Im letzten Jahr erlag O.J. Simpson im April seinem Krebsleiden, doch bereits 31 Jahre zuvor, im Sommer 1994 hielt die Sportwelt seinetwegen den Atem an. Es war kein großes Finale, kein packender Kampf, der die Zuschauer in den Bann zog, sondern eins der dunkelsten Kapitel des US-Sportgeschichte - live zu sehen im TV. O.J. Simpson, einer der größten Sportstars der 70er-Jahre, floh vor den Augen von 100 Millionen Zuschauern vor der Polizei.
Der 17. Juni 1994 war eigentlich den Basketball-Stars der NBA vorbehalten. An jenem Abend fand das fünfte Spiel in der Finalserie zwischen den Houston Rockets und den New York Knicks statt. Es sollte die Antwort auf die Frage liefern, wer in die Fußstapfen von Michael Jordan treten würde, der ein Jahr zuvor seinen Rücktritt erklärt hatte.
6:39 Minuten vor dem Ende der ersten Halbzeit wollte der landesweit übertragende Sender "NBC" passend zur Auszeit in die Werbung schalten. Doch dazu kam es nicht. Stattdessen gab es einen harten Schnitt. Zu sehen war plötzlich ein weißer Ford Bronco, der sich seinen Weg über einen Highway in Los Angeles bahnte.
Am Steuer saß kein Unbekannter. O.J. Simpson lenkte den Wagen. Ein ehemaliger NFL-Star, Gewinner der Heisman Trophy (1968), sechsfacher All-Star und Ex-MVP (1972). Dank seiner Rolle als Detective Nordberg in "Die nackte Kanone" erlangte Simpson auch in Deutschland Berühmtheit. Nun war der Kalifornier vor zig Millionen Zuschauern unfreiwillig in eine Hauptrolle geraten, für die kein Happy End vorgesehen war.
Drängende Fragen und schockierende Antworten
"Wir sehen Live-Bilder vom Interstate 405 in Los Angeles. Wir glauben, dass dieser weiße Wagen, der von einer Phalanx von Wagen der kalifornischen Highway Patrol und Helikoptern verfolgt wird, Al Cowlings gehört, der heute mit O.J. Simpson verschwunden ist", leitete Moderator Pete Gustafson die Breaking News ein.
Es war der Auftakt zu einem der dramatischsten Momente der amerikanischen Sportgeschichte.

Doch was war überhaupt passiert? Wie geriet ein ehemals gefeierter Sportstar in den Fokus der Polizei? Und warum lieferte er sich live im TV eine Verfolgungsjagd mit mehr als einem Dutzend Beamten? Und warum, zum Teufel, stoppten sie den weißen Ford nicht einfach? Kaum ein Zuschauer kannte die schockierenden Antworten. Sie sollten sie im Laufe der kommenden Stunde erfahren.
Erdrückende Beweise gegen O.J. Simpson
Wenige Tage vor den dramatischen Szenen, die sich nun auf dem Highway abspielten, sorgte ein schreckliches Verbrechen in L.A. für Schlagzeilen. Simpsons Ex-Frau Nicole und deren Lebensgefährte Ron Goldman wurden am 13. Juni brutal ermordet aufgefunden. Am Tatort fand die Spurensicherung einen blutverschmierten Handschuh. Auch dessen passendes Gegenstück entdeckten die Ermittler wenig später - es lag auf dem Grundstück von O.J. Simpsons Privathaus.
Dieser und andere erdrückende Beweise führten zu einem Haftbefehl gegen Simpson. Am 17. Juni sollte er vollstreckt werden. Doch der Ex-Football-Star, der zuvor bei seinem Anwalt eine Art Abschiedsbrief hinterlassen hatte, war abgetaucht. Die Suche der Polizei begann.
Simpson wurde schnell ausfindig gemacht. Er hatte sich den Wagen von seinem Freund Al Cowlings geliehen und fuhr durch Los Angeles. Binnen Minuten kreisten Hubschrauber über dem weißen Ford Bronco, wenig später sah O.J. einen Großteil der Highway Patrol im Rückspiegel.
Simpson droht mit Selbstmord
Via Autotelefon nahm die Polizei Kontakt zu Simpson auf. Der Beamte Tom Lange redete behutsam auf den Mordverdächtigen ein, flehte ihn an, keine Dummheit zu begehen. Der verzweifelte Simpson drohte derweil mit einer auf sich selbst gerichteten Waffe immer wieder mit Selbstmord und beteuerte seine Unschuld. Er wolle nur nach Hause, betonte der gefallene Superstar mit weinerlicher Stimme.
Die Polizei gewährte Simpson seinen womöglich letzten Wunsch und ließ ihn zu seinem privaten Anwesen fahren. Dort warteten bereits Scharfschützen auf die einstige NFL-Ikone. Sie kamen nicht zum Einsatz. Simpson gab auf. Der des zweifachen Mordes beschuldigte Ex-Star ließ sich widerstandslos festnehmen und wurde vor Gericht gebracht.

Dass O.J. noch einmal auf freien Fuß kommen würde, war für die beteiligten Ermittler undenkbar. Zu erdrückend waren die Beweise, zu eindeutig die Fakten.
Freispruch im "Jahrhundertprozess"
Der folgende "Jahrhundertprozess" schlug hohe Wellen. Von einer voreingenommenen und unqualifizierten Jury, gefälschten Beweisen, Rassismusvorwürfen und Versäumnissen bei den Ermittlungen der Polizei war in den Schlagzeilen beinahe täglich die Rede gewesen. In den Augen vieler war die Schuldfrage in einem doppelten Mordfall längst zur Nebensache geraten. Rund 100 Millionen Menschen verfolgten die Urteilsverkündung am 3. Oktober 1995 live im Fernsehen.
Am Ende wurde Simpson freigesprochen und aus der Haft entlassen. Auch der anschließende Zivilprozess verlief für den ehemaligen Football-Star glimpflich. Zwar wurde er zu einer Strafzahlung in Höhe von 33 Millionen US-Dollar an die Angehörigen der Opfer verurteilt, gezahlt wurde bis heute allerdings nur ein Bruchteil dieser Summe.
Simpson zu 33 Jahren Haft verurteilt
Ein Jahrzehnt verging, bis sich Simpson ein weiteres Mal vor einem Gericht verantworten musste. Im Jahr 2007 raubte er zusammen mit einer Gruppe Männer in Las Vegas einen Händler für Sportsouvenirs aus. Simpson behauptete, jemand hätte sie ihm zuvor gestohlen. Das Gericht glaubte ihm nicht und verurteilte ihn zu 33 Jahren Gefängnis. Am 1. Oktober 2017 wurde der damals 70-Jährige vorzeitig auf Bewährung entlassen.
Langsam, aber bestimmt wagte sich Simpson zurück ins Rampenlicht. Im Juni 2019 eröffnete er einen Account beim Kurznachrichtendienst Twitter, erreichte schnell fast 900.000 Abonnenten. Das Interesse an der gefallenen Legende war ungebrochen.
Rund fünf Jahre später, am 11. April 2024, wurde jedoch auf dem Account bekanntgegeben, dass Simpson einen Tag zuvor (s)einem Krebsleiden erlegen ist. Er sei im Kreise seiner Kinder und Enkelkinder eingeschlafen, wie seine Familie mitteilte.




































