Nach dem glücklichen Remis gegen Slowenien feierten die deutschen Handballer ihren Iceman Tobias Reichmann. Im "Endspiel" um den Gruppensieg gegen Mazedonien wird der nachnominierte Abwehrchef Finn Lemke erstmals dabei sein.
Der wahnwitzige Handball-Krimi mit Videobeweis, die Rolle rückwärts des Bundestrainers bei Finn Lemke, Sloweniens abgeschmetterter Protest - Tobias Reichmann brauchte nach turbulenten Stunden erst mal seine Ruhe. Der Last-Second-Held der deutschen Handballer zog sich am Dienstagmittag auf sein Zimmer im Teamhotel zurück und lud bei Schlagermusik von Mickie Krause die Akkus für das Finale um den Gruppensieg gegen Mazedonien auf.
"Alle Spiele, die jetzt kommen werden, sind Endspiele", sagte Reichmann. Mit seinem eiskalt verwandelten Siebenmeter in der letzten Aktion des Spiels gegen Slowenien hatte der Rechtsaußen dem deutschen Team das glückliche Remis und damit die Chance auf den Gruppensieg gerettet.
Auch Bundestrainer Christian Prokop hob die herausragende Bedeutung hervor: "Wir kennen die Konstellation, das ist ein ganz wichtiges Spiel. Wir müssen von Beginn an mit Einsatz und Kämpferherz da sein." Im Falle einer Niederlage wäre das Halbfinale nur noch schwer zu erreichen.
Lemke-Nominierung sorgt für Freude im Team
Am spielfreien Dienstag stand im deutschen Lager aber die Verarbeitung des rund 16-stündigen Handball-Wahnsinns auf dem Programm. Gesprächsthema Nummer eins war neben Reichmann und dem schier unglaublichen Finale mit Happy-End nach Videobeweis aber vor allem Lemkes Nachnominierung. Schon am Mittwoch wird der zunächst aussortierte Abwehrchef gegen Mazedonien dabei sein. Am Dienstagmorgen machte er sich von Fuerteventura aus dem Trainingslager der MT Melsungen auf die fast zwölfstündige Reise nach Zagreb.
"Ich möchte der Abwehr mehr Körperlichkeit und den Torhütern mehr Sicherheit und Blockarme geben", sagte Prokop zu seiner überraschenden Maßnahme. Noch vor einer Woche hatte der DHB-Coach mit der Nichtberücksichtigung des 2,10-Meter-Hünen für reichlich Wirbel gesorgt. Auch innerhalb des Teams. Entsprechend groß ist nun die Erleichterung.
"Finn bringt uns mehr Qualität. Die Gegner haben viel Respekt vor ihm. Er genießt international ein hohes Ansehen", sagte Hendrik Pekeler, Lemkes kongenialer Partner im Mittelblock beim sensationellen EM-Triumph von Krakau 2016. Aus seiner Freude und Erleichterung machte er genau wie Torhüter Andreas Wolff keinen Hehl. "Jetzt haben wir unseren erfahrenen Abwehrchef zurück", sagte Wolff: "Er ist riesengroß und mit seinen Emotionen einer der Eckpfeiler der Bad Boys. Er wird uns weiterhelfen."
Diese Hilfe scheint angesichts des phasenweise vogelwilden Auftritts gegen Slowenien bitter nötig. Prokop versuchte es im Mittelblock mit fünf verschiedenen Besetzungen, Besserung trat erst im zweiten Abschnitt ein. "Wir sollten Finn nicht als Heilsbringer sehen", warnte Keeper Silvio Heinevetter. Nach dem Dämpfer gegen Slowenien "muss sich jeder erst mal auf sich konzentrieren".
Häfner: "Reichmann hat uns den Arsch gerettet"
Reichmann brauchte sich allerdings kaum Vorwürfe zu machen. Er kam gegen Slowenien ausschließlich bei den Siebenmetern zum Einsatz - und löste seine Aufgabe mit Bravour. Vor der umjubelten finalen Aktion vergingen fast acht Minuten, ehe die litauischen Schiedsrichter nach Sichtung der TV-Bilder auf Strafwurf entschieden. Reichmann blieb eiskalt und verwandelte.
"Er hat uns den Arsch gerettet", sagte Kai Häfner. Und auch Kapitän Uwe Gensheimer, sonst für die Siebenmeter verantwortlich, zog seinen Hut: "Wir können glücklich sein, dass Tobi die Eier hatte, den rein zu machen."
"Warnschuss" für die Bad Boys
Reichmann, dessen Handy vor lauter Glückwünschen kaum still stand, waren die Huldigungen fast unangenehm. Das Spiel gegen Slowenien bezeichnete er als "kleinen Warnschuss. Wir wissen jetzt, dass uns hier nichts geschenkt wird. Wir können eine Menge daraus lernen."
Als hätte das deutsche Team mit der Verarbeitung des Krimis von Montagabend nicht schon genug zu verarbeiten, sorgte der slowenische Protest am Dienstagvormittag für Wirbel. Erst mit der Abweisung durch die EHF kehrte ein bisschen Ruhe ein.








