Marcel Kittel trug Flip-Flops zu einem lockeren Sommeroutfit und hatte ansteckend gute Laune. Lächelnd posierte der deutsche Radprofi am Sonntag auf dem Zielstrich der neunten Tour-de-France-Etappe in Brioude für Fotos, er scherzte und nahm sich Zeit für die Fans am Straßenrand, die kaum glauben konnten, wen sie da vor sich hatten: "Kittel? Ist das Marcel Kittel?"
Er war es. Der derzeit vertragslose 14-malige Tour-Etappensieger stattete der Frankreich-Rundfahrt am Wochenende als Gast der "ARD" einen Besuch ab. Dabei ähnelte er wieder viel mehr dem Sonnyboy, der sich über Jahre mit seinen bestechenden Leistungen und seinem Auftreten besondere Sympathiewerte erworben hat.
"Es ist cool, wieder hier zu sein, auch wenn es im Moment von der Seitenlinie ist", sagt der Thüringer, dessen dreitägige Stippvisite am Montag endet. Kittel genoss die Atmosphäre, er nutzte die Bühne des Rennens, das ihn in der Branche zum Weltstar gemacht hat, das ihm in Frankreich die respektvolle Bezeichnung "Le Kaiser" einbrachte, auch für sich.
Er ist ein anderer Kittel als jener geknickte Top-Sprinter des Frühjahrs 2019, dessen einziger Ausweg im Mai erst einmal die Flucht in eine ausgedehnte Auszeit war. Er musste Abstand gewinnen von den teaminternen Querelen bei Katusha-Alpecin, raus aus dem belastenden Kreislauf. "Es war die richtige Entscheidung, weil es mich glücklicher gemacht hat", sagt Kittel rückblickend.
Comeback? Karriereende? "Es ist im Moment ergebnisoffen"
Der Thüringer freut sich wieder auf das, was vor ihm liegt, auch wenn er noch nicht weiß, was das genau sein wird. Es gibt Momente bei diesem Besuch, da wirkt Kittel auch nachdenklich. Ein Comeback 2020? Das Karriereende? "Es ist im Moment echt ergebnisoffen. Ich habe weder das eine noch das andere entschieden", sagt Kittel. Die Eindrücke bei seinem Tour-Besuch sollen in die Überlegungen einfließen, er will erfühlen, was die Tour noch in ihm auslöst.
Entbrennt das Feuer neu? Ist Kittel bereit, noch einmal alles einer Rückkehr unterzuordnen, um wieder Radrennen zu gewinnen? Diese Fragen muss der gebürtige Arnstädter für sich beantworten, "gut und umfangreich" will er die Situation für sich bewerten, sich nicht drängen lassen. Doch er weiß auch: zu lange warten kann er nicht, schließlich werden - wie üblich bei der Tour - auch die Weichen für neue Verträge oder Transfers gestellt.
Bis zum Ende oder kurz nach dem Ende der Frankreich-Rundfahrt wird Kittel eine Entscheidung treffen, sagt der 31-Jährige, dessen Präsenz für großes internationales Medieninteresse sorgt, wiederholt. Möglichkeiten für einen Neustart gibt es für den 14-maligen Tour-Etappensieger durchaus, und eine scheint besonders reizvoll. Das niederländische Team Jumbo-Visma macht kein Hehl daraus, Kittel gerne bei sich zu sehen.
Zukunft als TV-Experte?
Besonders Sportdirektor Merijn Zeeman gilt als treibende Kraft bei diesem Unterfangen, er entdeckte und förderte einst Kittels außergewöhnliche Sprintbegabung - und er würde sie nun gerne wieder freilegen. Eine "tolle Option" wäre ein Wechsel in die Mannschaft seines Freundes Tony Martin, sagt Kittel, der natürlich mitbekommt, wie der viermalige Zeitfahr-Weltmeister im gelb-schwarz der Jumbo-Equipe aufblüht.
Auch die Aussicht, auf den Niederländer Dylan Groenewegen zu treffen und sich erst einmal als Sprinter Nummer zwei einzuordnen, schreckt Kittel nicht. Ein Tour-Start 2020 wäre für den deutschen Rekordetappensieger dann keineswegs garantiert. Allerdings könnte er ein anderes Talent ausbauen, als TV-Experte hat Kittel sich jedenfalls auch empfohlen. "Dass ich das interessant finde, ist ja kein Geheimnis", sagt er.
Irgendwie ist aber doch der Eindruck stärker, dass Kittels letztes Rennen als Radprofi noch vor ihm liegt.




