Am 28. März 1995 wurden die Bewohner New Yorks einmal mehr Zeuge einer denkwürdigen Nacht. Urheber des geschichtsträchtigen Abends im Madison Square Garden war ein gewisser Michael Jeffrey Jordan.
Was legendäre Sportereignisse angeht, sind die Fans im Big Apple wahrhaft verwöhnt. Ob historische Duelle im Boxring (Ali vs Frazier, Schmeling vs Louis), dramatische Entscheidungen auf dem Eis (Stanley Cup 1994) oder im Baseballstadion (World Series 1986): Die Liste der besonderen Momente, an die sich die Sportwelt bis heute erinnert, ist lang. Am 28. März 1995 wurde sie noch länger.
Quälend lange 664 Tage mussten die Fans in New York auf diesen Augenblick warten. An jenem Dienstag Abend betrat mit Michael Jordan der beste Basketballer aller Zeiten nach seiner fast zweijährigen Auszeit das Parkett des Madison Square Garden. Die Rückkehr des GOATs elektrisierte die gesamte Stadt. Tickets für das Spiel der Bulls gegen die Knicks waren selbst auf dem Schwarzmarkt rar. Statt der üblichen 150 Medienvertreter waren 325 Journalisten anwesend. Alle wollten sie dabei sein und Zeuge des Comebacks von MJ werden - und das Warten sollte sich lohnen.
Jordan gar nur "menschlich"?
Erst neun Tage vor dem Spiel im Garden kehrte Jordan auf die große NBA-Bühne zurück. Die Nummer 23, die in diesen Tagen mit der Nummer 45 auf dem Trikot auflief, wirkte in den ersten Spielen nicht ganz so spritzig wie vor seinem Rücktritt. Die Bewegungen waren nicht mehr so geschmeidig, der Wurf fiel (noch) nicht mit der gewohnten Präzision, die "Air Time" hatte spürbar abgenommen.
Ex-Bulls-Trainer Doug Collins ging sogar so weit seinen ehemaligen Schützling als "menschlich" zu bezeichnen. Majestätsbeleidigung. Und dennoch - oder gerade deshalb - fieberte die gesamte Nation dem Gastspiel von "Air Jordan" im Big Apple entgegen. Wann und wo, wenn nicht jetzt und hier im MSG, sollte Jordan sein altes Gesicht zeigen?
In den Jahren zuvor hatten sich die Knicks an Jordan regelmäßig die Zähne ausgebissen. Die Playoff-Duelle der Jahre 1991, 92 und 93 hatte der 1,98-Meter-Mann in seine persönlichen Highlight-Shows verwandelt. 1994, nach seinem Rücktritt, konnten die New Yorker ihre Gegner aus Chicago prompt überwinden und zogen in die NBA-Finals ein. Erschreckende acht Bulls-Niederlagen gegen die Knicks standen seitdem zu Buche. Head Coach Phil Jackson benötigte jemanden, der die gefürchtete Knicks-Defense knackte: "Wir brauchten Scoring. Also sagte ich ihm: 'Go for it!'"
"Wir wussten nach wenigen Minuten, dass er seine Schüsse heute treffen würde."
Von diesem Moment an sei es nur noch die Frage gewesen, bis Jordan seine Würfe treffen würde, glaubte Coach Jackson: "Und wir wussten schon nach wenigen Minuten, dass er seine Schüsse heute treffen würde." Gesagt, getan.
Ein kurzes Dribbling nach rechts, ein Sprung, ein Wurf, drin! Jordan versenkte seinen ersten Wurf und versetzte den Garden binnen Sekunden in Ekstase. Die insgeheime Hoffnung der Fans erfüllte sich in den Minuten danach: Die Nummer 45 lief heiß, setzte Treffer um Treffer, warf aus der Distanz, zog zum Korb und stand nach dem ersten Viertel bei 20 Punkten. Die Fans im Garden quittierten die Show von Jordan mit lauten "Ooohs", "Aaahhs" und offenen Mündern.
Zur Halbzeit hatte MJ 35 Zähler auf dem Konto, nach drei Vierteln standen unglaubliche 49 Punkte auf der Anzeigetafel. "His Airness" sezierte die Gastgeber nach allen Regeln der Kunst. Selbst die Knicks-Anhänger konnten ihre Begeisterung ob der Show der Nr. 45 nicht zurückhalten.
"Das Spiel war surreal", erinnere sich Knicks-Trainer Pat Riley später. "Jordan wollte New York und den Garden einfach nur als Plattform benutzen - um der Welt zu zeigen, dass er zurück war. Und immer noch der Beste. Die Partie zu gewinnen, war völlig zweitrangig."
Ein weiterer Jordan Gamewinner?
Bis weit in das letzte Viertel hinein blieb die Partie ein Kopf-an-Kopf-Rennen. 111:111 zeigte das Scoreboard, als die Bulls ein Timeout nahmen. Völlig klar, was nun besprochen wurde: Gebt den Ball zu Michael (zu dem Zeitpunkt schon bei 55 Zählern) und wir gewinnen das Spiel. Oder? Bei Jordans drei vorherigen Würfen hatten die Knicks ihn immerhin mit zwei Mann verteidigt. Das ließ Raum für seine Mitspieler. Doch MJ hatte andere Pläne.
"Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, ich wollte den Ball passen. Ich kam aufs Feld, um zu scoren", gestand der damals 32-Jährige nach dem Spiel. Dass Jordan letztlich eine Entscheidung traf, die seinem Instinkt als Scorer widersprach, ahnte vor dem letzten Angriff des Spiels noch niemand.
Mit 14 Sekunden auf der Uhr dribbelte "His Airness" in die gegnerische Hälfte, täuschte den Drive zum Korb an und zog in die Mitte. Dabei schickte er seinen Gegenspieler John Starks wie im Vorbeigehen fast auf den Hosenboden und provozierte das Double Team. Und dann geschah tatsächlich das Unerwartete: Jordan passte den Ball zum völlig offenen Bill Wennington.
Ein Dunk, zwei Punkte. 113:111 für die Bulls! Den letzten Ballbesitz verhaspelte Starks - verteidigt von Jordan. Nach 48 denkwürdigen Minuten stand der Sieg der Bulls fest. Was der Hauptdarsteller des Abends neun Tage zuvor per Einzeiler angekündigt hatte war, nun die nackte Realität: Michael Jordan war zurück.
Simon Lürwer




































