was mit dieser Mannschaft nicht zu verhindern war. Ein überragender Tag von ter Stegen hätte allerdings etwas befeuern können, was ihm besonders wichtig ist. Eine wieder ergebnisoffenere Diskussion darüber, ob er nicht tatsächlich endlich eine faire Chance in der Nationalmannschaft verdient hätte. Die hat er im vergangenen Herbst lautstark eingefordert, war dafür zunächst von Neuer und dann von den Bayern - namentlich Uli Hoeneß - gewaltig in den Senkel gestellt worden. Und schließlich hatte auch die DFB-Trutzburg den Kapitän unangreifbar gemacht.
Nun legte dieses Spiel aus Sicht von ter Stegen leider offen, was die beiden besten deutschen Torhüter, und damit vielleicht auch die beiden besten der Welt (Alisson Becker vom FC Liverpool und Jan Oblak von Atlético Madrid mischen da noch mit), in großen Spielen unterscheidet. Während Neuer zwar auch zwei Gegentreffer kassierte, aber stets souverän agierte (viel hatte er indes nicht zu tun) und gegen Luis Suárez früh einen Weltklasse-Moment hatte, vermochte es ter Stegen nie die Führungsrolle einzunehmen, die es gebraucht hätte, um seinem Team die offenkundige Nervosität gegen das Monster-Pressing der Bayern zu nehmen. Statt die Bälle in den ersten Minuten einfach konsequent wegzuhauen - was ihm vom Naturell her widerstrebt - suchte er immer den spielerischen Ansatz. Löblich, aber hochriskant. Und am Ende spielentscheidend gefährlich.
Tobias Nordmann

 
	 
	 
	
	 
	
	 
 
	 
 
	 
	











































