Auf die Charmeoffensive des norwegischen Reporters war Lindsey Vonn nicht vorbereitet. Der Mann von "Aftenposten" zeigte der Speed Queen am Montag am Fuße der olympischen Abfahrtspiste von Jeongseon ein Filmchen, das Vonn in die Welt ihrer norwegischen Ahnen entführen sollte.
Vonn fühlte sich sichtlich geschmeichelt, doch beim Betrachten des Films schlug ihre Stimmung plötzlich um. "Das ist mein Opa!", rief sie, und schon kamen ihr die Tränen, "oh, nein, f...!" Vonn setzte sich schnell wieder ihre Sonnenbrille auf.
Das alte Foto ihres Großvaters Don Kildow in dem Film des Journalisten erinnerte Vonn wieder an ihre Mission: Am Mittwoch (11:00 Uhr OZ/3:00 Uhr MEZ) will sie in Pyeongchang ihre zweite olympische Goldmedaille in der alpinen Königsdisziplin erzwingen - für ihren Opa Don, der im vergangenen November verstarb und ihr so viel bedeutet hatte. Für den Mann, der sie erst zum Skifahren gebracht hat.
Schon bei ihrem ersten Auftritt in Südkorea am Tag der Eröffnungsfeier hatte sie in einem Hollywood-reifen Auftritt davon berichtet, wie sehr sie Don vermisse. Auch damals waren Tränen geflossen. "Ich weiß, dass er zuschauen und mir helfen wird", sagte sie mit brüchiger Stimme.
Vonn: "Natürlich gibt es auch Leute, die mich hassen"
Doch Vonn fährt längst nicht mehr nur für sich oder den verblichenen Großvater, der mit der US-Army im Koreakrieg war. In den Tagen von Pyeongchang ist ihre Mission noch größer geworden. Nach ihrem sechsten Platz im Super-G, wo sie Gold mit einem ungewohnten Patzer kurz vor dem Ziel in den Kunstschnee warf, sah sich Vonn erneut böser Kommentare im Internet ausgesetzt, die von Spott über Häme bis zu blankem Hass reichten. Seit Vonn sich vor einiger Zeit kritisch über US-Präsident Donald Trump äußerte, wird die 33-Jährige von der Ultra-Rechten in den USA attackiert.
"Meine Familie ist hier, sie lieben mich", sagte Vonn am Montag, "aber natürlich gibt es auch Leute, die mich hassen und hoffen, dass ich eine Klippe runterfahre und sterbe." Aber, fügte sie mit entschlossenem Blick an, "das werde ich nicht tun". Dann lachte sie, das Ganze sei ja bisweilen "völlig lächerlich".
Nun, Vonn wird im Netz als Verliererin, un-amerikanisch oder arrogante Prinzessin beschimpft. Und das sind noch die netteren Beleidigungen der Internet-Trolle. Als sie in der vergangenen Woche via Twitter einen Herzbuben für den Valentinstag suchte, gab es viele anzügliche Kommentare.
Die Suche, gab sie am Montag zu, sei bisher ergebnislos verlaufen: "Ich habe kein Date gefunden, aber man weiß ja nie, vielleicht ergibt sich noch was. Das Leben ist witzig."
"Das wollen die Tyrannen doch nur"
Zurückhalten wolle sie sich im Netz künftig nicht. "Das wollen die Tyrannen doch nur, sie wollen dich fertig machen." Jetzt, bei Olympia, könne sie nicht immer ganz offen sein, aber: "Ich habe meine Meinung nicht geändert." Die zu Trump.
Und so fährt am Mittwoch nun eine Frau, 33 Jahre alt, die ihre Heimat liebt, für sich, ihren Opa und gegen das Amerika von Donald Trump um Gold. Vor dem Rennen, das sie 2010 gewonnen und 2014 verletzungsbedingt verpasst hatte, werde sie sich nicht groß im Internet umschauen. Vonn, die jeden Tag Tabletten gegen ihre Depression nimmt, will sich auf das Duell mit Sofia Goggia konzentrieren.
Die Italienerin, "verrückt" wie sie selbst, sei diejenige, "die es zu schlagen gilt", sagte Vonn, "aber in dieser Kategorie sehe ich mich auch." Ob es für sie gut ausgeht? Vonn will darüber nicht zu viel nachdenken. Aber später, wenn es vorbei ist, "will ich daran denken, wie schön es war".
