Das Duell um den Gesamtsieg beim 102. Giro d'Italia wird zum Psychospiel. Die Top-Favoriten Primoz Roglic und Vincenzo Nibali entwickeln eine immer stärkere Abneigung, davon könnte das Team Movistar profitieren.
Es war eine vergiftete Einladung, die Vincenzo Nibali in den Alpen an seinen Rivalen Primoz Roglic schickte. Sie strotzte vor Sarkasmus. "Ich habe zu ihm gesagt: 'Wenn Du zu Besuch kommen und Fotos in meinem Haus machen willst, zeige ich Dir - wann immer Du willst - meine Trophäensammlung'", erzählte Nibali höhnisch, als er sich im Teamfahrzeug von den Kletterstrapazen erholte.
Was den Italiener so nervte: Roglic, noch immer der Top-Favorit des 102. Giro d'Italia, klebte an den ersten ganz schwierigen Anstiegen seiner Meinung nach nur am Hinterrad, übernahm keine Initiative.
"Wenn er den Giro gewinnen will, sollte er nicht so fahren", sagte Nibali, während Roglic bei der verhaltenen Strategie wohl auch seine Überlegenheit im Zeitfahren beim Rundfahrtfinale am 2. Juni in Verona einkalkuliert.
Der Beginn der taktischen Psychospielchen vor der entscheidenden dritten Woche der Italien-Rundfahrt zeigte, dass die Kräfteverhältnisse auf dem Rad derzeit nicht eindeutig zu bestimmen sind.
Es wird sich zeigen, ob der impulsive Sizilianer und zweimalige Giro-Gewinner sich mit seiner Emotionalität einen Vorteil verschafft oder der stoische Slowene ganz kühl sein Konzept verfolgt und damit richtig liegt. "Das gehört alles zum Spiel", sagte Nibali.
Wird Carapaz der lachende Dritte?
Eine Szene nach dem Zieleinlauf der 13. Etappe am Lago Serru illustrierte die herzliche Abneigung der beiden Sieganwärter, die ab Dienstag auch in der knüppelharten letzten Giro-Sequenz zum prägenden Element werden könnte.
Als Roglic dem "Hai von Messina" die Hand reichen wollte, biss der zwar nicht hinein, aber er verweigerte und winkte ab. Nibali weiß: "Am Ende könnte die Fahrweise" seines Rivalen "effizient sein" und sein großes Ziel gefährden - mit 34 Jahren zum ältesten Giro-Gewinner der Geschichte aufzusteigen.
Das Geplänkel könnte letztlich aber dazu führen, dass die geschwungene Trofeo Senza Fine in einer Woche weder an Roglic noch an Nibali, sondern vielleicht an Richard Carapaz aus Ecuador überreicht wird. Der Südamerikaner aus dem spanischen Team Movistar gewann am Samstag in Courmayeur nicht nur, sondern schlüpfte auch ins Maglia Rosa. Carapaz verschaffte seiner Mannschaft dadurch eine taktisch exzellente Ausgangslage.
Nibali schmiedet Allianzen im Feld
Hatte auf der ersten großen Alpenetappe noch sein spanischer Kollege Mikel Landa attackiert und Zeit herausgefahren, gelang dies Carapaz tags darauf nach einem Angriff am Colle San Carlo.
Nibali war damit wohl einverstanden, denn während der 14. Etappe war ein Moment zu beobachten, der nach einer Allianz zwischen den Teams Bahrain-Merida und Movistar aussah. Nibali und Landa drückten nach einem kurzen Gespräch die Fäuste gegeneinander.
Für Roglic wäre dies ein weiteres Problem, denn ohnehin scheint seine Mannschaft Jumbo-Visma nicht in der Lage, das Rennen zu beherrschen. "Ich weiß nicht, was ich davon halten soll", gab Jumbo-Sportdirektor Addy Engels zu Protokoll, nachdem sich Carapaz im Klassement sieben Sekunden vor Roglic und 1:47 Minuten vor Nibali gesetzt hatte.
Der Jumbo-Kapitän selbst teilte eher nur Belangloses mit. "Lasst uns erst das Rennen fahren und dann reden. Wichtig ist, wer das Rosa Trikot in Verona trägt", sagte Roglic. Darum geht es in der Tat.





