Auf Simon Yates' linker Wange prangten zwei dicke, rote Knutschflecke von der Siegerehrung, seinen Oberkörper zierte das Rosa Trikot. "Das war ein guter Tag für mich. Ich bin sehr glücklich", sagte der Gesamtführende des Giro d'Italia und lachte.
Sein zweiter Etappensieg bei der Italien-Rundfahrt am Mittwoch hatte nur geringe Auswirkungen auf die Gesamtwertung gehabt. Zwei Sekunden nahm der britische Radprofi im Ziel Titelverteidiger Tom Dumoulin ab, der mit 47 Sekunden Rückstand als Zweiter in die Sprintetappe am Donnerstag startete.
Doch die finale Attacke beim Triumph in Osimo hatte Signalwirkung. Mutig, angriffslustig und stets am Anschlag - mit seiner Fahrweise und herausragenden Form stellt Yates derzeit die versammelte Elite um Dumoulin, Thibaut Pinot oder Domenico Pozzovivo vor große Probleme. Der 25-Jährige hat sich zur Halbzeit zum ersten Anwärter auf den Gesamtsieg gemausert.
Yates ist ein explosiver Kletterer. Kurze, giftige Steigungen vor Zielankünften wie am Mittwoch, aber auch quälend lange Anstiege wie bei seinem ersten Tagessieg am Gran Sasso am vergangenen Sonntag sind nach dem Gusto des Briten.
Für einen Erfolg bei einer großen Landesrundfahrt sind Qualitäten am Berg unabdingbar. Yates beweist sie beim Giro nicht zum ersten Mal. 2017 gewann er die Nachwuchswertung der Tour de France und folgte damit dem Vorbild seines nicht minder talentierten Zwillingsbruders Adam, dem dieses Kunststück ein Jahr zuvor gelungen war. In der laufenden Saison hinterließ Simon Yates schon bei der Katalonien-Rundfahrt und der Fernfahrt Paris-Nizza, beides berglastige Etappenrennen, einen starken Eindruck.
Yates am Berg der bessere Fahrer: "Das ist Fakt"
Seine Dominanz ist dennoch überraschend. Niemand habe ihn als einen derart starken Herausforderer auf dem Zettel gehabt, räumte der strauchelnde Tour-Sieger Christopher Froome ein. Dumoulin bescheinigte Yates die bessere Bergform. "Das ist Fakt", sagte der Niederländer vom deutschen Team Sunweb.
Ein Erfolgsgeheimnis ist das Mitchelton-Scott-Team, das in Esteban Chaves einen vergleichbar starken Fahrer stellt. Der Kolumbianer hegt nach einem Rückschlag aber keine Podest-Ambitionen mehr und stellt sich wie der Rest der Mannschaft in Yates' Dienst. Mitchelton-Scott hat sich seit der Gründung im Jahr 2011 zu einer festen Größe in der World Tour gemausert. Die Australier setzten früh auf die Gebrüder Yates, die sich gegen eine Helferrolle im britischen Top-Team Sky entschieden, und förderten sie. Das Vertrauen zahlt sich längst aus.
Auf der jungen, hoffnungsvollen Karriere des Simon Yates liegt dennoch bereits ein Schatten. Im Frühjahr 2016 wurde er positiv auf das verbotene Medikament Terbutalin getestet und für vier Monate gesperrt. Der Arzt der damaligen Orica-Mannschaft hatte es nach eigenen Angaben versäumt, eine Ausnahmegenehmigung (TUE) für das Asthmamittel zu beantragen. Diese Praxis ist nicht zuletzt seit den prominenten Fällen um Froome und Bradley Wiggins höchst umstritten.
Auf dem Weg zum Giro-Sieg warten auf Yates andere Hürden. Am Samstag, wenn der Giro-Tross den ikonischen Anstieg Zoncolan in Angriff nimmt, muss er mit Blick auf das Zeitfahren am Dienstag zwingend Zeit gutmachen. Er müsse dann "mindestens zwei Minuten" Vorsprung auf Weltmeister Dumoulin haben, sagte Yates.
