Auf dem Jubelfoto der slowenischen Handballer ist Ljubomir Vranjes erst auf den dritten Blick zu erkennen. Inmitten seiner hünenhaften Spieler ist es für den nur 1,66 m großen "Ljubo" ja auch wirklich nicht so einfach, sich irgendwie in Szene zu setzen. "Klar ist er klein, aber das sind 1,66 m pures Handballwissen", sagte Sloweniens Kapitän Vid Kavticnik dem Internetportal "Sio1.net": "Wir folgen ihm überall hin."
Zunächst einmal ins Halbfinale der EM, in dem es am Freitag in Stockholm gegen Titelverteidiger Spanien geht. "Schwer, aber nicht unmöglich", sagt Vranjes, der erst im Dezember das Traineramt bei den Slowenen von Veselin Vujovic übernahm. In nur einer Woche Vorbereitung lernten sich Mannschaft und Trainer kennen und entwickelten ihre Taktik für die EM. "Wenn er erklärt, ist der Handball so leicht", sagt Toptorschütze Jure Dolenec (32 Treffer).
Das mag paradoxerweise daran liegen, dass es im Leben von Ljubomir Vranjes nicht nur um Handball geht. Der 46 Jahre alte Schwede mit den serbischen Wurzeln ist ein Mann der 100 Talente: "Ljubo" ist ein hervorragender Fotograf, dessen schwarz-weiß Bilder schon in Ausstellungen zu sehen waren, er schrieb ein Buch ("Meine Wahrheit"), in dem er offen über seine Depressionen spricht, er doziert als Gastredner über Klima, Umwelt und Gesellschaftspolitik - und er ist vor allem mit Leib und Seele Familienvater, dem Ehefrau Maria, Sohn William, Tochter Esther und nicht zuletzt Haushund King Louie über alles gehen.
Im Handball ist der kleine Mann mit den grünen Augen und dem strahlenden Lachen einer der renommiertesten Experten weltweit, und irgendwie ist er auch ein Kind der Bundesliga. In Nordhorn (2001 bis 2006) und vor allem in Flensburg (2006 bis 2009) machte er sich einen Namen als Regisseur mit einem bedingungslosen Zug zum Tor. "Ich war ja deutlich kleiner als meine Gegner, ich musste immer irgendwie die Lücke finden", schreibt er in seinem Buch.
Den Zug zum Tor, dieses "Immer nach vorne", blieb auch seine Philosophie, als er auf die Trainerbank wechselte. Mit der SG Flensburg-Handewitt gewann Vranjes zwischen 2010 und 2017 die Champions League, den Europacup der Pokalsieger, den DHB-Pokal und den Supercup, dann lockte ihn das große Geld zu Telekom Veszprem nach Ungarn. Dort wurde er nicht glücklich, die Familie ging zurück nach Schweden, wo Vranjes bis heute IFK Kristianstad betreut.
Und nun also Slowenien. "Ich werde so lange bleiben, dass es sich lohnt, die Sprache zu lernen", sagte Vranjes bei seinem Amtsantritt. Schwedisch, Deutsch, Serbisch, Englisch und Spanisch kann er bereits. Da sollte die slowenische Mundart ihm wohl kaum Probleme bereiten.